Eine Titan-II-Rakete in ihrem Silo: eine Waffe dieses Typs havarierte 1980 in den USA. Foto: WGBH Educational Foundation

Im Kalten Krieg kam es immer wieder zu Unfälle mit Atomwaffen. Die Arte-Doku „Damascus, USA“ rollt so einen vertuschten Fall von 1980 sauber auf. Deutsche Zuschauer werden da unweigerlich an die Beinahe-Katastrophe auf der Heilbronner Waldheide 1985 denken müssen.

Stuttgart - Waldheide heißt ein Plateau oberhalb des Stadtkessels von Heilbronn. Das klingt nach lauschiger, vielleicht ein wenig fader Idylle. Aber verschlafen und lauschig ist hier in den 80er Jahren gar nichts. Die Waldheide ist damals eine Quick Reaction Alert Site der US-Streitkräfte. Hier werden atomar bestückte Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II in Abschussbereitschaft gehalten, von hier aus fahren sie auf ihren Abschusslafetten durch Wälder im Schwäbischen und Fränkischen, um für einen Erstschlag der Roten Armee unerreichbar zu sein.

Codewort Broken Arrow

Am 11. Januar 1985 kommt es auf der Waldheide zu einem Unfall. Zunächst beteuern die Amerikaner, Gefahr habe nie bestanden, es habe ein wenig gebrannt. Bald wird klar: Das Triebwerk einer Pershing II ist explodiert, drei Soldaten sind ums Leben gekommen, der nukleare Gefechtskopf aber ist heil geblieben. Wäre er explodiert, wäre Heilbronn ausgelöscht und unter anderem das rund fünfzig Kilometer entfernte Stuttgart schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Heilbronn wird ein symbolischer Ort für die Friedensbewegung.

Broken Arrow, gebrochener Pfeil, lautet das Codewort des US-Militärs für die Havarie einer Atomwaffe. Der Vorfall in Heilbronn scheint der Friedensbewegung damals ein drastisches Menetekel, Motto: Nun ist es doch (wieder) passiert. Von ein paar gebrochenen Pfeilen hatte die Öffentlichkeit da ja schon erfahren, von Atomwaffen an Bord abstürzender Bomber etwa. Aber gern hatte es von amerikanischer Seite dann geheißen, falls überhaupt etwas passiert sei, wozu man nicht Stellung nehme, sei garantiert kein scharfer Gefechtskopf beteiligt gewesen. Vom drastischsten Fall eines gebrochenen Pfeils weiß man damals noch nichts.

Monster hinter der Kuhweide

Der Dokumentarfilm „Damascus, USA“ rollt ihn vorbildlich in Gesprächen mit den damals Beteiligten und mit Originalaufnahmen auf. Außerdem nutzt er packend nachgestellte Szenen, die ausnahmsweise nichts Peinliches haben. Im ländlichen Arkansas, am Ende von Ackersträßchen hinter Kuhweiden versteckt, liegt 1980 der Missile Complex 347-7. Hier stehen keine Pershing-II-Raketen bereit, sondern Langstreckenraketen vom Typ Titan II.

Die Giganten sind seit den frühen sechziger Jahren im Dienst. Für jede Kleinigkeit im Umgang mit ihnen gibt es Protokolle, Rituale, Regeln, für jedes denkbare Missgeschick eingedrillte Fehlerbehebungsketten. Am 18. September 1980 passiert der Fehler, den keiner vorhergesehen hat und für den es kein Protokoll gibt. Einem Neuling im Wartungstrupp fällt bei Arbeiten weit oben im engen Silo der 31 Meter hohen Rakete ein Werkzeugteil aus der Hand. Es prallt unten vom Boden ab, durchschlägt die Außenwand der Rakete, aus dem Loch zischt der hochentzündliche Treibstoff. Oben auf der Titan II sitzt der verheerendste Sprengkopf, den die Amerikaner im Arsenal haben, ein 9-Megatonnen-Monster, das nicht einzelne Städte, sondern Teile der Landkarte auslöschen soll.

Männer, die an Bomben glauben

Detailliert recherchiert hat diesen Fall Eric Schlosser für sein Buch „Command and Control“, und so heißt im Original auch Robert Kenners Film. Der erzählt angenehm unaufgeregt, weil am Horror der Geschichte sowieso kein Zweifel besteht. Nicht nur der Unfall, die Abschreckungsstrategie selbst wird Thema. Bombenbauer und Militärs werden nicht zu Schurken verzerrt, sondern ernst genommen. Das vergrößert die Wirkung der Erzählung noch, denn man merkt: Eigentlich möchten diese Männer an die Sicherheit der Waffen glauben, müssen aber ihre Unsicherheit bezeugen.

Wir lernen, wie hilf- und ratlos die Krisenbewältigung verlief. Letztlich explodierte die Titan II, zerfetzte ihren Bunker, schleuderte aber den Sprengkopf nach draußen. Er ging nicht hoch. An den Gesichtern und Stimmen merkt man, dass die Fachleute darauf nicht gewettet hätten. „Damascus, USA“ sollte man sehen, wenn einem die reale Sicherheitspolitik auch unserer Tage nicht ganz egal ist.

Ausstrahlungen Der Film ist bereits mit deutschem Voice-over bis 18. September 2020 hier in der Arte Mediathek abrufbar.