Jungpolitiker Marcel Roth hält die Ermittlungen der Polizei zum Migrationshintergrund der Randalierer vom 21. Juni für „eine Form von Rassismus“. Foto: dpa/Bernd Weissbrod

Die Stuttgarter Polizei hat das Wortprotokoll der Rede von Polizeipräsident Franz Lutz im Gemeinderat veröffentlicht. Demnach hat Lutz den viel kritisierten Begriff der „Stammbaumrecherche“ nie in den Mund genommen. Geprägt hat den Ausdruck vielmehr Marcel Roth, Neu-Grünen-Stadtrat.

Stuttgart - Die Berichterstattung über die Nachforschungen der Stuttgarter Polizei zur Herkunft der Randalierer vom 21. Juni hat nicht nur ein überregionales Medienecho ausgelöst, sondern vor allem die Frage aufgeworfen, was Stuttgarts Polizeipräsident Franz Lutz in jener Gemeinderatssitzung am 9. Juli zum Thema Täterermittlung wirklich gesagt hat. Der Versuch einer Rekonstruktion:

Donnerstagabend, 16.32: Die Sitzung des Stuttgarter Gemeinderats beginnt mit dem Tagesordnungspunkt Sicherheitspartnerschaft und Aufarbeitung der Randale in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni. Zu diesem Zeitpunkt kursiert im Rathaus bereits ein Antrag der CDU-Fraktion, der insbesondere nach der Zahl der Migranten und Flüchtlinge unter den Tatverdächtigen sowie nach dem Migrationshintergrund jener großenteils jungen Leute fragt, die sich mit der Polizei Straßenschlachten geliefert und Geschäfte geplündert haben. Linksfraktionschef Hannes Rockenbauch wird den CDU-Vorstoß später als Anbiederung der Union an die AfD und als „Fischen am rechten Rand“ geißeln.

Der Polizeipräsident nimmt das Wort „Stammbaumrecherche“ nicht in den Mund

Polizeipräsident Franz Lutz ergreift das Wort. Lutz geht in seinem Statement auf den Fragenkatalog der CDU ein und schildert den bisherigen Erkenntnisstand der Polizei zu Alter, Wohnorten und Nationalität der ermittelten Tatverdächtigen. 11 von 24 Tätern mit deutschem Pass hätten einen gesicherten Migrationshintergrund, so Lutz, vier davon besäßen die doppelte Staatsbürgerschaft. Bei elf weiteren Menschen mit einem deutschen Pass stehe der Migrationshintergrund noch nicht gesichert fest, erklärt Lutz. Und dann folgt jener Satz, der nun überregional für Aufgeregtheit sorgt und den der Grünen-Stadtrat Marcel Roth später in einem Facebook-Post als „Stammbaumrechereche“ interpretiert: „Das bedeutet letztlich Recherchen bundesweit bei den Standesämtern, um letztendlich diese Frage festzustellen.“

Lutz fügt noch hinzu, dies sei nicht primäre Aufgabe der Polizei, sondern „im Prinzip genau diesem Verfahren in Stuttgart geschuldet, dass diese Ermittlungen so geführt werden“. Anders ausgedrückt: Die Politik will Antworten auf die Frage nach dem Abstammungshintergrund der Täter, die Polizei bemüht sich, diese zu liefern.

In der Ratsdebatte ergreifen anschließend Sprecher aller Fraktionen das Wort. Der Verfasser des CDU-Antrags, Markus Reiners, rechtfertigt die Frage danach, welchen Rolle der Migrationshintergrund bei den Gewaltexzessen spielte, und muss dafür heftige Kritik von Grünen, SPD, der Linksfraktion und anderen einstecken. Kritik an der Polizeiarbeit ist lediglich vom Linksfraktionssprecher Rockenbauch zu vernehmen, der beklagt, die CDU wolle das Thema Rassismus in der Polizei bagatellisieren.

Grünen-Stadtrat Roth: „Es geht um die Sache und nicht um den Begriff“

Nicht zu Wort meldet sich in der Debatte Grünen-Stadtrat Marcel Roth. Doch offenbar kocht es in dem jungen Mann, der erst seit dieser Legislatur dem Rat angehört. In einem Facebook-Post einen Tag später beklagt er einen „Rechtsruck in der CDU“ und schreibt weiter, die Polizei wolle nun deutschlandweit „mit Hilfe der Landratsämter Stammbaumrecherche betreiben für die Deutschen mit Pass, deren Migrationshintergrund man nicht genau kenne.“ So gelangt das Reizwort „Stammbaumrecherche“ an die Öffentlichkeit, der Polizeipräsident selbst hat es nicht gesagt. „Wie man es nennt, ist unwesentlich. Die Polizeipraxis ist entscheidend“, postet Roth wenig später. Seine Fraktionschefin Gabriele Nuber-Schöllhammer hatte in der Ratssitzung noch zur verbalen Abrüstung bei der Ursachenforschung in Bezug auf die Krawalle aufgerufen.

Auf Anfrage unserer Zeitung erklärte der Jungpolitiker, Sprecher der Fraktion in Sachen Club- und Subkultur, am Montag: „Ich habe mir erlaubt, den Ausführungen von Lutz einen Namen zu geben und das zugegebenermaßen etwas zugespitzt. Aber es geht um die Sache und nicht um den Begriff. Lutz hat gesagt, dass die Polizei zu Ermittlungstaktiken greift, die nach meiner Kenntnis absolut unüblich sind. Es werden bundesweite Recherchen bei den Standesämtern betrieben, um die Nationalität der Eltern der Tatverdächtigen festzustellen. Die Polizei scheint einen eindeutigen Fokus auf Nationalität und Herkunft zu legen. Den Fokus in der Ermittlung auf die Herkunft zu legen, das ist eine Form von Rassismus.“

Die Fraktionsspitze der Grünen erteilte ihrem Stadtrat am Montagnachmittag einen Rüffel: „Wir bedauern, dass ausgehend von einem Mitglied unserer Fraktion die Arbeit der Polizei in Stuttgart in ein schlechtes Licht gerückt wurde“, so die Fraktionssprecher Nuber-Schöllhammer und Andreas Winter. Polizeipräsident Lutz habe in der Gemeinderatssitzung dezidiert darauf hingewiesen, dass bundesweite Recherchen bei den Standesämtern zur Klärung des Migrationshintergrundes von Tatverdächtigen nicht zur üblichen Polizeiarbeit gehörten.