Am Ziel: Andreas Bührer am 19. August 2015 auf dem Petersplatz in Rom. Der Regen, der bei der Ankunft auf ihn einprasselt, erweist sich als Segen – im Nachhinein. Foto: Michael Jooss

Ausgebuchte Herbergen, sengende Hitze und kleine Wunder: Der evangelische Pfarrer Andreas Bührer ist von Freiberg nach Rom gepilgert. In einem Buch schildert er seine Erlebnisse – Zweifel inklusive.

Freiberg/Neckar – - Die Strecke: 1600 Kilometer. Das Verkehrsmittel: die Füße. Die Dauer: 75 Tage. Andreas Bührers Pilgerreise liegt inzwischen zwei Jahre zurück. Doch wenn der 53-Jährige in seinem Büro im Beihinger Pfarrhaus von seinem Marsch auf Rom erzählt, klingt es, als wäre er in diesem Moment unterwegs. Ein Gespräch über Versöhnung, Doppeldeutigkeit und über Vertrauen.
Herr Bührer, Sie sind als evangelischer Pfarrer nach Rom gepilgert. Sind Sie ein Verrückter oder ein Verwirrter?
Na ja, es macht mir vor allem Spaß, einen Weg zu gehen mit einem Ziel. Und Rom als Ziel hat mich enorm angezogen.
Weil Sie Ihre katholischen Brüder dort im Zentrum der Macht missionieren wollten?
Nein! Das Wesentliche für mich war der Weg, aber ich habe eine Mission mitgenommen: Versöhnung. Ich finde, Kirche könnte ganz anders unterwegs sein, wenn sich alle Seiten entschlössen, sich zusammenzutun und zu schauen, wie sie trotz aller Unterschiede gemeinsam dafür eintreten können, dass diese Welt vom Licht Jesu und seinen Ideen bestimmt ist.
Sie haben deshalb anfangs überlegt, Mitpilger zu suchen?
Ja, das war mein ökumenischer Gedanke. Ich hätte es spannend gefunden, wenn da zwei, drei, vier Menschen mit verschiedenen Konfessionen nach Rom laufen würden. Vielleich wären unterwegs Leute dazu gekommen, das wäre ein schönes Versöhnungszeichen gewesen.
Warum wurde daraus nichts?
Bei den Bekannten, die ich angesprochen habe, passte es entweder zeitlich nicht oder sie fühlten sich körperlich nicht fit genug.
Wie haben Ihre Vorgesetzten reagiert, als Sie ihnen eröffneten: Ich will nach Rom!
Gut. Ich musste halt sicherstellen, dass die Kirchengemeinde nicht brach liegt und dass in der Schule kein Reli-Unterricht ausfällt – aber das war kein Problem. Zusätzlich zu meinen Pfarrkollegen in Freiberg haben sich viele Ruhestandspfarrer bereit erklärt, mich zu vertreten.
Sie haben den Bischöfen in Rottenburg und St. Gallen und dem Papst angekündigt, dass Sie als Pilger in ihre Städte kommen würden. Was für Reaktionen haben Sie bekommen?
Erfreute. Alle haben sich durchweg bemüht, mir Tore zu öffnen. In Rottenburg wurde ich zu einem schönen Abendessen und einer gemütlichen Bettstatt eingeladen. In St. Gallen hat sich der Bischof ein paar Minuten Zeit für mich genommen. Und vom Vatikan wurde ich zu einer Audienz beim Papst eingeladen.
Sie schreiben: Der fromme Weg ist nicht immer der bessere. Wie meinen Sie das?
Diesen Satz habe ich an Tag acht meiner Pilgerreise geschrieben. An diesem Morgen wollte ich von Mengen nach Saulgau laufen und habe dabei ein Schild des „Oberschwäbischen Pilgerwegs“ entdeckt. Natürlich habe ich dann diesen Weg eingeschlagen. Aber wie ich gemerkt habe, war dieser „fromme Weg“ ganz schlecht ausgeschildert, so dass ich mich dauernd verlaufen habe. Schließlich bin ich umgedreht und habe den regulären Weg des Schwäbischen Albvereins genommen. Aus dieser Erfahrung habe ich den Satz geschrieben.
Aber schon auch im Bewusstsein seiner Doppeldeutigkeit, oder?
Natürlich. Als Kirchenleute bewegen wir uns häufig auf diesen frommen Wegen – aber dass wir auch zu den ganz anderen sollten, die nicht auf diesen Wegen laufen, das vergessen wir manchmal. Obwohl Jesus ja genau das vorgemacht hat. Für mich war das ein wichtiger Impuls: Nicht unter seinesgleichen bleiben, sondern dorthin gehen, wo die sind, die nichts mit Kirche und Glauben am Hut haben.
An einem heißen Juli-Tag schützt Sie eine Wolke vor der sengenden Sonne, die in der Po-Ebene auf Sie brennt. Im Buch schreiben Sie, die Wolke sei ein „erhörtes Gebet“. Glauben Sie wirklich, dass Gott Ihnen diese Wolke geschickt hat?
Wenn ich mit Ja antworte, klingt das tatsächlich einfältig. Aber ich glaube, es kommt immer darauf an, die Erfahrungen, die man macht, auch zu deuten. Und für mich war es so, dass ich in jener Nacht gebetet hatte, Gott möge irgendwas tun, weil ich mir nicht vorstellen konnte, in dieser Hitze weiterlaufen zu können. Und als die Wolke am nächsten Morgen da war, habe ich sie als ein göttliches Wunder für mich persönlich empfunden.
