Die öffentliche Demontage Mesut Özils hat die Metwo-Bewegung angestoßen. Foto: dpa

Menschen mit Migrationshintergrund prangern Alltagsrassismus an: unter dem erfolgreichen Hashtag #metwo. Manche finden das schon wieder beängstigend. Sind Hashtag-Bewegungen Anwälte der Schwachen? Oder fördern sie die gesellschaftliche Entzweiung?

Stuttgart - Eine neue heftige Diskussion tobt in den sozialen Netzwerken. Und wie üblich wird unter dem Hashtag „Metwo“ mit harten Bandagen gekämpft. „Da sieht man, wie rassistisch Deutschland ist“, vermerken die einen bitter. „Ich kann das Gejammere nicht mehr hören“, kontern die anderen. Aber mit dem kulturpessimistischen Abwinken, die neuen Medien eigneten sich eben nicht für die Erörterung wichtiger Themen, kommt man der Gewalt des Phänomens nicht bei.

Metwo, dieser Hashtag, dessen „two“ auf eine zweite kulturelle Identität und deren Herabwürdigung im Alltag weist, auf deutsche Migrantenrealität also, bezieht sich auf die Metoo-Bewegung. Die hat auch mit einem kleinen Hashtag auf Twitter begonnen und in vielen Ländern ein neues Bewusstsein für Sexismus, Ausbeutung, Übergriffigkeiten und ungesühnte Straftaten sexueller Natur erzeugt. Dabei ist nichts von dem, was man unter diesem Hashtag erfahren konnte, ganz neu und überraschend gewesen.

Im Netz entstehen Lawinen

Hier erkennt man die Macht der Hashtags: Sie bündeln, was vereinzelt war, machen als globales Phänomen sichtbar, was zuvor als vereinzelter Ausrutscher abgetan wurde. Sie verknüpfen nicht nur das Vorhandene, sie ermutigen die bislang Schweigenden auch, ihre privaten Erfahrungen nun der allgemeinen Anklage hinzuzufügen.

So werden aus Schneeflocken Schneebälle, aus Schneebällen Lawinen. Hashtags sind vereinbarte Stichworte mit einem mächtigen Zusatzzauber: jenem kleinen Rautenzeichen, das das Geschriebene von Fremden auffindbar macht und einander Unbekannte zu einer Demomasse zusammenbringt. Jeder Hashtag wird zum neuen Versammlungsplatz im virtuellen Dorf, auf den im Nu jeder laufen kann, selbst jemand, der von seiner Familie, Gesellschaft, Gesetzen oder sonstigen Lebensumständen an der freien Bewegung gehindert wird.

Ein Traum der Zivilgesellschaft

Hashtags sind also zunächst einmal ein wahr gewordener zivilgesellschaftlicher Traum, ein ungeheuerliches Ermächtigungsinstrument auch jener mit schwacher Einzelstimme und aufgezwungener Randständigkeit. Hashtags sind aber auch ein wahr gewordener Albtraum. Sie sind missbrauchbar, weil sie keine eigenen Filterqualitäten besitzen, weil jeder alles mit ihnen auszeichnen und behaupten kann, das sei Teil des ursprünglichen Anliegens.

Die Metoo-Debatte hat diese Dynamik gezeigt: Zunächst ging es um sexuelle Erpressung und Beutegreiferei in der Filmindustrie. Schnell sprang das auf andere Branchen über. Schließlich fand sich die soziale Leiter quasi umgelegt, sie wurde zum Sprossenweg zueinander: Illegale mexikanische Erntehelferinnen fanden sich an der Seite von Hollywood-Stars, beide Opfer derselben Macho-Kriminalität.

Alles mischt sich

Aber dann wurde die Metoo-Bewegung auch zur großen Denunziationsmaschine, die Anklage und Schuldspruch zusammenfallen ließ, und obendrein zum Gleichsetzungspanoptikum, in dem ein täppischer Büroflirt und eine brutale Vergewaltigung als ein und dasselbe firmierten.

Die Metwo-Bewegung, ein Resultat des groben öffentlichen Streits um Mesut Özil, geht bereits den selben Weg. Wichtige Hinweise auf realen oder subjektiv empfundenen Alltagsrassismus mischen sich mit larmoyantem Opfergesuhle und dem Einfordern von Sonderrechten.

Man will auch Opfer sien

Hashtags können die Aggression der Hetzmasse aufpeitschen oder eine falsche Verwundungsseligkeit verbreiten: Man will Opfer gewesen sein, um dazugehören zu dürfen. Dieser Effekt löst bereits Spott und Satire aus im Netz. Vielleicht wird eine allgemeine Galligkeit gegenüber Hashtags deren Macht in den kommenden Jahren wieder einschränken.

Aber wäre das wünschenswert? Der Segen der Hashtags ist es, dass sie Scheuklappen wegreißen und das verdrängte Ausmaß eines Problems sichtbar machen. Hashtags können die entstehenden Diskussionen dann nicht bändigen, die Vergröberungen, die Polemiken, das Schablonen- und Freund-Feind-Denken nicht in die Bahnen des konstruktiven Diskurses lenken. Aber die Verrohung der Debatten erleben wir im Netz und im gesellschaftlichen Alltag auch ganz ohne Hashtags. Wir bekommen sie entweder in den Griff – oder Hashtags sind unser kleinstes Problem.