Feministinnen lassen sich nackt für einen „antisexistischen Autokalender“ auf dem Rotebühlplatz fotografieren. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Stuttgarts Polizei lässt nackte Feministinnen unter bestimmten Voraussetzungen gewähren. Den Straftatbestand des Exhibitionismus gibt es bei Frauen nicht, erklärt ein Sprecher. Die Aktivistinnen beklagen bei ihren Kritikern „Hass auf den Körper“.

Stuttgart - Der Wunsch nach glatter Haut ist zum Massenphänomen geworden. Rasiert, epiliert und gewaxt wird, auf dass kein Härlein mehr sprießt. Doch nicht alle machen mit. Dass sich zwar einige Nackt- Demonstrantinnen bei der Critical Mass der Radfahrer am Rotebühlplatz barfuß bis zum Hals zeigten, aber buschig nicht bloß unter den Achseln, hat ihnen bitterböse Urteile im Internet beschert.

„Sind Busch und Achselhaare wieder in?“, lästerte ein User und entschied für sich: „Dann bleib ich lieber Single.“

Künstlerin Justyna Koeke, eine der Macherinnen des Nacktkalenders, findet es „verrückt, wie negativ der nackte Körper wahrgenommen wird“. Beim Lesen der Kommentare, sagt die Dozentin der Kunstakademie, habe sie Hass gespürt, der ihrer Aktion entgegenschlägt – es sei ein „Hass auf den Körper“.

Auf einer Brücke würde die Polizei einschreiten

Die Polizei hat auf Anfrage unserer Zeitung erklärt, warum sie am Freitagabend gegen das Fotoshooting der unbekleideten Feministinnen nicht eingeschritten ist. Hätte ein Mann blank gezogen, wäre dies wohl anders gewesen. „Den Tatbestand des Exhibitionismus gibt es nicht bei Frauen“, sagt Polizeisprecher Jens Lauer. Bei Frauen sei das Ausziehen allerdings ebenso verboten, wenn ein sexueller Hintergrund vorliege oder jemand Anzeige erstatte. Der Ort eines Nacktfotos müsse so gewählt werden, dass es nicht zur Straßengefährdung kommen könne. „Auf einer Brücke über einer Straße würden wir einschreiten“, so Lauer. Ebenso würde man nackte Feministinnen vor einer Moschee vertreiben.

„Wird mit Kunst Exhibitionismus legal?“

Schon zwei Kunstkalender sind in Stuttgart freizügig erschienen. Normale Menschen sind drin, die sich auf Baustellen, Bäumen oder auf dem Birkenkopf ohne Hemd und ohne Höschen tummeln, keine perfekten Models.

Und jetzt war die FKK-Truppe – diesmal nur mit Frauen, Männer werden auf anderen Kalenderblättern zu sehen sein – bei der Radfahr-Demo, was im Netz eine heftige Debatte ausgelöst hat. „Ah, die zeigefreudigen Weibchen sind wieder on tour“, schrieb eine Geschlechtsgenossin. „Wird mit Kunst Exhibitionismus legal?“, fragt ein weiterer Kommentator. Eine Frau kritisiert: „ Die Nacktdemos sind kontraproduktiv zu #metoo!“

Justyna Koeke hält dagegen: „Bei unseren Shootings handelt es sich um subversive Interventionen im öffentlichen Raum, nicht um Exhibitionismus.“ Mit Sex habe das Entkleiden der Künstlergruppe nichts zu tun, versichert die Kalendermacherin. Für die Fotos würde nichts digital nachbearbeitet, also nichts beschönigt.

Ein „antisexistischer Autokalender“ ist das Ziel

„Da wir von Sexisten umgeben sind, können wir davon ausgehen, dass wir mit Nacktsein Aufmerksamkeit für wichtige Probleme schaffen“, fährt die Künstlerin fort. Ziel sei es, einen „antisexistischen Autokalender“ zu machen, der anders sei als die anderen. Frauen sollten befreit werden vom sexuell-berechnenden Blick auf sie, befreit davon, Objekt der Begierde zu sein.

Wenn also Nacktheit ein Weg ist, um gehört zu werden, heißt das für Frauen, dass sie bei der nächsten Gehaltsverhandlung wenig anziehen sollten? Interessiert sich keiner mehr für Frauen, wenn sie kaum was von ihrem Körper zeigen?

Fragen wie diese provozieren – so, wie die Nackten die Öffentlichkeit provozieren. Provokationen helfen, wichtige Debatten anzuheizen. Warum aber sollte man sich über Nackte aufregen? Wahrscheinlich hat jeder schon mal welche gesehen, ob mit oder ohne Achselhaare. Nackt sind wir alle gleich. Doch manchmal will man nicht alles gleich sehen.