Verspätungen kommen vor allem durch eine dauerhafte Überlastung des Netzes zustande. Foto: dpa

Interne Bahnanalysen zeigen die gravierende Überlastung der Netze – deren Leistungsfähigkeit hält mit dem stark angestiegenen Verkehrsaufkommen nicht Schritt.

Berlin - Bis 2030 will die Bundesregierung viel mehr Fahrgäste und Güter auf die Schiene holen. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat vorigen Herbst ein Zukunftsbündnis Schiene gestartet. Fünf Arbeitsgruppen mit Experten aus Politik, Wirtschaft und Verbänden sollen klären, wie die Bahn besser und leistungsfähiger werden kann. Am Dienstagabend werden Minister Scheuer, sein Staatssekretär Enak Ferlemann und Richard Lutz, Vorstandschef der Deutschen Bahn AG, erste Ergebnisse in Berlin vorstellen. Thema soll vor allem der Deutschland-Takt sein, der ab dem Jahr 2030 „öfter, schneller und überall“ für bessere Verbindungen auf der Schiene sorgen soll. Das ist internen Berichten der Arbeitsgruppen zu entnehmen, die unserer Redaktion vorliegen.

Die Berichte zeigen auch erschreckend deutlich, wie weit der Weg zu einer besseren Bahn noch ist. Besonders kritisch fällt die Bestandsaufnahme der zentralen Ar-beitsgruppe 2 aus, die sich intensiv mit der dringend nötigen Erweiterung der Kapazitäten im bereits vielerorts überlasteten Schienennetz beschäftigt. In den Analysen kann Minister Scheuer nachlesen, warum der ICE-Fernverkehr der DB AG im vorigen Jahr nur an 75 Prozent der Stationen halbwegs rechtzeitig ankam. Die Hauptursache ist die hohe Netzbelastung, die zwischen 1999 und 2017 um enorme 23 Prozent gestiegen ist. Es muss also fast ein Viertel mehr Fern-, Regional-, Nah- und Güterverkehr auf Gleisen und an Bahnhöfen abgewickelt werden.

Dadurch sind der Westkorridor zwischen Rhein und Alpen, der Nord-Süd-Korridor von Skandinavien zum Mittelmeer sowie in den sechs großen Knoten Köln, Frankfurt, Mannheim, Hannover, Hamburg und München immer häufiger überlastet. 85 Prozent des Bahnverkehrs finden auf nur rund 60 Prozent des Netzes statt. Das allerdings hat ebenfalls Gründe. Denn oft fehlen leistungsfähige Ausweich- und Parallelstrecken, weil die Verkehrspolitik in den vergangenen Jahrzehnten wenig Weitblick zeigte.

So schrumpfte das Gleisnetz durch Stilllegungen seit der Bahnreform 1994 von 44 600 auf heute noch 38 500 Kilometer. Oft wurden weniger befahrene Regionalstrecken außer Betrieb genommen. Allein zwischen 1999 und 2017 wurden zudem 32 Prozent der Ausweichgleise und Weichen abgebaut, wie der Expertenbericht feststellt.

Mit dem Abbau sei die Betriebsflexibilität gesunken, kritisiert die Arbeitsgruppe. Denn bei Störungen fehlen seither oft Alternativen und Reserven, die eine gute Netzqualität auszeichnen. Das habe negative Auswirkung auf die Pünktlichkeit im deutschen Schienenverkehr. Denn Verspätungen können nicht mehr abgebaut werden, sondern werden im Gegenteil auf viele weitere Züge übertragen.

Das unerfreuliche Zwischenfazit der Fachleute: Schon jetzt gebe es „Staueffekte“ und Überlastungen im Netz, die Betriebsqualität sei gesunken und der erwartete Mehrverkehr könne nicht „qualitätsgerecht“ gefahren werden.

Die Experten fordern von Scheuer, vor allem die vielen Engpässe zügiger zu entschärfen. Zehn Projekte mit höchster Priorität werden genannt, darunter sie sechs großen Bahnknoten, die Neubaupiste Frankfurt-Mannheim, der Rhein-Ruhr-Express, die Rheintalstrecke Karlsruhe-Basel, der Neu- und Ausbau von Karlsruhe bis Molzau, die verbesserte Anbindung der Nordseehäfen Hamburg und Bremen sowie die Modernisierung des Netzes für 740-Meter-Güterzüge. Hier sei mehr Tempo nötig.