Die Szene, die die Polizei aufarbeiten will: Ein Polizist geht die linke Aktivistin Janka Kluge heftig an. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die eskalierte Demonstration der Stuttgarter Antifa ruft jetzt die Kommunalpolitik auf den Plan. SÖS/Linke-plus kritisieren den Polizeieinsatz besonders scharf – die CDU nimmt die Beamten in Schutz.

Stuttgart - Das Bild, wie ein Polizist die 59 Jahre alte Janka Kluge angreift und sie am Hals und an den Haaren packt, ist kein schönes. Aber reicht das, um das Verhalten der Stuttgarter Polizei bei Demonstrationen wie am Mittwoch auf dem Marienplatz, wo das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS) zum Protest gegen die Vorgänge in Chemnitz aufgerufen hatte, prinzipiell zu hinterfragen? Die Meinungen im Gemeinderat dazu gehen weit auseinender.

Die deutlichste Kritik an dem Polizeieinsatz, der auf der Tübinger Straße offenbar etwas aus dem Ruder lief, formuliert die Fraktion SÖS/Linke-plus. „Das Verhalten der Stuttgarter Polizei auf der Spontandemo der AABS gegen die rassistischen Pogrome in Chemnitz ist ein Schlag ins Gesicht unserer Demokratie“, sagt Stadtrat Luigi Pantisano. Die Bilder und Videos seien „schockierend und gleichzeitig bezeichnend für das Verhalten der Polizei in den letzten Jahren.“ Rechtsextremisten und Rassisten würden Kundgebungen von den Polizeibehörden in Stuttgart den roten Teppich ausgerollt bekommen.

Der SPD-Stadtrat und Stuttgarter Parteivorsitzende Dejan Perc findet, dass die Polizei hier allem Anschein nach „deutlich überreagiert“ habe, bewertet das aber als Einzelfall. „Das muss intern geprüft werden und gegebenenfalls zu Konsequenzen führen“, sagt Perc. Ein möglicherweise überreagierender Polizist diskreditiere die Arbeit der vielen anderen Polizisten seiner Ansicht nach nicht.

Die CDU schließt ein strukturelles Problem aus

Zurückhaltender ist der Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Winter. Er will mit einer Beurteilung der Geschehnisse abwarten, bis das Filmmaterial der Veranstaltung ausgewertet ist. „Wir müssen alles tun, dass Veranstaltungen und Demonstrationen gewaltfrei bleiben und alle Seiten deeskalierende Maßnahmen ergreifen“, sagt Winter. Die Bilder von der Demo vermitteln den Eindruck, dass das am Marienplatz krachend gescheitert ist.

Alexander Kotz, CDU-Fraktionschef im Rathaus, sieht zumindest kein strukturelles Problem bei der Stuttgarter Polizei, auch wenn er die Szene mit dem Polizisten und Janka Kluge kritisch sehe. „Die Beamten müssen im Bruchteil einer Sekunde entscheiden, das sind Extremsituationen“, sagt Kotz. Außerdem seien die Demonstranten aus dem linken Spektrum gegenüber der Polizei – die ebenfalls Verletzte beklagt hatte – auch nicht zimperlich.

Zu der nicht angemeldeten, spontanen Antifa-Demo auf dem Marienplatz am Mittwoch waren etwa 150 Demonstranten gekommen. Als sie sich zu einem Zug formierten um in Richtung Rotebühlplatz zu marschieren, stellte sich ihnen die Polizei in den Weg. Von hier an gibt es zwei unterschiedliche Versionen der Geschichte: Die Polizei sagt, sie habe die Veranstaltung aufgelöst, weil es keinen Versammlungsleiter gegeben habe, mit dem die Wegführung des Zugs abgesprochen hätte werden können.

Ermittlungsverfahren gegen den Polizisten

Laut AABS habe es ein Bemühen um Kommunikation aber gar nicht gegeben. „Die Polizei hat ohne vorherige Ankündigung die Demonstration angegriffen und mehrere Teilnehmende durch Pfefferspray und Schläge verletzt“, heißt es in einer Stellungnahme der vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppe. Ob es einen Versammlungsleiter gegeben hätte, bleibt offen.

Jedenfalls kam es in der Folge erst zu Rangelein, dann zu Gewalt. Vier Polizisten wurden leicht verletzt, das AABS beklagt „mehrere Verletzte“ auf seiner Seite. Im Fall um Janka Kluge, die Landesgeschäftsführerin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) und dem zupackenden Polizisten hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen ihren eigenen Mann angekündigt. „Es wird aber noch eine Weile dauern, bis das ganze Bildmaterial ausgewertet ist“, sagt Polizeisprecher Olef Petersen.