Ein wandelndes Lexikon in Sachen Besigheim und Weinbau: Dieter Schedy weiß, worüber er spricht. Foto:  

Dieter Schedy kennt jede einzelne Rebe an der Weinkanzel am Niedernberg Besigheim. Und er weiß auch, warum sie den Titel „Schönste Weinsicht“ zwar nicht trägt, aber verdient.

Besigheim - Den Schulrektor kriegt man aus Dieter Schedy einfach nicht raus. Von null auf hundert ist er im Erklärmodus. Erstmals urkundlich erwähnt wurde Besigheim im Jahr 1153. Die erste Steillage wurde 1413 in den Hang gebaut. Und überhaupt sind in Deutschland nur zwei Prozent der Weinbauflächen terrassiert, gibt er an. Dieter Schedy ist der Typ Telefonjoker, den man an seiner Seite wissen will, wenn es um die Million geht. Einer, der Zahlen und Fakten runterrasselt, als lese er aus einem Buch vor. „Wenn Sie’s hundertmal erzählt haben, sickert es langsam rein“, sagt er lächelnd.

Dieter Schedy ist 2005 aus dem Schuldienst ausgeschieden, vom Lehren kann er aber nicht lassen. Der 78-Jährige hat als Referent, Autor, Stadt-, Wein- und Fachwerkführer schon Tausenden Besigheim im Kreis Ludwigsburg erklärt. Gern von oben, von der Aussichtskanzel am Niedernberg. Seit 2016 gibt es den Ausguck. Ein Gittersteg ragt rund zwölf Meter über den Hang und bietet einen spektakulären Blick auf den Ort sowie die Weinberge, die ihn einkesseln. Unten an der Enz sausen Züge entlang, über den Neckar zuckeln Schiffe. Eine Infotafel leitet das Auge durch den historischen Ortskern: Kirche, Steinhaus, Kelter. Bis zu den Löwensteiner Bergen reicht der Blick. Nur eines missfällt Dieter Schedy: das BASF-Werk unter seiner Nase. „Schandfleck“, sagt er, „aber bringt Arbeitsplätze.“

Die Weinkanzel gilt in dieser Lage als einmalig

Die Weinkanzel ist eine Attraktion im beschaulichen Besigheim. Ein Prototyp, heißt es aus dem Rathaus nicht ohne Stolz. In Weinberglage sei so was einmalig. Vertreter anderer Kommunen und Gartenschauen seien schon zum Spickeln gekommen. Zu erreichen ist sie über zwei Wege. Entweder über die Löchgauer Steige oder über die Himmelsleiter, die höllische 411 Stufen bereithält. Irgendwie muss der Höhenunterschied von 85 Metern ja überwunden werden.

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Was dem einen den Schweiß auf die Stirn treibt, zaubert Dieter Schedy ein Lächeln ins Gesicht. Seit 1950 lebt der gebürtige Hesse in Besigheim. „Ringsrum die Weinlage hat mich sofort fasziniert. In Kassel wachsen gerade mal Äpfel.“ Er zeigt vor sich: Schalkstein-Trollinger. Hinter sich: Lemberger. Nach rechts, zu einem kapitalen Kirschbaum: Muskateller, „dunkelgolden, herrlich süß“. Seine Frau habe einen Weinberg, daher beherrsche er jeden Handgriff. „Ich weiß, was Pheromonfallen sind, ich erkenne die Schwarzfleckenkrankheit. Ich habe sogar den Spritzschein.“ Tatsächlich hat sich Dieter Schedy bereits in den 60ern wissenschaftlich mit der Geologie der Steillagen in der Region befasst – in seiner Zulassungsarbeit zum Staatsexamen. Wieder setzt er zum Referat an: über den Muschelkalk des Niedernbergs, das Muschelkalkmeer vor gut 240 Millionen Jahren und den tektonischen Druck, der vor etwa 100 Millionen Jahren die Alpen und die Schwäbische Alb geformt hat und allmählich Richtung Heilbronn abgeflacht ist. Aktuell wird die bald 60 Jahre alte Abhandlung digitalisiert und soll demnächst über die Stadt-Homepage abrufbar sein.

Die Besigheimer können im Wettbewerb kulant sein

Eine Frage klärt sie nicht – von wo denn nun Besigheims Schokoladenseite zu sehen ist. Die offizielle „schönste Weinsicht“, 2012 prämiert vom Deutschen Weininstitut, ist nämlich einen zehnminütigen Fußmarsch entfernt auf dem Schalkstein, auf Walheimer Gemarkung. Ob die schöner ist oder doch der Blick vom Niedernberg, da scheiden sich die Weingeister. Letztlich könnten die Besigheimer kulant sein. Seit 2005 ist ihre Stadt staatlich anerkannter Erholungsort, wurde 2010 zum „schönsten Weinort“ gewählt und schmiss 2013 das „beliebteste Weinfest“.

Dieter Schedy will sich nicht entscheiden müssen. Das Urgestein steht auf dem Muschelkalk und genießt. Die Sonne, die Hitze, die die Mäuerchen abstrahlen – um die 70 Grad werden die im Sommer heiß, natürlich weiß er das genau –, das Grün der mannshohen Reben, den Geruch, der ihn zurück in eine Zeit trägt, in der er als Bub einst bei der Ernte geholfen hat. Auf der Weinkanzel am Niedernberg lässt er sich das frische Lüftle um den weißen Schnauzer wehen – und plötzlich wird der Faktenmann ganz unsachlich. „Gucken Sie“, ruft er, „das ist mein Besigheim!“

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