Die Anwohnerin Petra Schlenker zeigt in ihrer Einfahrt in der Kolbstraße auf Stellen, wo Festbesucher hingepinkelt haben. Foto: Tilman Baur

Nach den Festnächten stinken die Hinterhöfe wie Pissoirs. Die Besucher des hippen Festes benehmen sich mitunter daneben, auch den Anwohnern gegenüber.

S-Süd - Am vergangenen Freitagabend schlüpfte Petra Schlenker in die ungewohnte Rolle einer Kontrolleurin. Im Zehn-Minuten-Takt wankten Gruppen angetrunkener Männer vom Marienplatzfest in die nahegelegene Kolbstraße, wo Schlenker wohnt, um in einem der Hinterhöfe ihre volle Blase zu leeren. Zusammen mit einem Nachbarn konfrontierte sie die Männer.

„Du lässt die Hose hier nicht runter, du pinkelst hier nicht ans Haus!“, habe sie gesagt. Die Ausreden fielen dann wenig kreativ aus: „Ich habe halt Druck“, habe einer geantwortet. Ein anderer gab zu Protokoll, er müsse telefonieren – dabei hatte er gar kein Handy in der Hand. Ein Dritter wurde unverschämt: „Ihr seid Städter, ihr müsst das aushalten!“, habe er erwidert. Schlenker sieht das anders: „Man kann sich auch benehmen“, findet sie. Zumal sich während des Fests entlang der Tübinger Straße eine ganze Armada an Dixi-Klos aufreihte. Dass sich die Festbesucher stattdessen lieber auf den Privatgrundstücken erleichterten, kann die kaufmännische Angestellte nicht verstehen. Auch später in der Nacht torkelten immer wieder Leute in die Hinterhöfe, auch in ihren. „Am Morgen danach hat es gestunken wie in einem Pissoir“, so die 56-jährige, die seit 20 Jahren in der Kolbstraße wohnt und einen Trend beobachtet: „Generell haben das Müllaufkommen und der Vandalismus zugenommen. Was das Fest betrifft, war das Ausmaß mit dem Pinkeln dieses Jahr extrem.“

Keine Spur von Umweltbewusstsein

Das bestätigt ihre Nachbarin Tabea Fritz. Der Uringeruch am Morgen vermiese einem das Leben in der Stadt, sagt sie. Es sei sehr schade, dass das Marienplatzfest durch den Müll und das Wildpinkeln an Attraktivität für die Anwohner verliere. „Dadurch verlieren die Anwohner die Toleranz gegenüber den Feierlichkeiten, was schade ist, aber verständlich“, so Tabea Fritz. Vom neu gewonnenen gesellschaftlichen Umweltbewusstsein – Stichwort: Fridays for Future – merke man auf der Straße jedenfalls nichts.

Allein das Wort „Umweltbewusstsein“ muss in den Ohren von Sybille Kurz klingen wie blanker Hohn. In der Tübinger Straße betreibt sie einen Second-Hand-Laden. Ihre Aufzählung der Gegenstände, die sich in nur einer Marienplatz-Nacht vor ihrem Laden ansammelten, spricht für sich: drei leere Schnapsflaschen, eine zerschlagene Bierflasche, die ganze Fensterbank voller Teelichter, Zigarettenkippen und ein verschmutztes Schaufenster obendrein. Eine „Riesensauerei“ sei das, urteilt Kurz. Petra Schlenker fordert vom Veranstalter, die Toiletten besser auszuschildern, und die Zugänge zu den Örtlichkeiten zu beleuchten. „Vielleicht sollte man auch einfach mal darauf hinweisen, dass hier Menschen leben“, so Schlenker.

Den Veranstaltern ist das selbst peinlich

Die Macher des Fests nehmen die Beschwerden der Anwohner ernst. „Wenn so etwas passiert, ist uns das selbst peinlich“, sagt Peter Streibel, einer der Veranstalter. Er gibt zu, vom großen Besucherandrang etwas überrascht worden zu sein. Die Anzahl der Toiletten sei indes seit Jahren gleichbleibend groß: allein entlang der Tübinger Straße hätten 20 Dixi-Klos gestanden, dazu kamen ein fest installiertes Toilettenhäuschen auf dem Marienplatz, Urinale, Behindertentoiletten und weitere Dixis hinter der Bühne.

Zusammen mit seinen Partnern will Streibel nun überlegen, was man künftig besser machen kann. Auch das Gespräch mit den betroffenen Anwohnern will er suchen. Unter Umständen können man die Besucher „an der Ehre packen“, so Streibel, etwa durch Plakate an Häusern, die an ihre Moral appellieren.

Vielleicht könnten auch höhere Strafen fürs Wildpinkeln helfen: denn obwohl nach Landespolizeigesetz Geldstrafen von bis zu 5000 Euro möglich sind, kommen Wildpinkler beim ersten Vergehen in Stuttgart glimpflich davon und zahlen nur zwischen 35 und 50 Euro.