Verena Ecker und Clara Ketterer vor ihren Fotos in der Ausstellung im Rathaus Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Es muss nicht immer Fernsehturm, Schlossplatz, Staatsgalerie sein. Statt der üblichen Stuttgart-Sehenswürdigkeiten haben sich die beiden jungen Fotografinnen Clara Ketterer und Verena Ecker auf die Suche nach Motiven abseits der touristischen Highlights gemacht. „Anderswo“ heißt ihre Ausstellung, die derzeit im Rathaus zu sehen ist.

Stuttgart - Der Titel führt womöglich auf die falsche Fährte: Das soll hier bei uns sein? Das soll Stuttgart sein? Nein, das ist nicht Stuttgart, das ist – anderswo! Es ist aber nicht anderswo, sondern irgendwo. Irgendwo in einem eher verborgenen Winkel der Stadt. Oder an einem durchaus bekannten Flecken Stuttgarts, den man vielleicht gar zu seinem Lieblingsplätzchen erkoren hat, ihn aber auf beim Betrachten der Fotos erst allmählich erkennt.

Verena Ecker und Clara Ketterer, im dritten Semester des Masterstudiengangs Elektronische Medien, erhielten die Inspiration für ihr gemeinsames Fotoprojekt in den Semesterferien 2014, als sie über Flohmärkte schlenderten. In einem Secondhand-Laden im Stuttgarter Westen machten sie einen außergewöhnlichen Fund: eine kleine Sammlung alter Fotomappen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auf den bis zu 16 kleinen Fotos maximal in Postkartengröße waren touristische Orte abgebildet – etwa das Osterzgebirge, das italienische Cortina d’Ampezzo oder der Rhein von Mainz bis Köln. Seinerzeit hatten viele Menschen noch keinen Fotoapparat, sondern erinnerten sich mit diesen Mappen an ihre Urlaubszeit.#

Fünf Motivreihen in jeweils besonderer Farbgebung

„Rund 80 Jahre später greifen wir das Konzept auf und verlagern es in die Gegenwart“, so die beiden Studentinnen und WG-Bewohnerinnen. Mit Unterstützung ihres Professors Johannes Schaugg vom Studiengang Audiovisuelle Medien machten sie sich im Wintersemester vier Monate lang an die intensive Arbeit. Fünf Motivreihen in jeweils besonderer Farbgebung entstanden: „In den Tag hinein“ in Beige behandelt Schallplattengeschäfte oder Cafés. Die Reihe „Von Zeit zu Zeit“ erinnert in Brauntönen an „Orte, die unsere Eltern und Großeltern schon kannten“.

„Unter einer Decke“ ist eine weiße Ode an Pinsel, Sägen und Gitarren. „Bis in die Puppen“ ist rot gehalten und beleuchtet das Nachtleben in Stuttgart. „In freier Wildbahn“ schlendert man über Karlshöhe oder Waldfriedhof. Zumeist haben die beiden ihre Motive bereits nach der Farbgebung ausgekundschaftet, nur in seltenen Fällen wurde farblich ein wenig nachgeholfen und aufgepeppt.

Bei der Suche schöpfte das Duo aus dem eigenen Erfahrungsschatz oder stützte sich auf Tipps im Freundeskreis. Das mache den Charme aus, Orte mit besonderer Atmosphäre aufzuspüren, die noch kaum fotografiert wurden und keine Publikumsmagneten sind. „Es ist ein Blick von uns und unseren Freunden auf unsere Stadt“, sagt Clara Ketterer. „Es geht um die kleinen, zurückhaltenden Plätze, die sich nicht in den Vordergrund drängen und alles überstrahlen.“

„Stuttgart kämpft mit allerlei Klischees“

100 Orte kamen in die engere Auswahl, 8000 Fotos wurden davon fabriziert. Anfangs machten sie sich zusammen auf den Weg, doch das wirkte auf manche Gesprächs- oder Fotografierpartner etwas zu wuchtig, so dass sie bald getrennt unterwegs waren – wobei Verena Ecker in der Schnappschuss-Quantität ein deutliches Übergewicht hatte: „Ich streue eher breit, um das passende Motiv zu haben, während Clara mit größerer Vorbereitung und gründlicher agiert.“ Am Ende „haben wir visuell entschieden, und es blieben 60 Fotos übrig“.

„Stuttgart kämpft mit allerlei Klischees“, formulieren es die beiden auf der Rückseite ihres kleinen Flyers zur Ausstellung: „Wo Automobile geboren und Spätzle verspeist werden, verbergen sich unter dem Deckmantel der tüchtigen Schwabenmetropole viele Facetten, die im Verborgenen bleiben.“ Zu sehen ist dann etwa unter der „Wildbahn“-Rubrik jene Brücke auf der Karlshöhe, die jeder in Erinnerung hat, der schon mal dort war. Oder es gibt den Ausflug zur Geröllhalde auf dem „Monte Scherbelino“, also dem Birkenkopf.

Vom 31 Meter hohen Aussichtsturm im Killesbergpark lehnten sich die beiden über die Reling und wagten die mutige Direktsicht nach unten. Die Nachtleben-Schnappschüsse – „wir haben neun Clubs in einer Nacht besucht“, berichtet Verena Ecker – zeigen den Scratcher, also die flinken Finger des Plattenjongleurs in der Bar Romantica, „einem ehemaligen Striplokal“. Die Straßenbahnen im Depot der Zahnradbahn Zacke machen Lust, diese „Rakete“ betitelte außergewöhnliche Theaterbar mal anzusteuern. Die Sitzplatznummern an den Polstersesseln in der Obertürkheimer Kinothek sind ebenso imposant wie die hölzernen Umkleidekabinentüren im Mineralbad Berg.

Die Fotografien im Original sind lediglich sieben auf zehn Zentimeter groß, erläutert Professor Schaugg – in Anlehnung eben an die früheren Fotoheftchen aus den 1930er und 1940er Jahren. Originellerweise entspricht dies auch der Größe, wenn man heutzutage Fotos auf dem Smartphone anschaut – „aber es fühlt sich auf Papier einfach besser an“, sagt Schaugg. Für die Ausstellung im Stuttgarter Rathaus haben sich Ketterer und Ecker allerdings entschlossen, den Interessenten nicht derartige Miniformate zuzumuten, sondern die meisten Motive auf eine Größe von 70 auf 100 Zentimeter zu bannen – „das entspricht also der 100-fachen Fläche“, erläutert Schaugg.

Wer die Motive im Miniformat haben möchte, um sie für sich oder andere Betrachter aus der Hosentasche ziehen zu können, kann die Stuttgart-Fotomäppchen (12 Euro plus Versandkosten) über die Webseite bestellten: www.anderswo-stuttgart.de. Denn, so Clara Ketterer, es ist doch immer schöner, solche schöne Erinnerungen in der Hand halten zu können, also sie auf einem Computer als Datei abrufen zu müssen.

Die Ausstellung ist noch bis Donnerstag, 13. August, im zweiten Obergeschoss des Stuttgarter Rathauses zu sehen.