Statisten, die Täter spielen, nehmen an der Terrorismusabwehr-Übung (BWTEX) 2019 auf dem Truppenübungsplatz Heuberg teil. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Erstmals nimmt auch die Bundeswehr an einer Anti-Terror-Übung teil: In Stetten am kalten Markt helfen Soldaten bei Sanitäts- und Sicherungsaufgaben.

Stetten am kalten Markt - Warum hilft denn den Schwerverletzten niemand? Polizei und Sanitäter müssten doch wissen, was zu tun ist! Zuschauer auf der Tribüne, vor allem Laien, können Katastrophen meist recht einfach bekämpfen. Auch auf dem Truppenübungsplatz in Stetten am kalten Markt, wo Innenminister Thomas Strobl an diesem nasskalten Samstag den Umgang mit einem Terroranschlag üben lässt, nimmt sich die Gefechtslage auf den ersten Blick einfach aus. Graue Sperrholzhütten simulieren die Konstanzer Fußgängerzone, in der eine Autobombe explodiert. Schüsse knallen, Menschen schreien, Verletzte liegen in ihrem Blut. Warum nur dauert es so lange, bis man ihnen endlich hilft?

Weil sich die Drehbuchautoren für BWTEX, wie diese bisher größte deutsche Anti-Terror-Übung heißt, eine teuflische Dramaturgie ausgedacht haben. Eine, in der die normale Rettungskette nicht mehr funktioniert. „Wir müssen das Undenkbare denken“, sagt Strobl. Nicht einer, nicht zwei, sondern vier und mehr Terroristen bringen Tod und Verderben in die Stadt am Bodensee. Sind sie vielleicht unter den mehr als 100 Verletzten? Sind sie unter den Toten? Immer wieder knallt es aus einer anderen Ecke. Bei der Polizei und dem Bevölkerungsschutz gehen panische Anrufe ein, niemand kann mit Sicherheit sagen, wo überhaupt noch ein sicherer Platz ist. Da können auch Sanitäter, Feuerwehr und Streifenbeamte nicht einfach das Standardprogramm abspulen.

„Katastrophisches Ausmaß“

Genau auf dieses Szenario hat es Strobl angelegt: dass die Polizei an ihre Grenzen gelangt. Nur in diesem Fall nämlich, bei einer „ungewöhnlichen Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes“, wie das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2012 festgelegt hat, darf er die Armee zu Hilfe rufen. „Das Innenministerium kam zur Bewertung, dass Unterstützung durch die Bundeswehr erforderlich sei“, sagt Brigadegeneral Andreas Henne. Und genau dies spielen die Stäbe und die 2500 Beteiligten an diesem Tag praktisch durch.

Es sieht nach Krieg aus, als nach einer halben Stunde schwere Sanitätspanzer in die Gefahrenzone rollen. Der GTK Boxer zum Beispiel kann durch eine Öffnung in der Bodenplatte Verletzte aufnehmen, ohne dass Retter in Gefahr geraten. Wenige Kilometer entfernt heben nicht nur Hubschrauber des ADAC, der Polizei und der DRF Luftrettung mit Verletzten ab und fliegen sie in die umliegenden Kliniken, sondern auch ein Helikopter der Bundeswehr. Doch so richtig augenfällig wird die olivgrüne Hilfe erst, als Soldaten mit geschulterter MP um den Sammelplatz für Verletzte patrouillieren, den das Deutsche Rote Kreuz in der Nähe des Anschlags aufgebaut hat.

Ein gemeinsames Glossar

„Hier dürfen Sie nicht durch“, sagt einer – und übt damit hoheitliche Befugnisse aus, die eigentlich nur der Polizei zustehen. Doch die hat in einer solch prekären Lage dringlichere Aufgaben, deshalb darf sie die Befugnisse delegieren. „Die Polizei schützt, die Bundeswehr unterstützt“, reimt Brigadegeneral Henne – damit auch ja niemand vergessen möge, dass die Polizei die Kommandogewalt hat, und somit keinerlei Komplikationen mit dem Grundgesetz drohten. Dennoch gibt es auf der politischen Bühne heftige Kritik von Links an der Kooperation.

