Beim Italiener: Merkel bittet Wolfgang Schäuble, nicht zurückzutreten Foto: rbb Presse & Information

Das ARD-Politdrama „Die Getriebenen“ zeichnet akribisch die Flüchtlingskrise vom Sommer 2015 nach – und zeigt eine Bundeskanzlerin, die womöglich zu spät, dann aber richtig handelt. Ein paar Fragen allerdings bleiben.

Berlin - Mitten in der Coronakrise erinnert die ARD mit einem aufwendig inszenierten Dokudrama an eine andere, fast fünf Jahre zurückliegende politische Krise: das Flüchtlingsdrama vom Sommer 2015. Mit dem aktuellen Corona-Krisenmanagement der Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigen sich die meisten Deutschen ja sehr zufrieden. Was ihr Agieren im August 2015 angesichts der Massenwanderung von Menschen aus Syrien über die Balkanroute gen Deutschland angeht, sind die Meinungen dagegen bekanntlich deutlich gespalten.

Das ZDF hat schon vor einem halben Jahr dieses Thema bearbeitet: „Stunden der Entscheidung: Angela Merkel und die Flüchtlinge“ war ein starker Mix aus Spielszenen und Rückblick-Interviews mit den damals Agierenden; die Kanzlerin selbst stand für Selbstauskünfte allerdings nicht zur Verfügung. Die ARD-Produktion von Florian Oeller (Buch) und Stephan Wagner (Regie) baut nun dagegen komplett auf inszenierte Spielszenen mit Schauspielern – und verlässt sich inhaltlich ganz auf den Sachbuch-Bestseller „Die Getriebenen“, 2017 von Robin Alexander verfasst, dem Chef-Hauptstadtreporter der Tageszeitung „Die Welt“.

Das Buch behauptet Insiderwissen

Alexander versah sein Werk damals mit dem Untertitel „Ein Report aus dem Innern der Macht“ und markierte damit den Anspruch des Politikjournalisten, dank Insiderinformationen mehr berichten zu können von den wahren Abläufen und Hintergründen, als es die Handelnden selbst in Interviews zum Besten geben. Seine Interpretation der damaligen Ereignisse drückt sich klar im Buchtitel aus: Im Sommer 2015 verlor die deutsche Politik weitgehend die Kontrolle über Außen- und Innenpolitik, man wurde getrieben von anderen. Durch allzu langes Zögern und Zaudern geriet die Bundesregierung ganz unter den Einfluss des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der die Flüchtlingsströme nutzte, um seine Stellung in Europa auszubauen. Und so sehr Angela Merkel dann unter dem Druck der Lage auch damit recht hatte, die deutschen Grenzen für die Schutz suchenden Menschen offen zu halten, so sehr muss man ihr vorwerfen, für die katastrophale Gesamtlage politische Schuld zu tragen.

Das ist zweifellos eine diskussionswürdige Sicht – die sich aber nun im nachgespielten Film natürlich nicht mehr als Diskussionsbeitrag, sondern als akkurat nachgespielte Wahrheit präsentiert. Tristan Seth als Kanzleramtsminister Peter Altmaier, Timo Dierkes als SPD-Chef Sigmar Gabriel, Walter Sittler als Außenminister Steinmeier, Joseph Bierbichler als Horst Seehofer – sie alle sind vom offenbar versierten Maskenbildner auf „täuschend echt“ getrimmt – deutlicher kann der Film-Anspruch nicht sein.

Auf dem Sofa sagt die Kanzlerin auch mal „Sch...“

Und sie alle sind in diesem Fall nur „Die Getriebenen“ – getrieben von der Schuldenkrise in Griechenland, getrieben vom Machtkampf zwischen Markus Söder und Horst Seehofer in Bayern, getrieben von den Intrigen Sigmar Gabriels, getrieben von der Unzufriedenheit der Geheimdienst-Spitzen. Und im Zentrum treibt es Angela Merkel, eindrucksvoll verkörpert von der wunderbaren Theater- und Filmschauspielerin Imogen Kogge, der wir hier als Kanzlerin nicht nur bei der Hetze von einem Termin zum nächsten zusehen dürfen, sondern auch beim abendlichen Fläzen auf dem Sofa mit ihrem Ehemann Joachim Sauer. Hier ist sie privat, hier darf sie es sein, weswegen ihr beim Small Talk schon auch mal ein „Scheiße“ oder ein „Kacke“ über die Lippen kommt.

Spätestens hier wird allerdings von Buch und Film ein Anspruch auf Insiderwissen behauptet, den selbst der heißeste Hauptstadt-Journalist nicht ernsthaft behaupten oder gar einlösen kann. Und so haben die „Getriebenen“ ihre Licht- und Schattenseiten. Eindrucksvoll werden Druck und Stress deutlich, unter denen weit reichende Entscheidungen zu treffen sind. Aber vieles von dem, was die Akteure hier sprechen, klingt doch zu stark nach der Leitartikelsprache aus der täglichen Presseschau. Man spürt einen gewissen Willen, letztlich eine Erklärung für das Scheitern der „Ära Merkel“ abzuliefern. Und in Wirklichkeit ist sie immer noch da.

ARD,
Mittwoch, 15. April 2020, 20.15 Uhr (und in der ARD-Mediathek)