Versicherungskauffrau Annika Binder gehört zu den besten Azubis der Republik. Foto: Lg/Max Kovalenko

Der Trend ist gedreht: In Stuttgart und der Region wählen wieder mehr Jugendliche einen klassischen Ausbildungsberuf. Im vergangenen Jahr ist die Zahl um 1,3 Prozent gestiegen.

Stuttgart - Kaufmann im Einzelhandel, für Büromanagement und Industriekaufmann: Das waren die beliebtesten drei Ausbildungsberufe im Jahr 2018 in Industrie, Handel und bei den Dienstleistungen in der Region Stuttgart. Dass es genau diese Berufe auf das Siegertreppchen geschafft haben, überrascht die Geschäftsführerin Beruf und Qualifikation bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart, Andrea Bosch, nicht: „An den Top-Ten-Berufen ändert sich von Jahr zu Jahr nicht allzu viel. Es sind vor allem die Berufe, die von Unternehmensseite her in der Region am stärksten vertreten sind“, sagt Bosch. Doch es gibt auch ganz neue Ausbildungsberufe. „Das Thema Industrie 4.0 spielt eine große Rolle, dazu kommen neue Berufe wie der Kaufmann im E-Commerce. Wir passen uns dem Bedarf der Wirtschaft an“, berichtet Bosch.

Aller Anpassung zum Trotz ist die Zahl der jungen Menschen, die eine Ausbildung beginnen, in den vergangenen zehn Jahren deutlich zurückgegangen. 2008 unterschrieben noch 12 096 junge Menschen in der Region Stuttgart einen Ausbildungsvertrag. 2018 waren es nur noch 10 782. Den Grund für diesen Rückgang sieht Bosch auch in den demografischen Veränderungen in der Gesellschaft: „Die Schülerzahlen sinken. Außerdem buhlen alle Einrichtungen um die selben Köpfe: Universitäten und Betriebe.“

Bundesweit liegt Stuttgart auf Platz zwei

Dass die Zahlen der dualen Ausbildung dennoch wieder steigen (zuletzt um 1,3 Prozent), dürfte ebenfalls mit der Bevölkerungsstruktur zu tun haben: Immerhin verzeichnet die Region deutlich mehr Einwohner, allein die Stadt Stuttgart wird laut einer Schätzung des Statistischen Amtes der Stadt bis 2030 knapp 650 000 Einwohner haben – ein Plus von fast 36 000 Menschen.

Auch ein bundesweiter Vergleich bestätigt den positiven Trend in der Region. In keinem anderen IHK-Kammerbezirk – mit Ausnahme des Bezirks München und Oberbayern – gab es in den vergangenen Jahren so viele Azubis wie in Stuttgart und der Region. Dass die Region Stuttgart damit bundesweit auf Platz zwei bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge landet, hängt unter anderem mit den hier ansässigen Betrieben zusammen: „Wir haben sehr gute Ausbildungsbetriebe in der Region, die auch noch selbst produzieren“, erklärt Bosch.

IHK lobt die duale Ausbildung

Wenn sich viele junge Menschen zu Fachkräften ausbilden lassen, profitiert aber am Ende nicht nur die Region. Auch die jungen Menschen selbst können durch eine Ausbildung viel erreichen. „Mit einer dualen Ausbildung bin ich passgenau für den Bedarf des Unternehmens qualifiziert. Darüber hinaus gibt es ja auch die Option der beruflichen Weiterbildung. Das lohnt sich dann auch finanziell. So können jene, die den Weg über eine duale Ausbildung gegangen sind, mit 24 die gleichen Qualifikationen haben, wie jemand der auf der Universität war,“ sagt Bosch.

Versicherungskauffrau Annika Binder

Juristin, Lehrerin oder doch etwas ganz anderes? Auf der Liste der Traumberufe hatte Annika Binder stets mehrere Spitzenreiter. Was sie aber wusste: „Ein langes Studium ohne Praxisbezug kam für mich nie in Frage. Schließlich merkt man da erst sehr spät, ob die tatsächliche Arbeit einem dann auch wirklich zusagt.“

Um sich Zeit für die richtige Berufswahl zu verschaffen, machte die 22-Jährige deshalb ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei den Johannitern. Eine Entscheidung, die ihr rückblickend nicht nur Zeit, sondern auch wertvolle Erkenntnisse brachte: „Ich habe bei den Johannitern ältere Menschen gefahren. Da habe ich gemerkt, dass mir das Zusammensein mit Menschen liegt. Aber auch die kaufmännischen Aufgaben während dem FSJ gefielen mir. So traf ich meine Entscheidung, eine Ausbildung als Kauffrau für Versicherungen anzufangen.“ Dabei merkte sie schnell, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. „Die Ausbildung hat mir großen Spaß gemacht. Aber die Arbeit im Innendienst liegt mir mehr“, so Binder. Um ihre Berufschancen zu erhöhen, studiert sie seit September 2018 BWL-Versicherung – an der dualen Hochschule, denn ganz ohne Praxis geht es für die Studentin eben doch nicht.

