Auch Mängel beim Zugmaterial der Bahn- Tochter DB Regio sind für die Vielzahl von Verspätungen verantwortlich. Nun wird fieberhaft repariert. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In ganz Deutschland hat die baden-württembergische Bahntochter DB Regio Waggons zusammengesammelt. Seit sie fahren, gibt es massive Verspätungen. Mit viel Aufwand wird das Material in den Werkstätten jetzt gerichtet. Hat man sich lauter Montagswagen andrehen lassen?

Stuttgart - Im Doppelstockwagen auf Gleis W 3 hängt schon die neueste Ausgabe des Bahnmagazins „Mobil“ über den Sitzen. Derweil tauschen auf Gleis W 6 zwei Arbeiter die Sitzbezüge aus. Hier, in der 200 Meter langen Werkstatthalle Stuttgart-Stadtpark, geht es um nicht mehr und nicht weniger als den guten Ruf der Deutschen Bahn – oder was in den vergangenen Monaten davon übrig blieb. Im Nahverkehr rund um Stuttgart hakte es gewaltig. Massenhaft kamen Züge zu spät. Als im Spätherbst die Probleme ihren Höhepunkt erreichten, fielen pro Woche weit mehr als 100 Züge teilweise oder ganz aus. Pendler beschwerten sich. Der Verkehrsminister bat die Bahn zum Rapport und formulierte sogar eine Abmahnung.

Krankheitswelle und defekte Wagen

„Wir sind in qualitativer Hinsicht durch eine gewisse Delle gegangen“, räumt Alexander Burkhardt ein. Der Leiter der Abteilung Instandhaltung bei der baden-württembergischen Nahverkehrstochter DB Regio weiß, dass es auf ihn und seine Männer ankommt. Denn neben einer rätselhaften Krankheitswelle bei Lokführern und Zugbegleitern war auch das Wagenmaterial ein Grund für die Verspätungen. Jetzt werden Sonderschichten geschoben, um die Probleme, die vor allem auf der Frankenbahn und der Filstalbahn aufgetreten sind, in den Griff zu bekommen. „Bei den Türstörungen sind wir schon erheblich besser geworden“, sagt Burkhardt.

Hintergrund sind die seit dem 1. Oktober geltenden Übergangsverträge für den Nahverkehr in Baden-Württemberg. Darin hatte die Bahn dem Land zugesagt, ihre Fahrzeugflotte zu verjüngen und für die Fahrgäste mehr Komfort zu schaffen. Vor allem sollten die alten „Silberlinge“, die zwar nach einer Modernisierung längst nicht mehr silbern sind, aber dennoch aus den 70er Jahren stammen, Zug um Zug durch neuere Doppelstockwagen ersetzt werden.

Der älteste Wagenpark in Deutschland

Tatsächlich hatte der so genannte große Verkehrsvertrag aus dem Jahr 2003 zu einem gewissen Modernisierungsstau geführt. Im Vergleich zu anderen Bundesländern habe Baden-Württemberg gewiss den ältesten Wagenpark gehabt, sagt Burkhardt. Dies habe sich seit dem 1. Oktober geändert. Das Flottenalter habe um 15 Jahre gesenkt werden können.

Doch die jüngeren Wagen fuhren keineswegs besser, wie sich in der Folge zeigt. Die baden-württembergische DB Regio bediente sich nämlich bei der Bahninternen Börse, das heißt, sie verschaffte sich gebrauchte Waggons anderer Regionalverkehrsgesellschaften. Vor allem aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wurden Doppelstockwagen geliefert. Wie sich zeigte, waren sie nicht immer kompatibel. Man habe die Probleme unterschätzt, vermutet Stefan Buhl vom Fahrgastverband Pro Bahn. Zudem liege die Vermutung nahe, dass die DB-Töchter in den anderen Bundesländern nicht eben ihre besten Wagen in den Südwesten schickten. „Da dürfte mancher Montagswagen darunter gewesen sein.“

27 verschiedene Toilettenschüsseln

Martin Selig, der Regionalleiter Produktion bei der DB Regio, möchte das nicht bestätigen. Allerdings liege der Teufel eben im Detail. Offenbar ist DB nicht gleich DB. „Es gibt 40 verschiedene Arten von Doppelstockwagen“, sagt Selig. Aus seiner Zeit in Hamburg wisse er, dass allein im dortigen Ausbesserungswerk 27 verschiedene Toilettenschüsselformen vorrätig gewesen seien. In Baden-Württemberg dürfte die Vielfalt aufgrund der unterschiedlichen Herkunft der Wagen noch größer sein. Deshalb habe man sich inzwischen bei anderen Werkstätten in Deutschland Rat geholt. Aus Wittenberge in Brandenburg wurde sogar eine mobile Einsatzgruppe geschickt, die seit Anfang März defekte Züge bei Aufenthalten in Bahnhöfen repariert.

Silberlinge kommen aufs Abstellgleis

Insgesamt habe man rund 23 Millionen Euro in den Umbau der Fahrzeugflotte investiert, sagt Selig. Auf der Strecke über Ulm an den Bodensee gebe es demnächst WLAN, Videoüberwachung und größere Fahrradabteile. Allerdings verfüge auch in Zukunft nur die Hälfte der 400 DB-Waggons über Klimaanlagen. Erst im Jahr 2020, dann aber sicher, sollen die letzten 100 Silberlinge aufs Abstellgleis rollen.