Der Balkon riss zwei weitere mit sich, ein Mann und sein Kind wurden nur leicht verletzt. Foto: dpa

Nach einem Balkonsturz im Sommer sind noch immer fast hundert Balkone gesperrt. Eine nachlässige Prüfung war schuld an dem Unglück.

Nußloch - Den Lärm des Aufpralls haben die Nachbarn nicht vergessen: „Das war wie ein Kanonenschlag“, sagt einer der Bewohner des Mehrfamilienhauses in der Heidelberger Straße in Nußloch (Rhein-Neckar-Kreis). Mitte Juli war dort im dritten von vier Geschossen ein Balkon abgebrochen und hatte zwei darunterliegende mit sich gerissen. Glück im Unglück hatten ein 33-Jähriger Mann und sein zweijähriger Sohn, die auf dem oberen der Balkone waren und mit ihm abstürzten; beide trugen nur kleine Blessuren davon, die ambulant behandelt wurden. Ein Statiker hatte wenig später bei einer Sicherheitsuntersuchung im Auftrag des Nußlocher Bürgermeisters Fehler bei der Bauausführung ausgeschlossen und festgestellt, dass bei dem Unglücksbalkon die Eisenmatten im Beton durchgerostet waren. Bei den Balkonen darunter waren sie hingegen noch intakt.

Kurz vor dem Jahreswechsel hat die Heidelberger Staatsanwaltschaft auch die strafrechtlichen Ermittlungen abgeschlossen. Die Ursache des Abbruchs war demnach eine Undichtigkeit am Übergang von der Gebäudewand zur Balkonplatte. Ein Handwerker, der vor 15 Jahren damit beauftragt gewesen sei, die Oberfläche des Balkons zu überprüfen, habe die ersten, noch leichten Mängel übersehen oder seinem Auftraggeber nicht gemeldet, erklärte der Pressesprecher der Behörde. „Mit den Jahren sind die zunächst kleinen Schäden immer gravierender geworden, wodurch die Armierung peu à peu korrodiert ist“, sagte er. Man habe aber die Schuld des Mannes als vergleichsweise gering bewertet und daher das Verfahren gegen ihn – mit Zustimmung des Gerichts – eingestellt, teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Das Betretungverbot besteht noch

Während das strafrechtliche Kapitel des Falles damit beendet ist, leiden die Bewohner des Unglückshauses und sieben weiterer baugleicher Wohnblocks in der Nachbarschaft, die alle vor etwa 50 Jahren von derselben Gesellschaft errichtet worden sind, weiterhin unter den Nachwirkungen, denn noch immer sind die Balkone von insgesamt 96 Wohnungen gesperrt. Die Baubehörde des Rhein-Neckar-Kreises hatte nach dem Unglück für alle vorsorglich ein amtliches Betretungsverbot verhängt und Nachweise für deren Sicherheit gefordert.

Entgegen der ersten Erwartungen sind diese offenbar nicht so einfach zu erbringen, wie die Betroffen anfangs hofften. Bisher jedenfalls wurden nach Auskunft des Kreises noch keine einzige Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorgelegt. „Die Betretungsverbote gelten daher alle noch immer“, erklärte das Landratsamt.

Offenbar liege dies auch daran, dass es in einigen Häusern verschiedene Eigentümer gebe, die sich noch nicht über ein einheitliches Vorgehen verständigt hätten, heißt es im Nußlocher Bauamt. Auch unter den Statikern, so hört man vor Ort, zögern einige damit, die Bescheinigungen auszustellen. „Auch wenn die untersuchten Balkone sicher sind, ist im Innern manchmal nicht alles ganz genauso, wie es womöglich nach den Vorschriften sein sollte“, erklärt einer von ihnen, der anonym bleiben möchte. „Solche Probleme finden sich in ganz Deutschland bei vielen Balkonen, wenn man genauer hinsieht. Aber wenn erst mal einer heruntergekommen ist, tut man sich natürlich schwer mit einer Unterschrift“, gesteht er noch.

Raucher müssen vor die Haustür

In dieser Situation und angesichts möglicherweise hoher Sanierungskosten hat sich knapp die Hälfte der Hauseigentümer dazu entschieden, die Balkone zu ersetzen. Die ersten Anträge zur Genehmigungen für Abriss und Neubau sind vom Landratsamt schon bewilligt. Die Eigentümer der übrigen Häuser überlegen noch, wie sie verfahren wollen.

„Wir wissen noch immer nicht, wann es weitergeht“, erzählt einer der Mieter. „Unsere Vermieterin hat uns bisher nur gesagt, es sei noch offen.“ Und: „Wir trocknen nur noch die Wäsche auf dem Balkon. Da hängen wir die Sachen einfach in der Wohnung auf das Ständerchen und schieben es dann raus“, versichert er. Im Sommer, „an warmen Abenden, haben wir uns manchmal heimlich rausgesetzt, wenn es dunkel war“, verrät er nach kurzem Zögern und lacht. Eine junge Mutter mit ihren zwei Kindern indessen hat das Balkonverbot strikt eingehalten. „Wir wohnen ganz oben. Mein Mann muss jetzt halt zum Rauchen immer die vier Treppen runter.“