Mechatroniker Jan-Henrik Feucht

Einen Motor komplett auseinander- und wieder zusammenbauen? Für den gelernten Kfz-Mechatroniker Jan-Henrik Feucht aus Ofterdingen kein Problem: Schließlich hat der 22-Jährige nicht nur 2018 als Bundesbester seine Ausbildung absolviert, sondern schon als Jugendlicher einen Motor in seine Einzelteile zerlegt: „Als ich 14 war, hat mein Vater mir einen kaputten Radlader hingestellt und gesagt, ich solle mal machen. Also habe ich den Motor ausgebaut und den kaputten Zahnkranz getauscht. Abends war alles wieder verbaut und er ist angesprungen. Das war ein tolles Gefühl,“ sagt Feucht, der durch dieses Schlüsselerlebnis eine gewisse Selbstsicherheit gewonnen hat. „Geht nicht“ gebe es seit diesem Tag für ihn nicht mehr – im Job und in seiner Hobbywerkstatt.

In Letzterer hat er den Geländewagen, den er fährt, und die E-Klasse der Mutter, die er beide mit Motorschaden günstig kaufte, durch viel praktisches Know-how wieder fahrtüchtig gemacht. Und weil Feucht eben ein Praktiker ist, kam für ihn nach der Schule auch kein Studium in Frage. „Nur studieren wollte ich nicht. Da hätte mir der praktische Background gefehlt,“ erzählt er. Nun aber steht doch ein Studium auf der Agenda: Feucht möchte sich für den Studiengang Fahrzeugtechnik an der Hochschule Esslingen bewerben.

Luftverkehrskauffrau Janina Hink

Der Flughafen Stuttgart: Aufgeregte Reisende, staunende Besucher, hektische Pendler und ein unglaublicher Organisationsaufwand. Ein gewöhnlicher Arbeitsplatz ist das nicht. Aber den wollte Janina Hink auch nie: „Acht Stunden jeden Tag im Büro sitzen, das kam für mich nie in Frage“, erzählt die 24-Jährige, die im vergangenen Jahr ihre Ausbildung zur Servicekauffrau im Luftverkehr als eine der Bundesbesten abschloss. Ihr Arbeitsplatz am Stuttgarter Flughafen ist für sie, trotz Schichtdienst und Wochenendarbeit, ein wahr gewordener Traum. Denn für die junge Frau stand schon früh fest: „Ich möchte am Flughafen arbeiten.“ Daher bewarb sie sich 2013 um eine Ausbildung. Doch es kam eine Absage. „Man sagte mir, ich müsse es auch kein zweites Mal versuchen. Abgelehnt sei abgelehnt“, sagt Hink.

Ein herber Schlag war das für die junge Frau, die danach verschiedene Praktika absolvierte – und schließlich ein duales Studium im Bereich Eventmanagement anfing. Ihr Arbeitsplatz: die Messe Stuttgart, direkt gegenüber dem Flughafen. Den ursprünglichen Traum zu vergessen war da alles andere als einfach. Und so begann sie erneut über eine Ausbildung nachzudenken. „Ich hatte wenig Hoffnung, aber meine Freunde sagten mir, ich solle es nochmals versuchen“, sagt Hink. Die Freunde behielten Recht: Die zweite Bewerbung verschaffte Hink den lang ersehnten Ausbildungsplatz – und so wurde ihr großer Traum am Ende doch noch wahr.

Bankkauffrau Victoria Goll

Dass Victoria Goll seit September 2018 Jura in Heidelberg studiert, ist auf den ersten Blick nicht verwunderlich. Schließlich haben auch ihre Mutter und ihr Vater ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert. Doch ganz so selbstverständlich war die Berufswahl für Goll nicht. Als sie mit 17 Jahren Abitur machte, hatte sie keine Ahnung, wie es weiter gehen sollte: „Klar hatte ich Jura im Kopf, aber ich war noch sehr jung und wusste nicht, ob ich wirklich studieren möchte. Dann habe ich mich über die Bankausbildung informiert und gedacht: Das wäre doch was.“

Und das war es auch – die 19-Jährige absolvierte ihre Ausbildung als Bundesbeste. Aber nicht nur fachlich gesehen habe sie damals die richtige Entscheidung getroffen: „In der Ausbildung lernt man durch den Kundenkontakt nicht nur viel Fachliches, auch menschlich hat mich die Ausbildung weitergebracht“, sagt Goll. Der menschliche Aspekt sei der Studentin, die mit vier Brüdern aufwuchs, schon immer wichtig gewesen: „Ich hatte schon immer Spaß, unter Menschen zu sein, das habe ich spätestens während meinem Schülerpraktikum bei der Tafel erfahren“, erzählt Goll. Mit bestandener Ausbildung in der Tasche stellte sie aber schnell fest, dass das Jura-Studium nicht so recht aus ihrem Kopf verschwinden mag. Und so fiel ganz am Ende doch noch die Entscheidung, es den Eltern gleich zu tun.