Barclay James Harvest featuring Les Holroyd in den luftig bestuhlten Wagenhallen. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

In den renovierten Wagenhallen ist jetzt das erste Konzert über die Bühne gegangen. Dazu gibt es einiges zu sagen.

Stuttgart - Zwei Stunden nach Inkrafttreten des feinstaubalarmbedingten Komfortkaminverbots begrüßten am Freitagabend die Betreiber der Wagenhallen ihre Gäste mit einem üppig prasselnden Lagerfeuer in der riesigen Metallschale vor dem Eingang. Eine pfiffige Idee: Wenn drinnen das Holzabfackeln aus gutem Grund verboten ist, macht man’s halt draußen. Aber Schwamm drüber über die Sorgen der linken Bedenkenträger im Rathaus, hier geht’s schließlich ums große Ganze.

Wie das aussieht, war schon am vorvergangenen Freitag bei der Wiedereröffnungsfeier der Wagenhallen zu sehen. Irgendwie fühlte man sich bei dem Dialog von Meeresfrüchtesalat und mariniertem Gemüse an dezenter Loungemusik eher an Sektfrühstücksgesellschaften in den Breuningerpassagen denn an einen vibrierenden Hort des Undergrounds erinnert. Vermeintliche Subkultur gab’s jedenfalls am Eröffnungsabend so viel zu bestaunen wie beim Wiener Opernball.

Heftige Kritik am Umbau

Seitdem ist in nur einer knappen Woche einiges passiert. Matthias Mettmann vom Stuttgarter Konzertveranstalter Chimperator beklagte öffentlich die seiner Ansicht nach unzureichenden Bedingungen zum Ausrichten von Konzerten, etwa viel zu wenige Parkplätze und einen zwergenkleinen Backstagebereich mit lediglich zwei, nur über die Toiletten erreichbaren Duschen für die Künstler. In der Summe sei dies „nicht auf dem Niveau, das man von einer 2018 fertiggestellten Konzerthalle erwarten darf“, so Mettmann in der „Stuttgarter Zeitung“.

Er reagierte prompt und machte seinen Wunsch wahr, den eigentlich in den Wagenhallen geplanten Auftritt der sich derzeit in aller Munde befindlichen Band Feine Sahne Fischfilet von dort abzuziehen und in die Porsche-Arena zu verlegen. Wobei er da angesichts des seit langem ausverkauften Konzerts, einer immensen Kartennachfrage und der vier Mal so großen Kapazität des neuen Veranstaltungsorts … sagen wir‘s mal so: zwei Fliegen mit einer Klappe hat schlagen können.

Firmenfeiern stechen Konzerte aus

Paul Woog vom zweiten der drei großen Stuttgarter Konzertveranstalter, der SKS Russ,beklagte ebenfallsin der Zeitung „die höheren Produktionskosten als zum Beispiel im LKA“ in den Wagenhallen. Sie entstünden, präzisierte er an diesem Freitag vor Ort beim ersten tatsächlich in den Wagenhallen über die Bühne gegangenen Konzert, zum einen aus einer vergleichsweise hohen Saalmiete, zum anderen aus dem Umstand, dass – im Gegensatz zum Longhorn und dem Beethovensaal – in den Wagenhallen für jedes Konzert eine Bühne auf- und wieder abgebaut werden müsse. Man muss kein Prophet sein, um erahnen zu können, dass diese Mehrkosten langfristig auf die Eintrittspreise und damit die Konzertbesucher umgelegt werden.

Wie häufig diese Preise in den Wagenhallen zu entrichten sein werden, wird sich allerdings weisen müssen. Denn das Konzept der Betreiber scheint klar: Firmenfeiern und Messe-Events first, Kultur second. Irgendwie muss das Betreiberduo, Thorsten Gutbrod und Stefan Mellmann, seinen Sanierungsanteil von 2,85 Millionen Euro sowie die – wenn auch von der Stadt extrem wohlwollend kalkulierte – Miete aufbringen. Ein Indiz, wie der Spagat zwischen Kunst und Kommerz ausgeht, mag allerdings sein, dass in der gesamten Vorweihnachtszeit kein einziges Konzert mehr stattfindet. Der nächste Auftritt einer Band in den Wagenhallen ist auf den 1. Februar 2019 terminiert.

