Hasan Soul (rechts) nutzt Bus, Stadtbahn und S-Bahn seit Jahren im Alltag – für den sehbehinderten Masseur ist die neue App eine „riesengroße Hilfe“. Stefan Schmidhäuser hat die Anwendung programmiert. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Anwendung für das Smartphone mit dem Namen Sinn² wurde nun mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnet. Sie spricht sowohl den Hör- als auch den Tastsinn des Nutzers an.

Stuttgart - Für Hasan Soul sind Bus, Stadtbahn und S-Bahn seit Jahren fester Bestandteil des Alltags. Die Hürden bei der Nutzung der Verkehrsmittel sind für den 30-jährigen Masseur indes ungleich höher als für andere, denn sein Sehvermögen ist stark eingeschränkt. „Ich sehe hell und dunkel, ein bisschen auch Farben und Umrisse“, so Soul. Trotz der Routine durch das tägliche Fahren war er früher stark von anderen Fahrgästen abhängig – etwa, wenn Züge ausfielen oder Verspätung hatten.

Dann musste er sich bei Fremden nach Alternativen erkundigen. „Früher stand ich oft am Bahngleis und ein Zug fiel aus. Ich dachte dann immer: ‚Oh Gott, wie geht es jetzt weiter? Schaffe ich es noch rechtzeitig zur Arbeit?‘“, so Hasan Soul. Denn die Anzeigetafeln in den U-Bahnhöfen kann er nicht lesen, und auch die Apps der Verkehrsbetriebe sind für Menschen gemacht, die gut sehen. Seit rund zwei Jahren hat sich das verändert. Jetzt nutzt Soul die App Sinn² , die das Verkehrswissenschaftliche Institut Stuttgart (VWI) in einer Kooperation entwickelt hat. Beteiligt waren außerdem das Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen der Uni Stuttgart und das Institut für angewandte Sozialwissenschaften des Zentrums für kooperative Forschung der DHBW Stuttgart. Im August wurde die App mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnet.

Fahrgastinformationen in Echtzeit

Sie liefert Sehbehinderten Fahrgastinformationen in Echtzeit und trägt dadurch dazu bei, dass sie trotz ihrer Einschränkung selbstständig am ÖPNV teilhaben können. Das Prinzip der App ist einfach: „Es werden immer zwei Sinne gleichzeitig bedient“, erklärt Stefan Schmidhäuser. Der bei der Uni Stuttgart angestellte Diplom-Informatiker hat die App programmiert. Während Apps gewöhnlich nur visuell funktionieren, spricht Sinn² den Hör- und den Tastsinn an. „Die Ausgangsfrage war, wie man die Verkehrs-Apps mit möglichst geringem Aufwand für Sehbehinderte zugänglich machen kann“, erklärt Schmidhäuser. Zentral dabei ist die in iPhones enthaltene Voice-Over-Funktion, bei der eine Stimme vorliest, was auf dem Display steht. In herkömmlichen Verkehrs-Apps ist diese zwar vorhanden, aber in der Anwendung unterentwickelt und für sehbehinderte Menschen kaum brauchbar. Schmidhäuser hat die Funktion für Sinn² wesentlich verbessert.

Das Smartphone wird zur Wünschelroute

Ein taktiles Element gibt es auch: bei Sinn² wird das Smartphone zur Wünschelrute: Wenn Nutzer in die gewünschte Richtung laufen, vibriert es. Der in den meisten Geräten integrierte Magnetkompass macht die Funktion möglich. Auch das Display ist für sehbehinderte Menschen optimiert: Nette Grafiken, die für Blinde und Sehbehinderte ohne Mehrwert sind, gibt es nicht. Die Auswahlfelder sind groß und in Schwarz-Weiß-Kontrasten gehalten, da viele Sehbehinderte – darunter Hasan Soul – hell und dunkel unterscheiden können. Nutzer von Sinn² können Favoriten anlegen und sich auf Grundlage von minütlich aktualisierten Informationen ansagen lassen, welche Bahnen an einer bestimmten Haltestelle zu welcher Uhrzeit ankommen und abfahren. Kurzum: sie sind durch die App immer auf dem neuesten Stand. Die einfache Handhabung macht die Anwendung auch für Nutzer attraktiv, die wenig Erfahrung im Umgang mit Apps haben, ältere Menschen zum Beispiel.

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„Durch die App weiß ich jetzt viel zuverlässiger, wie ich von A nach B komme“, sagt Hasan Soul. Jetzt müsse er nicht alles vorab planen, sondern könne das flexibel von unterwegs aus tun: „Das ist eine riesengroße Hilfe.“ Hasan Soul gehörte auch zu der Gruppe von blinden und sehbehinderten Menschen, die von Beginn an in die Entwicklung der App mit einbezogen wurden und somit maßgeblich zu deren Qualität beitrugen. „Es war sehr spannend, an diesem Prozess teilzunehmen“, sagt er.