„Der Übergang von der Schule zum Beruf ist die letzte Interventionschance des Staates“, sagt Scheele. Foto: dpa

Detlef Scheele, der Chef der Bundesagentur für Arbeit, setzt auf präventive Ansätze, um Arbeitslosigkeit gar nicht erst entstehen zu lassen. Im Interview erklärt er, wann der Grundstein für ein erfolgreiches Berufsleben gelegt wird, und wieso Weiterbildung immer wichtiger wird.

Stuttgart - Die Bundesagentur für Arbeit will 950 zusätzliche Berater an die Schulen, Berufsschulen und Universitäten schicken, um junge Männer und Frauen über die Möglichkeiten der Berufsausbildung aufzuklären. Aber nicht nur Schüler und Berufseinsteiger sollen künftig stärker durch die Behörde beraten werden, wie BA-Chef Detlef Scheele erklärt.

Herr Scheele, trotz der generell guten Aussichten scheitern Jugendliche bei der Ausbildungsplatzsuche. Wie kann ihnen geholfen werden?

Bei den Bewerbern wird manchmal etwas mehr regionale Mobilität nötig sein: Sie müssen nicht gleich durch die ganze Republik reisen, um ihren Wunschberuf zu finden, manchmal reicht schon der Umzug in einen anderen Landkreis. Und es ist mehr Kompromissbereitschaft aufseiten der Arbeitgeber nötig: Sie müssen sich auch auf Kandidaten einstellen, die keine Olympioniken sind. Es gibt genügend Angebote, wie die assistierte Ausbildung oder ausbildungsbegleitende Hilfen, um Jugendliche, die es etwas schwerer haben, erfolgreich durch die Ausbildung zu bringen.

Leider immer noch viel zu oft trifft die Gleichung Vater Hartz IV + Mutter Hartz IV = Kinder hohes Hartz-IV-Risiko zu. Was macht unsere Gesellschaft falsch?

Die Rahmenbedingungen, diesen „Vererbungskreislauf“ zu durchbrechen, gibt es eigentlich. Wir müssen es nur mit Nachdruck tun und dazu auch besser zwischen den Behörden und Institutionen zusammenarbeiten: Unsere Mitarbeiter in den Jobcentern sind zum Beispiel angehalten, Eltern in der Beratung zu fragen, ob ihr Kind in der frühkindlichen Bildung ist. Wenn man verhindern will, dass die Kinder in Klasse 8 scheitern, dann müssen sie zum Beispiel mit guten deutschen Sprachkenntnissen eingeschult werden. Der Schlüssel liegt in Kita, Kindergarten und Ganztagsschulbetreuung. Die Länder sollten das Ganztagsschulangebot und das Bildungsangebot in Kitas und Kindergärten ausbauen.

Sie selbst haben junge Menschen mit schwierigen Ausgangsvoraussetzungen unterstützt und später den Begriff „fürsorgliche Belagerung“ geprägt. Was meinen Sie damit?

Es bedeutet nicht, die Jugendlichen jetzt mal hart anzufassen, sondern es geht darum, nicht lockerzulassen. Wenn jemand nicht zum vereinbarten Termin erscheint, darf man nicht sagen, vielleicht kommt er beim nächsten Mal. Sondern man muss schreiben, anrufen und notfalls auch hingehen. Es gibt Jugendliche, die in schwierigen Verhältnissen leben und deren Eltern sich nicht kümmern wollen oder können. Dann muss der Staat mit der Jugendhilfe und uns mehr unterstützen. Der Übergang von der Schule zum Beruf ist die letzte Interventionschance des Staates für einen guten Berufseinstieg.

Manche Arbeitgeber bekommen gar nicht die Chance, hinterher zu sein, weil sie keine Azubis finden. Was sagen Sie Betrieben, die sich von der Ausbildung verabschieden?

Ich finde das schade und tragisch. Jeder Betrieb, der sich aus der Ausbildung zurückzieht, ist ein Verlust für die Wirtschaft – und nimmt Jugendlichen eine Chance. Die Betriebe könnten zum Beispiel mit unserer Berufsberatung und den Schulen kooperieren, um über Schulpraktika frühzeitig Jugendliche für den Ausbildungsjahrgang 2020 zu gewinnen, und sich als attraktive Arbeitgeber präsentieren.

Zu den Berufen mit einem hohen Anteil unbesetzter Lehrstellen zählen Metzger- und Bäckereifachverkäufer, Klempner und Gebäudereiniger. Wie sollen Arbeitgeber diese Berufe attraktiver machen?

