Nach den rechten Ausschreitungen in Chemnitz hat sich zwischenzeitlich ein Gegenprotest organisiert. Foto: dpa

Die Ausschreitungen in Chemnitz können nach Ansicht von Politologen auch andernorts passieren. Die Fachleute sehen die Politik in der Pflicht. Und die diskutiert erst einmal heftig - auch im Südwesten.

Stuttgart - Nach den Ausschreitungen in Chemnitz diskutieren Politik und Experten über Ursachen und Folgen. Die Mobilisierung von Rechtsextremen über das Internet funktioniert bundesweit - und könnte damit nach Ansicht von Fachleuten auch in anderen Teilen der Republik zu Demonstrationen wie in Chemnitz führen. „Man kann das - leider - nicht ausschließen“, sagte der Politologe Felix Steinbrenner von der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg am Mittwoch. AfD-Bundeschef Jörg Meuthen wies eine Mitschuld seiner Partei an den Ausschreitungen zurück.

Die Verantwortung der AfD liege bei „exakt null“, sagte Meuthen am Mittwoch dem SWR. Die AfD schüre keine fremdenfeindliche Stimmung in Chemnitz. „Wir gießen da nicht Öl ins Feuer, sondern da ist eine finstere Stimmung im Land, die nur zu begründet ist.“ Am Montagabend wurden bei Protesten rechter und linker Demonstranten nach Angaben der Polizei in Chemnitz 20 Menschen verletzt. Auslöser war, dass zuvor ein 35 Jahre alter Deutscher durch Messerstiche getötet worden war. Die mutmaßlichen Täter sollen aus Syrien und dem Irak stammen.

FDP-Fraktionschef sieht zunehmende Radikalisierung

FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke sieht bei der AfD eine zunehmende Radikalisierung. „Die AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag gleitet immer mehr nach rechts ab. Mittlerweile erkenne ich keinen Unterschied mehr zur NPD“, sagte er der „Heilbronner Stimme“ (Donnerstag). Die AfD-Abgeordneten Stefan Räpple und Hans Peter Stauch hatten auf Twitter Fotos von sich bei den Protesten am Montag in Chemnitz veröffentlicht.

Sehen Sie hier einen Video-Kommentar zu den Vorgängen in Chemnitz.

Steinbrenner meinte, in Sachsen sei das Problem, dass Neonazismus und rechtsextreme Parteien viel tiefer verankert seien als in Baden-Württemberg. „Rechtsextremismus ist dort normaler als hier - er wird oft gar nicht mehr als rechtsextrem erkannt, sondern als legitimer Teil der politischen Diskussion wahrgenommen.“ Um dem entgegenzuwirken, brauche es große Entschiedenheit und viel Geduld. Ansatzpunkte seien Bildungsangebote für Jugendliche in Schulen, die Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement und Repressionen für Menschen, die Gewalttaten begehen.

Türkische Gemeinde plant Bündnis gegen Hass

Unterdessen will die Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg ein breites Bündnis gegen Hass ins Leben rufen. Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Gewerkschaften und Migrantenorganisationen sollten sich an der Kampagne beteiligen, sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Chemnitz betrifft uns alle. Das ist nicht nur ein sächsisches Problem.“ Noch in dieser Woche werde die Organisation Bündnispartner anschreiben. Er hoffe, dass es bereits am 1. September, dem Weltfriedenstag, eine Aktion geben könne, sagte Sofuoglu, der Vorsitzender in Baden-Württemberg und auch der Türkischen Gemeinde in Deutschland ist. Details müssten aber noch geklärt werden.

Der Vize-Fraktionschef der AfD im Landtag, Emil Sänze, warf der grün-schwarzen Landesregierung und den anderen Parteien vor, zu wenig gegen Extremismus von links zu tun. AfD-Veranstaltungen würden regelmäßig von organisierten Linksradikalen blockiert und teils gewaltsam gestört. Dennoch weigerten sich die anderen Fraktionen im Landtag, einen Untersuchungsausschuss Linksextremismus einzusetzen. Mit diesem Vorhaben war die AfD mehrmals gescheitert.