Erwin Benk kennt sich aus. Die Falsche Klinge gaukelt dem ahnungslosen Spaziergänger völlige Harmlosigkeit vor. Foto: Heinz Heiss

Zwischen Frauenkopf und dem Silberwald hat sich der Tiefenbach metertief in die Erde gegraben. Erwin Benk kennt gruselige Geschichten über dieses Fleckchen Erde, das sich Falsche Klinge nennt.

Sillenbuch/Rohracker - Selbst Ritter und Herzoge sind auf dieses Trugbild der Natur schon hereingefallen. Auf einer Länge von rund 750 Metern schlängelt sich die Falsche Klinge oberhalb von Rohracker, im Zwickel von Sillenbuch, Frauenkopf und dem Fernsehturm in Degerloch, durch den Wald. Ein paar kleine Pfützen und Rinnsale, ansonsten ist der durch die Klinge verlaufende Tiefenbach so gut wie ausgetrocknet. Hohe Erdwälle ragen zu beiden Seiten des Baches empor, ein angenehm schattiger Ort an einem warmen Tag.

Wer jedoch genauer hinschaut, ahnt, dass es dort nicht immer so friedlich zugeht. Dicke Steine und Baumstämme liegen im Bachbett. Bei Starkregen und Unwettern wird es in dem Tal ungemütlich. „Das macht jetzt einen ganz harmlosen Eindruck“, sagt Erwin Benk. Der Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins Rohracker kennt diesen Ort gut. Als Kind hat der gebürtige Gablenberger im Bachbett Flusskrebse gesammelt. Er hat die Gesteinsschichten der Klinge studiert und weiß, wie sie zu ihrem Namen kam. Die Klinge ist falsch. Sie gaukelt dem ahnungslosen Spaziergänger völlige Harmlosigkeit vor.

Die Klinge wurde Vater und Sohn zum Verhängnis

Anno dazumal ist sie einem Vater und seinem Sohn zum Verhängnis geworden. So steht es jedenfalls in einem Buch aus dem Jahr 1854 mit dem Titel „Württemberg wie es war und ist“. Dort heißt es, im Jahr 953 habe es einen Streit zwischen König Otto I. von Bayern und seinem Sohn Liudolf, Herzog von Schwaben, gegeben. Angeblich hatte Liudolf schlecht über seinen Vater gesprochen, das behauptete jedenfalls der Bruder des Königs Heinrich. Dieses Verhalten wollte der Kaiser seinem Sohn nicht durchgehen lassen und zog mit einem Heer gegen Schwaben.

Wo heute Stuttgart liegt, hatte der Herzog von Schwaben damals am Neckar ein Pferdegestüt errichtet. Liudolf fürchtete um seine edlen Rösser, da hatte Kuno – ein Ritter seines Gestüts – eine scheinbar geniale Idee. Er schlug vor, die Pferde zum Schutz vor dem König in jene Klinge zu treiben. Noch heute gibt es am Ende der Klinge eine Wiese. Der Tiefenbach schlängelt sich dort entlang und die hohen Erdwälle machen den Ort zu einem idealen Versteck. Doch der Ritter hatte seine Rechnung ohne das Wetter gemacht. Ein Unwetter zog auf und verwandelte die idyllische Lichtung in eine gefährliche Falle. Die herabstürzenden Wassermassen drückten Steine und Baumstämme vor sich her, Ritter Kuno und sein Sohn wurden erschlagen. Es gibt verschiedene Erzählungen, wie die Klinge zu ihrem Namen kam. Erwin Benk ist aber davon überzeugt, dass die Variante, wie sie in dem Buch von 1854 zu lesen ist, die richtige ist. Und die Namensanekdote ist auch nicht die einzige schaurige Geschichte, die der 73-Jährige über die Falsche Klinge zu erzählen weiß. Um das Jahr 1500 herum wurde die Klinge Gerüchten nach sogar als Friedhof benutzt. „Mörder, die einen Kopf kürzer gemacht wurden, durften nicht innerhalb der Stadtmauern begraben werden“, sagt Benk.

Über die Herkunft des Namens gibt es verschiedene Geschichten

Außerdem sorgte die Klinge in der Vergangenheit regelmäßig dafür, dass den Bürgern in Rohracker das Wasser, vielleicht nicht bis zum Hals, aber zumindest bis zu den Kniekehlen stand. Die Hochwassermarke an der Kelter erinnert an die letzte große Überschwemmung 1914, über einen Meter stand das Wasser damals.

Heute sei die Klinge nicht mehr gefährlich

So etwas kann laut Benk aber heute zum Glück nicht mehr passieren. Zum einen würde ein großer Teil des Regenwassers bereits weiter oben an der Jahnstraße im Schatten des Fernsehturms in die Kanalisation geleitet. Zum anderen wurden im Laufe der Jahre weiter unten im Tal verschiedene Sicherheitsvorkehrungen getroffen. „Ein Damm wurde künstlich aufgeschüttet“, sagt Benk. Davor hat sich ein kleiner Stausee gebildet. Kurz vor dem Ortskern wurde zum Schutz eine Staumauer errichtet. Die Klinge hat im Laufe der Zeit viel von ihrer jugendlichen Wildheit eingebüßt. Ein faszinierendes Naturschauspiel bleibt sie aber dennoch. Jahr für Jahr hat sich das Wasser tiefer in den Erdboden gegraben, so dass eine mehrere Meter tiefe und mehrere Meter breite Rinne entstanden ist. „Das war früher eine Ebene“, erklärt Benk das fast Unvorstellbare.