Ein Beispiel von vielen: Die Sanierung des Mineralbads Berg wird teurer und dauert länger. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Eindruck eines ewigen Stadt-Provisoriums nervt viele Bürger, findet Lokalchef Jan Sellner. OB Kuhn ist jetzt gefordert, eine Perspektive zu vermitteln.

Stuttgart - Wäre Stuttgart ein Auto (was manche kritische Betrachter für gar nicht so abwegig halten dürften), dann wäre sein Platz in der Werkstatt. Und ein Heer von Schraubern wäre am Werk. Die Familienkutsche aus dem vergangenen Jahrhundert würde aufgemotzt und hochgetunt: Spoiler, Sportlenkrad, getönte Scheiben und klar – Stichwort Stuttgart 21 – das Chassis tiefergelegt. Aber natürlich ist das nur ein Bild, und wie fast alle Vergleiche ist dieses Stuttgart-Bild leicht schief.

Gleichwohl bemüht man Vergleiche, um die Baustelle Stuttgart zu beschreiben. Dabei unterscheidet sich die Situation des Jahres 2018 nicht wesentlich von der vor einem oder zwei Jahren. Und sie wird sich nächstes und übernächstes Jahr nicht wesentlich verändert haben. Das liegt daran, dass der Eindruck vorherrscht, als ginge in Stuttgart nichts richtig voran. Verstärkt wird dieser Eindruck durch konkrete Mobilitäts-Einschränkungen. Das beginnt bei der Erreichbarkeit bestimmter Ziele, etwa der Staatsgalerie, und setzt sich fort mit ewigen Fahrbahnverschwenkungen am Gebhard-Müller-Platz oder am Leuze-Knoten. Die latent instabile Infrastruktur im S-Bahn-Verkehr tut ein Übriges, das Bild von Stuttgart als Dauer-Provisorium zu festigen. Dazu kommen Belästigungen durch den allgegenwärtigen Baustellenlärm.

Der City-Krater schließt sich nicht vor 2025

Und der Eindruck des stockenden Stuttgart ist ja nicht falsch. Stuttgart 21 rund um den geschrumpften Bahnhof ist und bleibt auf Jahre hinaus ein Riesenloch. Ein City-Krater. Zuletzt hat die Bahn die Fertigstellung von 2021 auf aktuell 2025 verschoben. Daran wird sich die nächste Riesenbaustelle anschließen – der Aufbau des Rosensteinviertels. Parallel dazu wächst das Klinikum um ein Maximum. Termin: 2031. Früher, aber immer noch zwei Jahre später als geplant, ist mit der Fertigstellung der dritten Röhre im Leuze-Tunnel zu rechnen. Die Verbindung zwischen der B 10 und der B 14 soll 2023 stehen. Seit dieser Woche weiß man auch, dass sich die Sanierung des Mineralbads Berg um ein Jahr auf Mitte 2020 verzögert – und natürlich teurer wird. In jedem einzelnen Fall lassen sich Gründe anführen: neue Erkenntnisse, böse Überraschungen, Pfusch am Bau, ausgelastete Firmen. Das ändert aber nichts am negativen Gesamteindruck.

Man wünschte sich Bob den Baumeister her

Stuttgart war mal die Stadt zwischen Wald und Reben. Heute ist es die Stadt zwischen Bauzaun und Baugrube. Ob sich damit werben lässt, darf bezweifelt werden. Allerdings sollte man sich hüten, die Vergangenheit zu verklären. Die Stadt war immer Baustelle: Anfang des vergangenen Jahrhunderts, als der heutige Hauptbahnhof entstanden ist. Um ein Vielfaches mehr nach den Zerstörungen von 1944. Aber auch in den 70er Jahren, als die Straßenbahn als Stadtbahn in den Untergrund verlegt wurde. Unveränderlich sind Städte nur im Modell. Sie leben von Veränderung – ohne deshalb immerwährende Großbaustelle sein zu müssen.

Aktuell wünschte man sich, Bob der Baumeister und sein Team würden sich Stuttgarts annehmen: „Können wir das schaffen?“ („Can we fix it?“) – „Jo, wir schaffen das!“ („Yes we can!“), antwortet das Bauteam in der sympathischen Fernsehserie im Chor. Eine kindliche Vorstellung, zugegeben. Aber man sucht ja nach Bildern. Und nach Perspektiven. Am Ende ist es Aufgabe der Stadt und des Oberbürgermeisters, den Bürgern das Bild von der Baustelle Stuttgart zu erklären.

jan.sellner@stzn.de