Und die Wolke war nicht das einzige Wunderbare auf Ihrem Weg.
Ich war immer wieder von Neuem erstaunt, wie gut für mich gesorgt ist. Ich hatte meinen Weg nicht bis ins kleinste Detail durchgeplant – während des Laufens aber gelernt: Für alles Notwendige ist gesorgt. Zum Beispiel wusste ich nicht die exakte Route für den Abschnitt, den ich auf der Via Francigena pilgern wollte. Doch plötzlich fand ich auf einem Büchertisch der katholischen Kirche in Thun einen hervorragenden Wanderführer für diese Strecke. Und obwohl er unverkäuflich war, hat ihn mir der Hausmeister einfach geschenkt. Ich fand es immer wieder toll, dass mir so vieles zugefallen ist. Zufall ist für mich immer das, was Gott einem zufallen lässt.
Sie machen in Ihrem Buch aber auch keinen Hehl daraus, dass Sie immer wieder hadern: mit sich, mit Ihrem Glauben, mit der Kirche. Wollen Ihre Schäflein das wissen?
Naja, auch ich bin ein ganz normaler Mensch. Und das bedeutet, dass auch ich manchmal mut- und glaubenslos bin. Glauben hat man nicht bei sich wie Akten in einem Koffer, Glauben muss sich immer wieder neu ereignen. Wenn er sich nicht ereignet, ist man voller Panik, voller Sorge. Das kenne ich auch. Und ich habe auch unterwegs meine Erfahrungen gemacht. Wenn ich übel umgeknickt bin, wenn mein Bein so geschmerzt hat, dass ich kaum noch laufen konnte, wenn alle Hotels und Pensionen ausgebucht waren – und der Mesner partout nicht erlauben wollte, dass ich meine Isomatte im Gemeindehaus ausrolle.
Im italienischen Aosta stehen die Türen der Kirche immer weit offen. Haben Sie sich das für Ihre Amanduskirche auch überlegt?
Das war meine feste Absicht, und habe es dem Kirchengemeinderat gleich in der ersten Sitzung nach meiner Rückkehr vorgeschlagen. Aber damit bin ich gescheitert. Die Räte meinen, man kann es sich nicht leisten, die Kirche unbeaufsichtigt offen zu lassen. Ein Stück weit kann ich das nachvollziehen, aus der Amanduskirche ist schon mal der Opferstock gestohlen worden. Trotzdem finde ich es bedauerlich, dass die Sorge größer ist als das Vertrauen. Das nagt an mir.
Als Sie am 19. August in Rom ankommen, schüttet es wie bei der Sintflut. Zur Audienz beim Papst schaffen Sie es nicht. Wie haben Sie das gedeutet?
Die Ankunft in Rom erschien mir als Katastrophe. Mehr als sechs Wochen hatte es nicht richtig geregnet – und an diesem Tag stürzte das Wasser in Bächen die Straßen runter. Das war wie im falschen Film. Aber im Nachhinein habe ich gemerkt: Alles hat genau so sein müssen.
Wie meinen Sie das?
Dadurch, dass es an jenem Tag so heftig geregnet hat, waren nur ganz wenige Leute auf dem Petersplatz, weshalb ich ihn fast für mich alleine hatte. Das war ein überwältigendes Gefühl.
Und die Audienz beim Papst?
Ich habe eine zweite Chance bekommen: Im Jahr darauf habe ich an der Generalaudienz teilgenommen. Dabei habe ich festgestellt: Direkt nach der Pilgerreise wäre dieser Besuch keine Freude gewesen. Nach den Wochen der Ungezwungenheit hätte sich das vatikanische Audienzprotokoll viel zu eng angefühlt.
Wenn man Ihr Buch liest, bleibt das Gefühl: Alles wird gut – wenn man Vertrauen hat.
Ja, so ist das für mich! Ich weiß: Vertrauen kann man sich nicht verordnen, man kann es nur für sich selbst testen. Letztlich war mein Pilgerweg für mich eine Vertrauenserfahrung. Ich habe gelernt, ich kann Vertrauen haben, das sich am Ende auszahlt. Das ist mir geblieben.

Der schreibende Pfarrer

Mensch
Andreas Bührer, Jahrgang 1964, ist seit 2004 Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Freiberg-Beihingen. Er ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern. Aufgewachsen ist Bührer in Kornwestheim, zum Studium ging er nach Tübingen. Seinen ersten Gottesdienst, das war in der oberschwäbischen Diaspora, hielt er in einer katholischen Kirche.

Buch
Der Bildband „Zu Fuß nach Rom. Mein Pilgerweg der Hoffnung“ ist im Freiberger Verlag Memminger erschienen, die ISBN-Nummer lautet 978-3-947573-00-4 . Er kostet 19,90 Euro und ist erhältlich im Schreibwarengeschäft Riedel in Freiberg, im Pfarramt und in der Buchhandlung Aigner in Ludwigsburg.