Wilde Wortschießerei: Architekten treten in der Schau als Cartoonfiguren auf.Foto: P. Deilmann Foto:  

Postmoderne gegen Moderne: Die Weissenhofwerkstatt rollt in einer Ausstellung am Beispiel von James Stirlings Neuer Staatsgalerie in Stuttgart mit viel Witz den erbitterten Kulturkampf in den 80ern auf.

Stuttgart - Beliebigkeit, Bevormundung, Faschismus: Die rhetorische Munition hatte es in sich. Kaum eine Debatte der jüngeren Baugeschichte wurde so erbittert geführt wie die Auseinandersetzung zwischen moderner und postmoderner Architektur. Insofern macht es Sinn, die Ausstellung nach einem Westernklassiker zu benennen. „High Noon“ (deutsch „Zwölf Uhr mittags“) überschreibt sich die Schau in der Weissenhofwerkstatt (bis 19. April,
Am Weissenhof 20, geöffnet Sa, So 12 bis 17 Uhr), die versucht, den Richtungsstreit der Baukünstler am Beispiel Stuttgarts aufzurollen. Denn zumindest, was Deutschland betrifft, war die baden-württembergische Landeshauptstadt der zentrale Kampfplatz im architekturästhetischen Glaubenskrieg.

Wir sind zurück in den frühen Achtzigern. Mit der Neuen Staatsgalerie von James Stirling soll in Stuttgart eine Trutzburg des postmodernen Stils entstehen. Von dorischen Säulen über romanische Fenster bis zu altägyptischen Pilzkopfstützen zitiert sich das verspielte Nebeneinander des Briten durch die Epochen. Eine Provokation für die bauhausstrenge Bande rund um den Stuttgarter Architekten Günter Behnisch, der mit seinem eigenen Plan für die Staatsgalerie gescheitert war.

Architekturheroen werden zu Comic-Figuren

Auf diesen Showdown spitzt die Studioausstellung in der Dependance des Weissenhofmuseums den Kulturkampf zu. Hervorgegangen ist die Schau aus einem Projekt an der Universität Stuttgart. Klaus Jan Philipp, Professor für Architekturgeschichte, und seine Studenten haben sich ein witzreiches Präsentationsformat ausgedacht. Im Holzmodell lassen sie die Kontrahenten noch einmal aufeinandertreffen. Hier Stirlings opulent erzählerischer Galeriepalast, dort Behnischs Museumsmaschine aus Stahl und Glas.

Für bestes Infotainment sorgt der Baukunst-Comic, den Philipp und seine Eleven an die Wand werfen, um die wilde Wortschießerei von damals zu rekonstruieren. Die Architekturheroen Gottfried Böhm und Hans Hollein verwandeln sich ebenso zu Cartoonfiguren wie Stirling und Behnisch. In Sprechblasen liest der Besucher die Argumente, die seinerzeit in den Feuilletons sowie bei einem Stuttgarter Kolloquium ausgetauscht wurden.

Die rauchenden Colts der Architektur

Der Hinweis auf die beliebige Verquickung der Architektursprachen war nur einer der Vorwürfe gegen Stirling. Schwerer wog, dass manch einer im monumentalen Formgestus wie in der Verwendung von Cannstatter Travertin und Sinsheimer Schilfsandstein Ähnlichkeiten mit nationalsozialistischen Bauten sah. Auch der zielstrebig festgelegte Weg durch die Schausäle der Galerie galt plötzlich als undemokratische Bevormundung.

Der Österreicher Hollein sprang Stirling bei und kippte den selbsternannten Rettern der Moderne eine ordentliche Ladung Wiener Schmäh vor die Füße. Wenn „Sandstein autoritär“ ist, ätzte er, ist eine „simple Holzbaracke“ dann „Ausdruck von Freiheit“? Hollein ging sogar noch weiter, um den Verächtern der Postmoderne die Absurdität ihrer Invektiven vorzuführen. In einem architektonischen Gedankenspiel zur Weissenhof-Siedlung setzte er eine umzäunte Barackenzeile plus Wachturm vor das Mies-van-Rohe-Haus. Jeder Schelm, der Böses denkt, erkennt darin ein Konzentrationslager.

Mittlerweile sind die rauchenden Colts der Architektur wieder abgekühlt und Natursteinfassaden vom Faschismusverdacht freigesprochen. Sieg der Postmoderne? Abwarten! Parallel erinnert die Schau an Henry Cobbs Plan für das Stuttgarter Kunstmuseum, der sich mit Türmchen und Rotunde gleichfalls geschichtsverliebt gab, aber letztlich keine Gnade bei den Entscheidern fand. Stattdessen beherrscht heute der kantenklare Glaskubus des Büros Hascher Jehle den Schlossplatz. Haben die Modernisten am Ende also doch die Oberhand behalten?

Am Niedergang selbst schuld

Der angehende Architekt Timo Bilhöfer, einer der studentischen Teilnehmer des Projekts, überlegt ein Weilchen. „Die Postmoderne“, meint er, „ist an ihrem Niedergang selbst schuld, weil sie sich zu sehr verkitscht hat.“ Die ironischen Aspekte, die Stirling beispielsweise mit dem froschgrünen Noppenboden eingebracht hat, seien in Vergessenheit geraten, der Rückbezug auf Tradition zu reinem Historismus verkommen. So zu erleben beim Berliner Stadtschloss. Klaus Jan Philipp hebt etwas anderes am Stirling-Disput hervor: „Damals wurde noch über die ästhetische Qualität von Gebäuden gesprochen. Heute geht es nur noch um Dämmung oder Energieeffizienz.“

Vor der ideologiekritischen Betrachtungsweise, die den Postmodernismus mit der neokonservativen Kehre der achtziger Jahre in Verbindung bringt, warnt der Architekturhistoriker. „Das sozialutopische Reformdenken, das Le Corbusier im Neuen Bauen der Zwanziger zu auszudrücken glaubte, spielte schon nach 1945 keine Rolle mehr.“ Gerade weil der Funktionalismus der Flachdachkästen zunehmend als seelenlos empfunden wurde, habe sich die Postmoderne auf traditionelle Elemente zurückbesonnen und ein erzählerisches Bauen konzipiert.

Derzeit neigt die architektonische Leitkultur allerdings wieder mehr zu pragmatischen Lösungen, was man nicht zuletzt im Bauhaus-Jubiläum 2019 erfuhr. Doch wie die Stuttgarter Ausstellung jetzt zeigt, behält auch die Botschaft der Postmoderne ihre Gültigkeit: Ein bisschen Schönheit und Fantasie haben noch keinem Gebäude geschadet.