Anselm Kiefer feiert seinen 70. Geburtstag Foto: dpa

Anselm Kiefer gilt als Weltkünstler. Götz Adriani, als Leiter der Kunsthalle Tübingen früh für Kiefers Werk engagiert, weist auf die Bedeutung der Zeit in Buchen im Odenwald hin: „Dort“, sagt Adriani, „liegen die Ursprünge, aus der Landschaft, aus der Arbeit dort hat Kiefer die Kraft gezogen.“

Völlig überraschend wird im Juni 2008 Anselm Kiefer als Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels benannt. Kein Schriftsteller, kein Dichter, sondern ein Maler und Objektkünstler. „Der Künstler“, so begründet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Entscheidung für Kiefer, „agiert als genialer, bewusster Eroberer, der die Mittel einer texturreichen, expressiven Malerei an sich reißt und wie Beutestücke in die eigene Bildwelt transferiert.“ Der Künstler habe „das Buch selbst, die Form des Buches, zu einem entscheidenden Ausdrucksträger gemacht“.

Anselm Kiefer also. Einer zunächst, der auszog, sich selbst das Fürchten zu lehren. Einer, der aus Sicht der Kritik nicht selten die Provokation überzieht. „Heroische Sinnbilder“ und „Besetzungen“ nennt Kiefer seine ersten Werkabschnitte.

Vorwurf zu Auseinandersetzung mit Hitler-Deutschland

Malerisch und zeichnerisch führt der in Donaueschingen Geborene fort, was ihm später den Vorwurf einer falsch verstandenen Auseinandersetzung mit Hitler-Deutschland einbringt. Fotos gehen den Arbeiten auf Papier voraus, begleiten sie, werden gar, wie Literaturzitate und später auch getrocknetes Gras und Erde, Teil von ihnen. Die Fotos zeigen einen jungen Mann in Uniform, in freier Landschaft, den Arm zum „deutschen Gruß“ erhoben. 1970 ist das, Kiefer, Schüler von Joseph Beuys an der Düsseldorfer Akademie, schließt sein Studium ab und macht die „Besetzungen“ zu seinem finalen Thema.

Zehn Jahre später – Tilman Osterwold präsentiert im Württembergischen Kunstverein Stuttgart im Dialog mit Walter Stöhrers furios düsterem Bilderzyklus „Schwarze Toscana“ einen ersten KieferQuerschnitt, der auch auf kleinen Formaten die intellektuelle Themenverdichtung deutlich macht – ist es Klaus Gallwitz, vormals Leiter der Kunsthalle Baden-Baden, der Kiefer ins internationale Rampenlicht schiebt.

Bundesdeutsche Kritik zeigte sich irritiert

Anselm Kiefer im deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig – das sorgt für Aufsehen. Die bundesdeutsche Kritik zeigt sich irritiert, während die „New York Times“ bald vom „wichtigsten Künstler“ schreibt, „der im letzten Vierteljahrhundert aus Europa zu uns herüberkam“. Was aber trieb die bald immer größer werdenden Bilder Anselm Kiefers an, was das objekthafte Ausgreifen in den Raum?

Götz Adriani gab 1990 in einer seinerzeit weithin unterschätzten Ausstellung – gestützt auf Kiefers Auseinandersetzung mit dem Buch – in der Kunsthalle Tübingen eine bis heute gültige Antwort. „Malerische Hauptwerke wie ,Maikäfer flieg‘, ,Märkischer Sand‘ oder ,Unternehmen Seelöwe‘“, war damals in unserer Zeitung zu lesen, „wirken in dieser Schau wie Desiderate, gewonnen aus der Arbeit mit, in und an den Büchern.“

Und: „Der Maler Kiefer ist nicht aus den Mythennebeln zu erklären, die bei Aufklaren den Blick freigeben auf das Nachstellen historischer Ereignisse, sondern aus den Büchern, die, einzeln gesehen, ein Thema benennen, umkreisen und schließlich durch eine lineare Struktur in einen zeitlichen Ablauf bringen.“ „Ich will die Zeit als Dimension sichtbar machen“, begründete Kiefer einmal sein Interesse für das Medium Buch, „die Erzählung, das Gedicht arbeiten mit der Zeit.“

Von Buchen aus führte Kiefers Arbeitsweg nach Südfrankreich. Von 1993 bis 2008 machte er eine ehemalige Seifenfabrik in Barjac bei Nîmes zu seiner Werkstatt. Inzwischen lebt und arbeitet Kiefer dort, wohin es ihn immer schon zog – in Paris. Dort mag er auch jene tiefen Verbindungen christlich-jüdischer Kulturwurzeln immer besonders erspürt haben, die thematisch sein Werk insgesamt durchziehen und die 2011 auch in einer Schau des Kiefer-Blocks der Sammlung Grothe im Museum Frieder Burda in Baden-Baden konzentriert aufschienen.

Ein großer Erzähler ist Kiefer bis heute

Ein großer Erzähler ist Kiefer bis heute – durch die Qualität des konzeptuellen Arrangements. So reichte und reicht ihm mitunter eine Andeutung, ein Wort nur oder eine angerissene Figuration – alles andere vervollständigen, verändern wir als Betrachter. Bildnerische Fallen sind so vorprogrammiert – etwa, wenn Kiefer das Boot als Motiv des bewussten Aufbruchs wie auch der Flucht nur mehr signalhaft und additiv nutzt. Oder wenn er das befleckte oder aschegetränkte Kinderkleid bühnengleich als autonome Figuration auftreten lässt.

Zugleich aber sind da jene wunderbaren kleinformatigen Mischtechniken – panoramahaft versammelt in der Sammlung Großhaus – , die Kiefer den so wichtigen Büchern der frühen Zeit vergleichbar als Studienfeld nutzt. Und zuerst auch in diesen Mischtechniken ist jene Freude am Ausbruch in eine neue Leichtigkeit erkennbar, die sich Kiefers Eintauchen in die Mohnblumenfelder der Umgebung von La Ribaute verdankt.

Mag Kiefer hier in die Sternenwelt aufbrechen, sich dort in den Tiefen der Mystik bewegen – erneut wird ihm doch, wie schon in den 1970er Jahren, in den 2000er Jahren die Landschaft zum Wagnis. Eine Landschaft, deren Schönheit und Härte die Last nicht verschweigt, Spielort des 20. Jahrhunderts, Feld der Katastrophen, gewesen zu sein.

Ein neuer, ein zukunftweisender Dialog ist möglich – das ist die Botschaft von Kiefers Bildwelt, auch und gerade für ein wieder einmal nach sich selbst suchendes Europa. An dieser Botschaft arbeitet Kiefer, im Südwesten vor allem auch dem Sammler Reinhold Würth verbunden, auf einem erneut monumentalen Areal in Croissy-Beaubourg, 20 Kilometer östlich von Paris. Wer sich dort bewege, sagt Kiefer, „geht in meinen Gehirnwindungen spazieren“. Das Werk – eine Versammlung von Denkstationen? An diesem Sonntag wird diese Frage ausnahmsweise zurückstehen – Anselm Kiefer feiert seinen 70. Geburtstag.