Die Reportage „Irinas Kinder“ zeigt: Schule kann auch Spaß machen. Foto: HR

Arte beschäftigt sich in einer Schwerpunktwoche mit der Schule: Corona ist dort nicht die einzige Krise.

Stuttgart - Vor langer Zeit, circa fünfzig Bildungsreformen muss das her sein, im Jahr 1969 also, hieß ein später gern im Fernsehen wiederholter Kinoklamauk mal „Hurra, die Schule brennt“. Peter Alexander, Theo Lingen und Heintje spielten mit, alles war schön weit weg von der Realität, mittendrin in der Was-haben-wir-für-Streiche-gespielt-Nostalgie flunkernder Erwachsener. Ach ja, was haben wir gelacht. Mittlerweile brennt es wirklich im deutschen Schulsystem, und spätestens seit Corona, Lockdown und Homeschooling ist allen das Lachen vergangen.

Persönliche Schutzmonster

Die Sorge vieler Eltern um das Absacken ihrer Kinder teilt auch die Wiesbadener Grundschullehrerin Irina Gontscharow. „Wenn die Schule so lange ausfällt, dann fallen die halt hinten runter“, sagt sie in der Arte-Reportage „Irinas Kinder“ (11. September, 19.40 Uhr) über ihre Zweitklässler, die eigentlich gerade aufsteigen sollen. In den Wochen, in denen Gruppenunterricht verboten war, haben viele Kinder zuhause aber nicht ganz so viel gelesen und gerechnet.

„Irinas Kinder“ ist Teil einer Schwerpunktwoche bei Arte, die den aufmunternden Titel „Schule ist klasse!“ trägt. Tatsächlich ist Irina Gontscharow eine so problembewusste wie findige und einfühlsame Lehrerin. Die Reportage zeigt, wo und wie es knirscht. Aber sie droht nicht mit dem Zusammenbruch des Systems. Ja, die Schule brennt, mal an dieser, mal an jener Ecke, aber dann muss man eben, wie Irina, zügig löschen. Und sei es, dass man die Kinder ein persönliches Schutzmonster erfinden und malen lässt. Es geht eben nicht nur um Infrastruktur. Es geht auch um innere Einstellungen. Irina Gontscharows Kinder sollen sich nicht fürchten.

Dauerkrise mit Stundenplan

Überhaupt relativiert die Arte-Themenwoche manche Debatte, die von einigen Eltern so geführt wird, als würden durch zeitweilig etwas arg ruckeligen Unterricht die Zukunftschancen ihrer Kinder final zu Staub zerrieben. Thierry Michels belgischer Dokumentarfilm „Die Schule der letzten Chance“ (Mittwoch, 9. September, 21.45 Uhr) erzählt vom Institut St. Martin in Lüttich, das von einer Bildungseinrichtung für die Kinder der Arbeiter, Ingenieure und Bürokräfte eines Stahlkonzerns zur letzten Auffangmöglichkeit schwer auffälliger Kids in einem abgestürzten Viertel wurde, zur Dauerkrise mit Stundenplan.

Als der örtliche Hochofen gesprengt wurde, war es mit Jobs, Wohlstand und Strukturen vorbei. Die Kinder aus Einwandererfamilien aus 17 Herkunftsnationen sehen keine Perspektive, sind voller Frust und Aggressionen. Der marode Schulbau scheint ihnen zu signalisieren: Auch der Staat nimmt euch nicht ernst.

Michel hat hier zwei Jahre lang immer wieder mit seinem Team vorbeigeschaut und genug Material, um beeindruckend zu verdichten. An dieser Brennpunktschule geht es nicht um etwas bessere oder etwas schlechtere Noten, sondern um ganz Grundsätzliches: die Fähigkeit, überhaupt an irgendetwas festzuhalten, nicht auszusteigen, nicht auf Kriminalität zu setzen. Einer der Schüler kommt nach einer zehnmonatigen Unterbrechung wieder zum Unterricht. Er musste eine Haftstrafe absitzen: Tankstellenüberfall.

Schüler im Dschihad

Auch „Maisonneuve - Eine Schule des Zusammenlebens“ (Mittwoch, 9. September, 22.45 Uhr) erzählt von den ganz großen Krisen und Konzepten, nicht von den kleinen Reibereien. Der Dokumentarfilm von Nicolas Wadimoff stellt eine Schule in Quebec vor, die auf den ersten Blick ganz normal buntscheckig und multikulturell wirkt. Aber Schüler dieser Einrichtung wollten 2015 in Syrien für den IS kämpfen. Lehrkräfte und wohl auch viele Mitschüler hat das kalt erwischt.

Nun versucht man, zu verstehen, was da geschehen konnte, und wie sich das Zusammenleben an der Schule so gestalten lässt, dass fundamentalistische Propaganda keine Wirkung entfalten kann. Das ist ein Projekt, das weit über die Schulmauern hinausreicht. Das macht kein bisschen unwichtiger, welche Sorgen Irina Gontscharow an ihrer Schule hat. Aber es stärkt einem in dem Gefühl, dass es doch möglich sein müsste, eine so einfache Frage wie die von Cloudservern für Schulstoffe zügig und pragmatisch zu lösen.

Info: Alle Sendungen sind auch in der Arte-Mediathek zu finden.