Gleise, Weichen und Signaltechnik werden erneuert. Foto: dpa

Die Bahn erneuert ihre ältesten Hochgeschwindigkeitsstrecken. Reisende müssen sich auf Umleitungen, Zugausfälle und längere Fahrzeiten einstellen.

Berlin - Mit der sechsmonatigen Totalsperrung des Abschnitts Hannover–Göttingen hat die Deutsche Bahn AG am Dienstag ihren jahrelangen Bau-Marathon bei wichtigen ICE-Strecken begonnen. Nächstes Jahr soll im Südwesten die ebenfalls viel befahrene Strecke Stuttgart–Mannheim folgen, bei der vom 10. April bis zum 31. Oktober 2020 Oberbau und Technik modernisiert werden. Für Reisende kommt es in diesen Zeiten zu erheblichen Einschränkungen im Fern- und Regionalverkehr. Im Internet kursieren in den einschlägigen Foren der Bahnexperten wie dem ICE-Treff bereits Auflistungen mit mehr als einem Dutzend Intercity- und ICE-Linien, die allein wegen der Vollsperrung Stuttgart– Mannheim womöglich umgeleitet werden müssen, länger unterwegs sind oder ganz ausfallen. Bei der DB heißt es, dass die Baustellenfahrpläne noch in Arbeit seien.

Fahrgastverband lobt bisherige Informationspolitik der Bahn

Der Fahrgastverband Pro Bahn lobt den Konzern für die bisherige Informationspolitik. „Die Öffentlichkeit wurde bereits seit vorigen Herbst gut über die Pläne und ersten Umleitungen unterrichtet“, sagt der Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann. Nun komme es darauf an, dass die Baustellen-Fahrpläne funktionierten und es nicht zu weiteren Verspätungen komme. Der Auftakt im Norden habe geklappt. „Die Sanierung mit Vollsperrung spart viel Zeit“, so Naumann, „Baustellen mit eingleisigem Betrieb würden zwei- bis dreimal länger dauern. Das wäre kein Vorteil für die Bahnkunden.“ Die beiden ältesten ICE-Strecken sind seit 1991 im Dauerbetrieb und benötigen dringend eine Generalsanierung. Bis 2023 fließen 825 Millionen Euro in die Erneuerung, die der Chef der DB Netz AG, Frank Sennhenn, als Kraftakt bezeichnet, mit dem die zwei Paradestrecken fit für die nächsten Jahrzehnte gemacht werden sollen. Erneuert werden in fünf Etappen Gleise, Weichen und Signaltechnik. Kunden sollen möglichst früh über die Maßnahmen, Umleitungen, Zugausfälle und längere Fahrzeiten informiert und Zeitkarteninhaber teils auch entschädigt werden.

Im April 2020 folgt die Strecke Stuttgart-Mannheim

Die Totalsperrung Hannover–Göttingen soll bis zum 14. Dezember 2019 dauern. Die Züge werden durch das Leinetal über Northeim und Elze umgeleitet, sind bis zu 45 Minuten länger unterwegs und fallen teils auch ganz aus. Danach folgt am 10. April 2020 die Sperrung zwischen Stuttgart und Mannheim, damit 190 Kilometer Gleise, 54 Weichen, 315 000 Schwellen und 200 000 Tonnen Schotter ausgetauscht werden können. Allein für diesen 99 Kilometer langen Abschnitt mit 90 Brücken und 15 Tunneln sind 185 Millionen Euro Kosten veranschlagt. Am 31. Oktober 2020 sollen die Arbeiten erledigt sein. Längere Fahrzeiten wird es wegen der Sanierungen unter anderem von Stuttgart nach Frankfurt, Köln sowie Berlin geben. Im Jahr darauf soll die Strecke Göttingen–Kassel folgen (23. April bis 15. Juli 2021), dann Fulda–Würzburg (2022) und zuletzt Kassel–Fulda (2023). Zwischen Hannover und Würzburg erneuert die Bahn während der vier Bauetappen insgesamt 532 Kilometer Gleise, 224 Weichen, 800 000 Schwellen und 500 000 Tonnen Schotter. Diese Maßnahmen kosten rund 640 Millionen Euro. Nach Angaben der Bahn sind wegen dieses Bau-Marathons die Fernzüge unter anderem zwischen Hamburg und Frankfurt, Berlin und Frankfurt und Hamburg und München je 30 bis 45 Minuten länger unterwegs. Von Frankfurt/Main nach Hamburg sowie Berlin werde es zudem „Kapazitätseinschränkungen“ geben, also weniger und damit noch vollere Züge.

Zu lange wurde zu wenig investiert

Die ICE-Piste von Hannover bis Würzburg ist mit mehr als 15 Millionen Fahrgästen die Hauptmagistrale des Fernverkehrs auf der Schiene in Deutschland. Seit der Eröffnung 1991 waren laut DB-Angaben mehr als 420 Millionen Reisende auf dieser Strecke unterwegs, die 327 Kilometer lang ist, 63 Tunnel durchquert und über 49 Brücken führt. Im deutschen Schienennetz wurde lange zu wenig investiert. Es gibt deshalb einen großen Sanierungsstau, viele Engpässe, veraltete Technik, baufällige Brücken und Tunnel sowie noch nicht elektrifizierte oder gar eingleisige Strecken. Deutschland liegt im internationalen Vergleich weit hinter Ländern wie der Schweiz. Die Alpenrepublik steckt pro Einwohner ein Vielfaches der hiesigen Investitionen in das Bahnnetz. Inzwischen hat die DB Netz AG, die für den Staat die Infrastruktur verwaltet und dafür jedes Jahr viele Milliarden Euro Steuergeld erhält, eine große Modernisierungsoffensive gestartet. Zuvor hatte unter anderem der Bundesrechnungshof mehrfach kritisiert, dass das Bahnnetz auf Verschleiß gefahren und bei Instandhaltung und Sanierung zu sehr gespart werde. Auch das Eisenbahn-Bundesamt hatte hinter den Kulissen interveniert und im Frühjahr 2016 per Verfahren die kurzfristige Sperrung der ICE-Strecke Hannover–Kassel wegen massiver Abnutzungsprobleme durchgesetzt, was bundesweit zu Verspätungen im Schienenverkehr führte und Reisende verärgerte. Die DB behauptete damals, man habe erst kurzfristig durch Gutachten vom dringenden Sanierungsbedarf an der mehr als 25 Jahre alten Strecke erfahren. Tatsächlich kannte der Konzern die Probleme schon mindestens sieben Jahre, wie interne Unterlagen belegten. Trotzdem wurde die Grundsanierung immer wieder verschoben.