Für eine Leichenschau werden im Durchschnitt 33 Euro berechnet. Foto: ZB

Der „letzte Dienst am Patienten“ wird schlecht bezahlt. Eine Leichenschau ist aufwendig, die Entlohnung gering, Fehler passieren regelmäßig.

Karlsruhe - Wenn ein Mensch stirbt, ist nicht nur der Kummer oft groß. Angehörige müssen vieles organisieren, ein Bestatter muss bestellt, die Beerdigung geplant werden. Doch zuallererst muss ein Arzt gerufen werden. Denn ein Mediziner muss den Toten untersuchen, um den Totenschein auszustellen. Das nennt sich Leichenschau und ist eine Leistung, um deren Bezahlung es seit Jahren Streit gibt - und immer wieder auch Ermittlungen rund um die Abrechnung dieser Leistung. Genau deswegen ist der niedergelassene Arzt S., der seinen wirklichen Namen nicht veröffentlicht sehen will, gerade richtig sauer.

Er gehört zu etwa 100 Medizinernaus dem Raum Karlsruhe, gegen die die Staatsanwaltschaft derzeit wegen Betrugs ermittelt: Die Ärzte sollen Angehörigen zu viel für Leichenschauen berechnet haben. Statt der in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) festgelegten durchschnittlich 33 oder - je nach Schwierigkeit - 51 Euro pro Leichenschau plus Wegegeld hat beispielsweise S. doppelt oder auch dreimal soviel berechnet. Betrugsabsicht war das nicht, sagt er, sondern gängige Praxis. Er fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Thema ist „sehr emotional besetzt“

Der Fall wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf das so emotionale wie komplexe Thema Leichenschau. „Es handelt sich um eine ärztliche Leistung, die erstmal niemandem mehr hilft“, sagt Brigitte Joggerst vom Ärzteverband öffentlicher Gesundheitsdienst Baden-Württemberg. „Es ist sehr emotional besetzt - für Patienten, aber genauso auch für Ärzte“, erklärt Jürgen Herbers, Facharzt für Allgemeinmedizin in Pleidelsheim bei Ludwigsburg.

Bundesweit klagen Mediziner seit Jahren über die viel zu geringe Entlohnung für diesen „letzten Dienst am Patienten“, den die meisten Kollegen nach Herbers’ Worten gerne leisten und für den sie auch mal gar nichts verlangen. Dennoch: „So mancher Arzt fühlt sich veräppelt, wenn er sich die Gebühr ansieht und damit vergleicht, was beispielsweise ein Schlüsseldienst bekommt“, sagt er. Seit dem Jahr 1996 sei die GOÄ nicht mehr angepasst worden, ergänzt ein Sprecher der Landesärztekammer. „Die Ärzteschaft ist aus nachvollziehbaren Gründen ausgesprochen unzufrieden.“

Keine Zuschläge für Nacht oder Wochenenden

„Es gibt grundsätzlich keine Zuschläge für die Nacht oder die Wochenenden“, sagt S.. Selbst die immer noch mickrigen maximal 51 Euro dürften nur verlangt werden, wenn die Leiche beispielsweise stark verwest ist oder lange im Wasser lag. Ob zusätzlich ein Krankenbesuch abgerechnet werden darf, darüber wird gestritten. Viele Ärzte tun es dennoch. Das Thema sei ein Aufreger, erzählt Herbers. Es gebe inzwischen Rundschreiben von Bestattern, die die Ärzte vor „Razzien“ warnten.

Auch für die Polizei etwa in Baden-Württemberg ist das Thema Leichenschau ein empfindliches - aus ganz anderen Gründen. Beamte müssten vor allem auf dem Land nicht selten stundenlang warten, bis ein Arzt die Leiche begutachte, sagt eine Sprecherin des Karlsruher Präsidiums. Die Behörde bemühe sich daher in regelmäßigen Abständen um sogenannte Polizeivertragsärzte, die im Notfall erreichbar seien. Zurzeit sind es zehn, eine Aktion zur Anwerbung weiterer Vertragsärzte läuft gerade. Die Bezahlung richtet sich allerdings ebenfalls nach amtlichem Gebührenverzeichnis. So richtig reißt sich niemand darum.

Wie viele solcher Vertragsärzte es im Land gibt, ist nach Angaben aus dem Innenministerium in Stuttgart nicht bekannt. Allerdings betont ein Sprecher ausdrücklich die Bedeutung einer qualifizierten Leichenschau. Durch den Arzt erfolge die entscheidende Weichenstellung, ob nach einem Todesfall Ermittlungen in Gang kommen.

Rechtsmediziner bemängeln Qualität der Leichenschau

Berichte über Fehler bei Leichenschauen, bei denen ein Tötungsdelikt übersehen wird, gibt es. Auch Rechtsmediziner bemängelten immer wieder die Qualität der ärztlichen Leichenschau, heißt es aus dem Stuttgarter Sozialministerium. „Viele Ärzte führen nur selten eine Leichenschau durch. Da ist es schwierig, Erfahrungen zu sammeln“, bestätigt Joggerst. Erkenntnisse über eine Fehlerquote gibt es laut Innen- und Sozialministerium aber nicht.

Die Ärzteschaft spricht sich recht einhellig für die Einführung eines amtlichen Leichenbeschauers aus, so wie es etwa in Bremen bereits praktiziert wird. Dort ist die sogenannte „qualifizierte Leichenschau“ durch einen speziell dafür ausgebildeten Arzt Pflicht. Flächenländer könnten aber nicht nach gleichem Muster vorgehen wie Stadtstaaten, heißt es vom Sozialministerium. Außerdem wäre dies mit hohen Kosten für die Hinterbliebenen verbunden, weil die erheblich längeren Fahrzeiten aufgefangen werden müssten. „Die Qualität der ärztlichen Leichenschau könnte durch speziell fortgebildete ärztliche Leichenbeschauer sicher verbessert werden“, räumt das Ministerium ein.

„Selbst wenn man wollte: Daran kann man sich nicht bereichern“

Mehr Fortbildung wäre jedenfalls dringend vonnöten, sagt S., und zwar allein schon, was die Abrechnung betrifft. Denn der Arzt gibt an, die entsprechende Abrechnungsziffer der rund 700 Seiten starken GOÄ gar nicht gekannt und sich an dem orientiert zu haben, was seine Kollegen verlangen. Das wiederum versteht die Landesärztekammer nicht: „Ich will niemandem zu nahe treten. Aber wir informieren seit Jahren über dieses Thema“, sagt ihr Sprecher.

Den Vorwurf des Betrugs findet S. dennoch empörend. In den vier Jahren, seit er sich niedergelassen hat, hat er schätzungsweise zwei Dutzend Leichenschauen durchgeführt. „Selbst wenn man wollte: Daran kann man sich nicht bereichern“, sagt er.