Alberto Giacometti und Francis Bacon im Jahr 1965 Foto: © Graham Keen

Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel bringt Francis Bacon mit Alberto Giacometti zusammen - und entdeckt eine Verwandtschaft in Gegensätzen.

Basel - Eine Frau, zwei Männer. Normalerweise enden solche Geschichten mit Mord und Totschlag, aber im Fall von Francis Baconund Alberto Giacometti war es anders. Nachdem die Malerin Isabel Rawsthorne die zwei monomanischen Sonderlinge einander vorgestellt hatte, entwickelte sich zwischen ihnen ein intensiver künstlerischer Austausch. Die flamboyante Britin mit den markanten Gesichtszügen, die im Zweiten Weltkrieg als Agentin für den Secret Service tätig war, liebte zunächst Giacometti. Später soll sie die einzige Frau gewesen sein, mit der Francis Bacon, der bekennende Homosexuelle, eine erotische Beziehung hatte. Vor allem aber saß sie den beiden mehrfach Modell. Dem urwüchsigen Schweizer Bildhauer ebenso wie dem acht Jahre jüngeren, in Irland geborenen Blut-und-Wunden-Maler.

Welche Spuren haben Freundschaft und gemeinsame Frau im Schaffen der Künstlerheroen hinterlassen? Das wollte die Fondation Beyeler in Basel-Riehen auch wissen, und ihre mit rund einhundert Arbeiten besetzte Dialogpräsentation fördert in der Tat Spannendes zu Tage.

Dabei gibt es auf den ersten Blick kaum unterschiedlichere Künstlercharaktere: Während der dionysische Bacon bei den nächtelangen Diskussionen trank und trank, begnügte sich der Asket Giacometti damit, eine Zigarette nach der anderen zu qualmen. Gewiss, sie waren beide Außenseiter allein dadurch, dass sie sich quer zum abstrakten Zeitgeist stellten und konsequent an der menschlichen Gestalt festhielten. Ansonsten aber scheint rein gar nichts die schrundig gebrannten Spargelkörper Giacomettis mit Bacons barocken Schlachtfesten zu verbinden.

Bei beiden Künstlern haben die Körper etwas Geknetetes, aus roher Masse Geschaffenes

Doch spätestens der zweite Saal, der sich den Porträts der einvernehmlich geteilten Muse Isabel Rawsthorne widmet, offenbart eine Verwandtschaft in Gegensätzen. Immer haben die Körper etwas Geknetetes, aus grober Materie Geschaffenes. Giacomettis nach Isabel entstandener Porträtkopf aus den 30ern verrät bis heute, wie entschlossen die Hände waren, die hier ihre Finger in die Modelliermasse gedrückt haben. Auch Bacon behandelt Körper und Gesichter, als wären sie skulptural formbar. Mit dem Unterschied, dass seine Modelliermasse das rohe Fleisch selbst ist. Rawsthornes Antlitz verwandelt sich da in den blutigen Kopf einer Raubkatze, die von der Jägerin zur Gejagten wurde und der man das Fell über die Ohren gezogen hat.

Obschon nicht gehäutet, sondern aus gebrannter Erde beziehungsweise aus erstarrtem Bronzeguss, befinden sich auch die Statuetten des Eidgenossen in einem Aggregatzustand zwischen fest und flüssig. So vor allem die berühmten Schreitenden des Spätwerks. Wie zäher Lehm klebt ihnen der Sockel am Klumpfuß und macht sie zu Heroen einer tragisch-absurden Vergeblichkeit. Trotz der forschen Schrittgeste werden diese verlorenen Daseinswanderer ihr Ziel niemals erreichen.

Aufschlussreich sind aber auch andere Details. Schon die Bacon-Schau der Stuttgarter Staatsgalerie wies 2016 darauf hin, welche Bedeutung der ehemalige Möbeldesigner der architektonischen Umgebung seiner Körperdramen zumaß. Seine Figuren toben und leiden auf klaustrophobischen Interieurbühnen oder in einer surreal verwandelten Zirkusarena. Häufig definiert den Umraum der Gestalten auch ein dünnes, käfigartiges Geviert. Darin öffnen zerfleischte Kreaturen die Münder zu einem stummen Geschrei. Das leidende Fleisch brüllt im Gefängnis der Form. In metallische Rahmenbauten, wie sie Bacon seinen Papstparaphrasen nach Velázquez oder dem erbarmungswürdigen „Chimpazee“ (einer Leihgabe aus Stuttgart) malt, sperrte bereits Giacometti seine Figuren. Etwa die verstörenden Hungerkünstler aus dem Ensemble „La Cage“ von 1949/50. Oder jenen zum zahnlosen Greis gealterten Pinocchio („Le Nez“).

Der Mensch ist geworfen in Angst und Todesfurcht

Man mag in all dem das existentialistische Philosophenpostulat von der Geworfenheit des Menschen in Angst und Todesfurcht erkennen, das Nachzittern des Holocausts oder die in den 50ern und 60ern so reale Drohung eines Atomkriegs. Die Eindringlichkeit der Schau resultiert aus der Offenheit der möglichen Bezüge. Jeder findet hier seine eigenen Dämonen. Bacons Märtyrertafeln an den Wänden und Giacomettis elendsdürre Stockmenschen in der Saalmitte – bei Beyeler vereinen sie kongenial ihre ästhetische Strahlkraft und sorgen für ein selten bedrängendes, intensives Ausstellungserlebnis.

Da der Brite unterm Strich mit mehr Monumentalformaten vertreten ist, haken seine Werke sich möglicherweise etwas stärker ins Bewusstsein ein als die des Eidgenossen, dessen figurale Chiffren weniger Abwechslung bieten. Doch in der Gesamtbilanz wird die Schau dadurch kaum weniger sehenswert. Denn man fühlt, dass diese Bilder einen irgendwie angehen. Immer noch und vielleicht mehr als die gesellschaftskritischen Interventionen einer Gegenwartskunst, die den Sprung vom aktuellen Einzelfall zum überhistorischen Allgemeinen nur allzu oft verpasst.

Bacon und Giacometti indes wurden gerade dadurch zu Klassikern menschlicher Bedrohtheit, weil sie eindeutige aktuelle Bezüge ausmerzten. Am radikalsten natürlich der Skulpteur in seinem Verweis auf ägyptische und etruskische Vorbilder. Doch auch Bacon bog seine Kunst aufs Archaische zurück. So sind die Podeste und Manegen auf seinen Gemälden ungeachtet der bisweilen poppigen Farbigkeit Altäre einer mythischen Menschenopferung. Was die Künstler schon lange vor der persönlichen Begegnung teilten, war ein tief sitzender Zweifel an der geradlinigen Fortentwicklung der Moderne. Vielleicht ist das die wesentlichste der vielen Gemeinsamkeiten, die sich in Basel auftun.

Bis 2. September, Baselstr. 101, Mo-So 10-18, Mi -20 Uhr.