Einfach ist diese Hilfe in der Praxis trotzdem nicht, dafür sind die beiden Organisationen viel zu unterschiedlich. Das beginnt schon bei der Funktechnik, die nicht kompatibel ist. „Deshalb stellt die Polizei der Bundeswehr für die Übung Funkgeräte zur Verfügung“, sagt Renato Gigliotti, der Sprecher des Innenministeriums. Doch bei einer Stabsübung vor zwei Jahren, als die Kooperation erstmals am grünen Tisch geübt worden war, stellte sich heraus, dass beide mit ganz unterschiedlicher Sprache sprechen: „Wenn der Polizist zum Beispiel ,Streife´ sagt, meint der Soldat etwas Anderes“, sagt Gigliotti. Seither gibt es ein gemeinsames Glossar, außerdem helfen Verbindungsoffiziere Missverständnisse zu vermeiden.

Auch Schweizer Polizisten sind dabei

Wie muss das erst haken, wenn Terroristen grenzüberschreitend zuschlagen! Auch dieses Problem versucht man mit BWTEX anzugehen. Mehrere Sanitätsfahrzeuge ungewohnter Bauart rollen zu den Zelten, in denen Notärzte die Verletzten versorgen – auf ihren Nummernschildern steht TG für Thurgau. Auch die Polizei der Konstanzer Nachbar-Kantone in der Schweiz sei in die Übung einbezogen worden, sagt Strobl. Eine Gruppe französischer Offiziere sieht sich das Spektakel ebenfalls an. Wer, wenn nicht Frankreich, weiß, was Terror in einer Großstadt bedeutet? Vor vier Jahren brachten in Paris islamistische Attentäter an einem Tag 130 Menschen um.

Damit das Räderwerk der Retter nicht irgendwo ins Stocken kommt, sind bei BWTEX auch die Kliniken in Konstanz, Friedrichshafen, Sigmaringen sowie das Bundeswehr-Krankenhaus Ulm einbezogen. „Man kann die Patienten aber nicht einfach einladen und in die Kliniken fahren oder fliegen“, sagt Heiko Lebherz, der stellvertretende Bereitschaftsleiter des DRK im Zollernalbkreis. Sie müssten vielmehr vorsortiert werden – je nach Art und Schwere der Verletzungen. Dazu haben die Retter ein ganzes Dorf aus Sanitätszelten aufgebaut, in der die Verletzten quasi am Fließband diagnostiziert und vorbehandelt werden. Schon von außen sieht man, wie es um sie steht – grün markierte Zelte stehen für leichte, rot markierte für schwere Verletzungen. In gut einer Stunde stand das Feldlager. Aber auch das benötige immer wieder Übung, betont Lebherz.

„Freies Spiel der Kräfte“

Selbst so abgebrühte Profis wie die Notärzte in den ADAC-Rettungshubschraubern loben BWTEX, das für Baden-Württembergische Terrorismus Exercise steht. „Bei der Patientenversorgung lerne ich da nichts mehr hinzu, aber das Ineinandergreifen der Räder muss ständig geübt werden“, sagt der Arzt Enrico Staps, der mit einem Christophorus-Helikopter Verletzte nach Ulm bringen soll. Vom ersten Schuss bis hin zur simulierten OP soll die Rettungskaskade fließen, lautet das Ziel der Übung.

„Mit dem, was ich bisher gesehen habe bin ich zufrieden“, zieht Landespolizeipräsident Gerhard Klotter eine erste Bilanz. Zumal das Ganze ja nicht nach einem festen Drehbuch ablief, sondern mit dem „freien Spiel der Kräfte“. Soll heißen: Nach dem Attentat lag es an den Sicherheitskräften – darunter auch Spezialisten des Landeskriminalamts – und den Rettern, die richtigen Schritte zu tun. Klotter: „Wir haben auch nur mit den Kräften geübt, die zur Verfügung standen, nicht mit solchen, die es gar nicht gibt.“

Ein gewisses Happy-end gehört bei der Übung allerdings auch dazu: Nach gut einer halben Stunde haben Spezialeinsatzkommandos der Polizei, die aus Göppingen heran geflogen worden waren, die Täter bekämpft. Nun soll die Auswertung im Detail erfolgen. Bis Weihnachten ist ein vorläufiger Bericht geplant.