Jim Poitras sieht sich als Vermittler zwischen den Kulturen. Foto: Gottfried Stoppel

Durch die Adern von Jim Poitras fließt Blut der Indianerstämme Cree, Sioux und Metis. Der kanadischstämmige Künstler lebt in Auenwald und sieht sich als Botschafter seiner Kultur – die beinahe untergegangen ist.

Auenwald - Grüß Gott, ich bin Jim“, begrüßt der Künstler gut gelaunt seine Ausstellungsbesucher. Wenn er spricht, rollt er das „R“ mit amerikanischem Zungenschlag. Auch sonst ist vieles an ihm ungewöhnlich: Graue Zöpfe baumeln auf die Brust des 63-Jährigen, an seinen Fingern trägt Poitras dicke Türkisringe. Und in seinen Adern fließt Blut der Cree, der Sioux und der Metis.

Seit Sonntag stellt der indianischstämmige, in der kanadischen Provinz Saskatchewan geborene Poitras seine Bilder in der Ratsscheune in Auenwald-Unterbrüden aus. Knallige, klare Farbflächen dominieren seine Werke. Menschen tauchen oft als Schattenrisse auf, filigran, irgendwo zwischen dem gewaltigen Himmel und dem Erdreich darunter. Jim Poitras nennt sich selbst einen spirituellen Maler: „Ich drücke in den Bildern meine Liebe aus, zu unserem Schöpfer, zu Mutter Erde und zu meinen Ahnen“, sagt er. Und ach ja: „Spätzle liebe ich auch.“

Indianer kämpfen noch heute um Anerkennung

Doch seine gute Laune und sein Optimismus können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Poitras und seine Vorfahren schwere Zeiten durchleben mussten. Erst auf den zweiten Blick schlägt sich das in den Bildern nieder. Etwa in „Ghost Dance“, das scherenschnittartig eine Gruppe Indianer zeigt, die um einen Baum tanzt – unter ihnen ziehen sich Wurzeln durchs Erdreich. „In unserer Mythologie gibt es eine obere Welt, ähnlich dem Himmel der Christen, und eine Unterwelt. Aber auch eine Grauzone dazwischen – dorthin kommen die Geister derer, die gewaltsam gestorben sind“, erklärt Poitras. Die Geistertänzer, wie er selbst einer ist, holen nach dem Glauben der kanadischen Ureinwohner die Opfer von Krieg, Mord und Suizid wieder ins Licht – und im Lauf der Jahrhunderte waren dies viele.

Er selbst, erzählt er, habe einiges an Leid erfahren. „Meine Eltern habe ich nie bewusst kennengelernt. Einen meiner Brüder habe ich vor zwei, drei Jahren zum ersten Mal getroffen“, sagt Poitras. Der Grund: der sogenannte Zivilisierungsauftrag des kanadischen Staats. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts holten dafür Kirchen und Ordensgemeinschaften schätzungsweise 150 000 Nachkommen kanadischer Ureinwohner aus ihren traditionellen Gemeinschaften. Die Kinder kamen in Pflegefamilien und spezielle Internate. Ohne Kontakt zu ihren Eltern oder ihren kulturellen Wurzeln erfuhren viele der Kinder, auch Jim Poitras, Missbrauch jeglicher Art.

Der Künstler setzt sich für Flüchtlinge ein

Noch 1979 existierten zwölf sogenannte Residential Schools, die letzte von ihnen wurde 1996 geschlossen. Die Aufarbeitung dieser Politik dauert in Kanada noch heute an. 2008 entschuldigte sich der damalige kanadische Premierminister Stephen Harper für das Unrecht, erst im Juli 2015 nannte die Vorsitzende Richterin des Obersten Gerichtshofs Kanadas das System einen „versuchten kulturellen Völkermord“.

Lange Zeit ist Jim Poitras gereist, hat traditionelle Lieder und Tänze aufgeführt und vom Leben der kanadischen Indianer erzählt. Fernsehteams wollten seine Geschichte hören, sogar ein Theaterstück erzählte in den 1990er Jahren davon. Heute tritt Poitras etwas kürzer, konzentriert sich auf die Kunst. Doch noch immer versteht er sich als Mittler zwischen den Kulturen. Als Auswanderer verfolgt er auch die Flüchtlingsdebatte – „ich bin stolz auf Deutschland“, sagt er. Zwei seiner Werke werden daher versteigert, das Geld kommt Kindern von Flüchtlingen und Einheimischen in Auenwald zugute. Der Ort im Rems-Murr-Kreis ist der Liebe wegen Poitras’ neue Heimat. „Deutschland hat viel für mich getan – mehr als Kanada“, erklärt Poitras, als er sich sichtlich gerührt bei den Vernissage-Besuchern bedankt. Die Federn, die der Indianer auf seinem Porträt „Giving thanks“ als Kopfschmuck trägt, sind kein Zufall. Sie haben die Farben Schwarz, Rot und Gold.