Die Nagelprobe steht noch aus

Das dräuende Parkplatzproblem hat sich am Freitagabend allerdings als vergleichsweise harmlos dargestellt. Das erste Konzert war nämlich, vornehm formuliert, nicht gerade ein Publikumsmagnet. Die Halle war mit sechshundert Plätzen ohnehin schon luftig bestuhlt, dennoch klafften im nur zu drei Vierteln gefüllten Saal fette Lücken. Die Nagelprobe für das tatsächlich gravierendste Problem der Wagenhallen steht also noch aus. Absolviert wird sie, wenn die Halle bei einem unbestuhlten Konzert mal richtig voll werden sollte.

Wie viele Menschen es dann sein werden, ist eine gute Frage. Denn die Betreiber haben eine Kapazität von über zweitausend Besuchern versprochen, dabei aber das Foyer mit sechshundert Plätzen kess mitgezählt. Nur: wer will schon im Foyer ein Konzert genießen, mit schlechter Sicht und mit beschränkten akustischen Verhältnissen? Es bleiben in der unbestuhlten Halle auf dem Papier also rund 1400 Plätze – eine Kapazität, wie sie das LKA locker sowie das Wizemann und der große Saal des Theaterhauses annähernd bieten. Die neu gewonnene Kapazität ist somit gerade kein Alleinstellungsmerkmal für die Wagenhallen.

Mehr Säle für Pop und Rock nötig

Ein auch nur annähernd adäquater Hallenersatz für das eilfertig abgerissene Messecongresscentrum fehlt in Stuttgart also weiterhin. Viele Bands aus der mittleren Größenordnung werden auch weiterhin einen Bogen um die Stadt machen. Dies sollte dringend in der jetzt wieder in Gang gekommenen Debatte über ein neues Konzerthaus für Stuttgart bedacht werden, dessen Dimensionierung und Ausstattung sich selbstverständlich in erster Linie an den dort dann stattfindenden Popkonzerten zu orientieren hat.

Die benötigen natürlich erstklassige akustische Bedingungen, machen bekanntlich das Gros der hier veranstalteten Konzerte aus und sind im Gegensatz zu vielen Klassikkonzerten - die oft vor halbleeren Rängen und einem ständig weiter überalternden Publikum gegeben werden - in der Regel auch so gut besucht wie noch nie: bei beständig nachwachsendem neuem potenziellem Publikum.

Siebzig Jahre und gemächlich

Ausnahmen bestätigen die Regel. Zu besichtigen war das etwa am Freitagabend in den Wagenhallen, wo der knapp fünfzigjährige Berichterstatter zu den Saaljüngsten zählte. Auf der Bühne stand übrigens eine der beiden Barclay James Harvests. Leidlich uneins ging die Band 1998 auseinander, seither existieren skurrilerweise John Lee’s Barclay James Harvest und – hier live in Stuttgart – Barclay James Harvest featuring Les Holroyd. Dem Musiker Holroyd sieht man auch am sehr gemächlichen Habitus seine siebzig Lenze relativ mühelos an. Wie die Band allerdings zu den Etiketten Art- und Progressive-Rock gekommen ist, die ihr einmal angeheftet worden sind, ist völlig schleierhaft.

Zu hören war ein sehr konventionell angelegtes Classic-Rock-Konzert in stets relativ getragenem gleichförmigem Tempo, ohne jegliche nennenswerte metrische oder rhythmische Variation, von eindimensionaler Harmonik und unspektakulärer Melodik. Diese desillusionierende Simplizität in allen musikalischen Parametern retteten weder das – immerhin! - mit vier Gitarren vorgetragene Medley nach der Pause noch der Nostalgiefaktor bei den beiden Evergreens „Mocking Bird“ (gleich nach Beginn) und „Hymn“ (als letzer Song vor der Zugabe). Denn für echte Wiederhörensfreude am seinerzeit Miterlebten hätte man 1974 im Teenageralter und heutzutage als rund Sechzigjähriger immer noch Fan dieser Musik sein müssen. So gesehen überrascht’s nicht wirklich, dass eine Band, die 1980 vor 175 000 Menschen vor dem Berliner Reichstag spielte, jetzt gerade noch 450 Zuhörer lockt.

Aber daran sind nun wirklich nicht die Wagenhallen schuld.