Assad - immer noch an der Macht Foto: dpa

Truppen des syrischen Machthabers haben die Handelsmetropole Aleppo im Norden Syriens fast eingekesselt. Irans stellvertretender Außenminister glaubt, vor allem der Westen profitiere vom Kampf Assads gegen die Terroristen des Islamischen Staates. Der hat sich aus Aleppo zurückgezogen.

Aleppo - 2200 Meter, das ist ein Spaziergang vom Stuttgarter Hauptbahnhof über die Fußgängerzone in der Königstraße und zurück. 2300 Meter breit ist die Lebensader, durch die Brot, Wasser und Medikamente in die nordsyrische Metropole Aleppo geliefert werden – noch. „In den vergangenen Tagen haben meine Männer und ich uns 300 Meter weit zurückziehen müssen“, klagt Major Muhammad Hamadi. Mit 120 Teenagern, jungen Männern und einer Handvoll ausgebildeter Soldaten hält er sieben vom Ruß geschwärzte Ruinen, die vor einem Jahr noch die Häuserblocks des Stadtteils Ayn at-Tal waren. „2. Bataillon der Dara Al-Shahbaa Brigade“ nennt die Freie Syrische Armee (FSA) hochtrabend den Milizhaufen, der sich am nördlichen Stadtrand der Millionenstadt in Trümmerhaufen und hinter durchlöcherten Betonwänden verschanzt hat.

„Ein paar Hundert Meter hinter uns ist das Kreuz der Stadtautobahn. Das wollen die Assadisten haben“, ist Kommandant Hamadi überzeugt. Die Assadisten, das sind Elitekämpfer des 46. Fallschirmjägerregiments. Krieger, die treu zu Syriens Staatspräsident Baschar al-Assad stehen. Die seit Monaten von dessen Vertrauten Suheil al-Hasan in die Schlacht geführt werden. „Kanopus“ hat der regimetreue Brigadegeneral die Operation genannt, mit der Aleppo erst eingekesselt und dann erobert werden soll. Kanopus – wie der zweithellste Stern am Nachthimmel.

900 Meter fehlen al-Hasan noch, dann haben seine Infanteristen das Autobahnkreuz von Süden her erreicht. 1400 Meter sind es für die aus dem Norden angreifenden Tanks der 12. Panzerbrigade. „Wer immer zuerst da ist, er wird uns vom Nachschub abschneiden“, resigniert Major Hamadi. „Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass Baschar diesen Krieg gewinnt.“

Noch vor Jahresfrist glaubten Hamadi und seine kämpfenden Bengel fest daran, in Aleppo das Schicksal Syriens zu ihren Gunsten zu entscheiden: Dschihadisten der An-Nusra-Front und des Islamischen Staates (IS) hatten einen Keil in die Reihen der Loyalisten getrieben, Assads Truppen aufgesplittert und auf dem Internationalen Flughafen sowie in der Stadt eingeschlossen. Dann brachen die Kämpfe zwischen den selbst ernannten Gotteskriegern aus. Schossen IS-Krieger auf die Kämpfer des El-Kaida-Ablegers an-Nusra. „Der Beginn vom Ende des freien Aleppo – und des freien Syrien“, analysiert Hamadi sachlich. Und schluckt.

Eine Panzergranate detoniert in der Rückwand der Ruine, in der er sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Betonstaub rieselt von der Decke. Der Milizenführer verdreht spöttisch seine Augen, grinst und steckt sich eine Zigarette an: „Das wird wieder eine schlaflose Nacht: Baschar will uns ans Leben.“ Ein Teenager stürmt in das Zimmer, in dem früher einmal eine Familie ihre Abende vor dem Fernseher verbracht hat. Unter der schusssicheren Weste schimmern die kurzen, weißen Ärmel des Trikots hervor, in dem die französische Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft angetreten ist. „Ich habe dir gesagt, du sollst den Fetzen ausziehen“, pflaumt Hamadi den Melder an: „Darin haben die Franzosen schon jedes Spiel verloren. So bringst du uns nur Unglück.“

Seit Monaten sind Assads Truppen auf dem Vormarsch: Die Küstenprovinz Latakia haben sie bis auf wenige Widerstandsnester wieder unter Kontrolle gebracht. In der Hauptstadt Damaskus erobern sie langsam Stadtteil nach Stadtteil. Und die Schlacht um Aleppo sei geschlagen, glaubt der stellvertretende Außenminister des Iran, Hossein-Amir Abdallahim. Der Diplomat spricht bereits von dem Sieg, den der iranische Schützling Assad vor allem für den Westen in Syrien erringen werde: „Hätte es nicht den starken Widerstand des syrischen Volkes und seiner Soldaten unter der Führung Baschar al-Assads gegeben, dann würde vor allem die Welt im Westen heute ganz anders unter der Barbarei der Terroristen des Islamischen Staates leiden.“

Dessen Kämpfer macht Hamadi für das Drama verantwortlich, das sich in der Kulturhauptstadt des Islam abspielt. Erst seien die IS-Dschihadisten im Juni aus dem strategisch wichtigen Industriegebiet im Norden der Stadt gewichen. Vor drei Wochen dann hätten die letzten IS-Kämpfern Aleppo verlassen. Auch bei den Kurden, die rechts von der FSA-Kampfgruppe die Trümmer des Stadtteils Sheikh Maqsood halten, macht der Major Auflösungserscheinungen aus: „Von denen haben sich viele auf den Weg nach Kobane gemacht, um dort gegen den IS zu kämpfen.“ Die kurdische Stadt im syrisch-türkischen Grenzgebiet wird seit September von den Terroristen belagert.

Die, ist sich Milizionär Hamadi sicher, werden Assad nach seinem Sieg in Aleppo nicht zu fürchten haben. Die Dschihadisten hätten sich vor allem in der Wüste breitgemacht. „Da sind sie Baschar nützlicher als tot“, sagt der Major. Den Kampf gegen die Fundamentalisten könne der Diktator wunderbar für seine Propaganda nutzen. Und unbemerkt von der Welt die für Demokratie eintretenden Rebellen „endgültig vernichten“.