Sie könnten ihren Azubis zum Beispiel schon beim Start garantieren, ab einem bestimmten Notendurchschnitt werden wir dich in jedem Fall übernehmen. Sie könnten ihren Lehrlingen auch bei den Arbeitszeiten entgegenkommen, etwa dass sie in der Gastronomie oder im Einzelhandel nicht jedes Wochenende arbeiten müssen.

Sie wollen bundesweit mehr als 950 Berufsberater zusätzlich in die Schulen, aber auch an Berufs- und Hochschulen schicken. Wie bereiten Sie Ihre Mitarbeiter darauf vor?

Das ist anspruchsvoll, und auch wenn jeder Berufsberater bei uns bereits ein Studium absolviert hat, wird es ohne weitere Qualifizierungen nicht gehen. Wir starten damit in diesem Jahr: Das wird in Form einer Weiterbildung mit Zertifikat erfolgen, die etwa ein Jahr dauert.

Die von Ihnen angestrebte veränderte Ausrichtung der Bundesagentur von der Vermittlungs- zur Beratungsagentur bringt auch interne Unruhe mit sich.

Es ist eine Herausforderung, da gebe ich Ihnen recht. Aber wir setzen dafür keine Menschen um, die bisher etwas ganz anderes bei uns gemacht haben – oder nur, wenn diese sich verändern wollen –, sondern widmen in erster Linie durch Fluktuation frei werdende Stellen um.

Sie beraten an vier Pilotstandorten Menschen im Beruf, deren Tätigkeit sich durch den technischen Wandel verändert oder wegzufallen droht. Ihr Verwaltungsrat entscheidet in diesem Jahr über die flächendeckende Ausweitung. Sind Sie zuversichtlich?

Das bin ich. Wir haben durch das neue Qualifizierungschancengesetz, das seit Januar in Kraft ist, zusätzlich Schub bekommen. Zwar hatten wir auch schon vorher den Auftrag, auch Berufstätige zu beraten, aber durch die Digitalisierung und den strukturellen Wandel ist der Druck gestiegen. Wir wollen potenziell betroffene Menschen über ihre Weiterbildungsmöglichkeiten beraten, bevor sie arbeitslos werden.

Für die Weiterbildungsförderung stehen Ihnen in diesem Jahr 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Wie stellen Sie sicher, dass die Mittel nicht vor allem von Konzernen etwa aus der Automobilindustrie – also vom Daimler statt vom Handwerker um die Ecke – in Anspruch genommen werden?

Das ist schon vernünftig aufgeteilt. Konzerne erhalten Weiterbildungsförderungen und Lohnersatz von 15 bis 20 Prozent der Kosten, während Kleinunternehmen bis zu 100 Prozent erstattet bekommen. Aber der Bedarf ist überall da. Der Ingenieur, der seit 20 Jahren bei Bosch Einspritzpumpen konstruiert, die in Elektroautos nicht mehr gebraucht werden, ist genauso berechtigt, eine Qualifizierung zu bekommen, wie ein Mitarbeiter in einem kleinen Handwerksbetrieb.

Wie könnte diese Qualifizierungsoffensive aussehen?

Man wird diese Weiterbildung nicht „von der Stange“ kaufen können. Früher hat ein Vermittler 20 Plätze Schweißerlehrgänge gebucht und die Menschen vermittelt. Es gibt aber nicht 20 Plätze Digitalisierung. Die Digitalisierung findet bei Bosch anders statt als bei einem kleinen Zulieferer. Daher lassen sich die passenden Angebote nur betrieblich entwickeln. Fest steht aber, es werden nicht weniger Arbeitsplätze, sondern andere. Das Anspruchsvolle für die Beschäftigten ist, von Arbeitsplatz A zu Arbeitsplatz B zu kommen.

Ist die BA für diese neue Rolle gerüstet?

Ich stelle mich nicht hier hin und sage, jeder bekommt sofort eine Beratung, wie sie besser nicht sein könnte. Auch für uns ist das neu, Menschen bei einer vollständigen Neuqualifizierung zu beraten. Es ist vergleichsweise leicht zu sagen, was künftig nicht mehr gebraucht wird. Die Herausforderung ist herauszufinden, was kommt, in welchem Zeitraum es kommt und was in den neuen Jobs verdient wird. Es werden möglicherweise auch Menschen aus der Industrie in Bereiche wechseln müssen, in denen weniger gut verdient wird.