RKI-Chef Lothar Wieler mit der Corona-App auf dem Smartphone. Foto: dpa/Hannibal Hanschke

Monatelang hat sie auf sich warten lassen, jetzt ist sie da: Die Corona-Warn-App soll eine neue Stufe der Vorsorge werden.

Berlin - Moderatorin der App-Show ist Dorothee Bär. Die Digitalstaatsministerin von der CSU spricht zu Beginn von einem großen Bahnhof, der für ein kleines technisches Helferlein mit erhofft großer Wirkung aufgeboten wird. Die halbe Regierung sitzt auf dem Podium im Bundespresseamt, angeführt von Gesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU). Letzterer verkündet selbstbewusst, dass die nun existierende Corona-Warn-App im Weltmaßstab zwar „nicht die erste“, dafür aber „die beste“ sei. Telekom-Chef Timotheus Höttges setzt noch einen drauf, bezeichnet die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand als einen Höhepunkt seiner Berufslaufbahn, die Software selbst als einen „Rockstar“.

Das Prinzip der doppelten Freiwilligkeit

Der Stolz auf das in 50 Tagen Gelungene ist mit Händen zu greifen. „Da steckt wahnsinnig viel Arbeit drin“, sagt der federführende Minister Spahn. Justiz- und Verbraucherschutzministerin Christine Lambrecht (SPD) ist glücklich, dass sich die „doppelte Freiwilligkeit“ durchgesetzt hat und die Bürger nicht mit Anreizen oder gar Zwang zur Nutzung der App animiert werden. Das Verfahren habe „Maßstäbe für die Zukunft gesetzt“, meint Innenminister Horst Seehofer (CSU).

Wie zum Beweis berichtet das SAP-Vorstandsmitglied Jürgen Müller von einer nie dagewesenen Gemeinschaftsprogrammierung: Mehr als 100 000 fachlich Interessierte haben die Veröffentlichungen studiert, sie reichten 1500 konkrete Vorschläge für einen besseren Quellcode ein. So viel Datenschutz war nie, meint Müller, weil nur verschlüsselte Zufallscodes ausgetauscht werden. Leicht spöttisch erinnert er manchen Kritiker daran, dass „bei jeder Pizzabestellung und in den sozialen Medien viel mehr Daten preisgegeben werden“. Der Werbefilm zur Corona-Warn-App, der nun eingespielt wird, fasst die Botschaft zusammen: „Ich weiß nichts über Dich, aber ich beschütze Dich.“

Simulationen im Zugwaggon

Es bleibt nicht bei der reinen Werbeshow, die allein darauf zielt, möglichst viele Bundesbürger zum Download zu bewegen. Obwohl in den vergangenen Tagen und Wochen bereits vieles über die App bekannt geworden ist, bietet der gemeinsame Auftritt aller Beteiligten eine Reihe neuer Erkenntnisse – zum Beispiel zur Fehlertoleranz der App.

In Simulationen haben die Entwickler von SAP und der Telekom Situationen im Restaurant, auf Cocktailpartys oder im Zugwaggon nachgestellt – die Genauigkeit der neuen Abstandsmessung per Bluetooth-Technologie wurde dabei mit 80 Prozent angegeben. In einem Fünftel der Fälle wird somit ein gefährlicher Corona-Kontakt nicht erkannt oder Fehlalarm ausgelöst. „Mir ist ein Test zu viel lieber als ein Test zu wenig“, sagt Spahn dazu – die Erinnerungslücken derjenigen, die vom Gesundheitsamt nach ihren Begegnungen der vergangenen 14 Tage befragt würden, seien oft größer als das 20-prozentige Restrisiko der App. Sie ist für ihn ohnehin „kein Freifahrtschein“, da auch bei einem nicht erfassten Intensivkontakt von weniger als 15 Minuten Dauer einmal das Coronavirus übertragen werden kann. Lothar Wieler, der Chef des Robert-Koch-Instituts, sieht den Vorteil der Software vor allem darin, dass sie überhaupt Fälle erfassen kann, „die bisher durchs Raster gefallen sind“.

Testergebnisse der Labore müssen digitalisiert werden

Ein bisher wenig beachteter Nebeneffekt der Warn-App ist dem Gesundheitsexperten besonders wichtig. Da auch die Labore Corona-Testergebnisse auf das Handy übermitteln sollen, müssen sie voll digitalisiert werden. Ein Fünftel ist es bereits, dem Telekom-Chef zufolge werden es in vier Wochen alle sein. Dadurch können in bestimmten Fällen bis zu vier Tage gewonnen werden, in denen ein Infizierter durch Zuhausebleiben niemanden mehr anstecken würde.

Mit Freude wird schon am Vormittag registriert, dass bereits mehrere hunderttausend Bundesbürger die Software auf ihr Handy gespielt haben. Es bleibt jedoch dabei, dass keine Zielmarke genannt wird. Telekom-Boss Höttges gibt indes Auskunft darüber, wie viele in der Theorie erreicht werden könnten. Etwa 50 Millionen Bundesbürger besitzen ein Smartphone, T-Mobile stellt das Netz bereit für etwa eine Million Geräte, auf denen die App wegen älterer Betriebssysteme nicht läuft.

Diese und andere Startschwierigkeiten will Kanzleramtschef Braun noch in den Griff bekommen. Er berichtet von Gesprächen mit Apple und Google, um auch ältere Geräte einzubinden. Und auf EU-Ebene sehe es so aus, dass die deutsche App zumindest für die später in die Sommerferien startenden Baden-Württemberger und Bayern „noch in dieser Urlaubssaison“ auch in Italien, Österreich und der Schweiz funktionieren müsste.