Blumen und Kerzen vor der Synagoge in Halle. Foto: AP/Jens Meyer

Der rechtsextreme Anschlag in Halle wirft viele Fragen auf. Im Interview erzählt Valentin Hacken von „Halle gegen Rechts“ warum rechter Terror noch immer unterschätzt wird und warum Horst Seehofers Sprache auch Teil des Problems ist.

Stuttgart - Bei Angriffen mitten in Halle sind am Mittwoch vor einer Synagoge und in einem Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen worden. Der mutmaßliche Täter filmte seinen Anschlag, stellte die Aufnahmen und ein rechtsextremes Manifest ins Netz. Während die Tat für viele Deutsche unvorstellbar erscheint, hat sich in der 240 000-Einwohnerstadt in Sachsen-Anhalt schon seit Jahren ein rechtsextremes Netzwerk gebildet. Seit 2017 besitzt die sogenannte „Identitäre Bewegung“, die vom Verfassungsschutz offiziell als klar rechtsextremistisch eingestuft wurde, ein Haus, das sie als „patriotisches Kultur- und Veranstaltungszentrum“ bezeichnet und welches als ein Ort der Vernetzung für die rechte Szene fungiert. Wir haben mit Valentin Hacken, einem der Sprecher von „Halle gegen Rechts“ über die Stimmung in der Stadt, die Mitschuld der AfD und über Präventionsarbeit gesprochen.

In Halle ist passiert, was in Deutschland unvorstellbar schien“, sagte Bundespräsident Steinmeier. Was sagen Sie zu dieser Aussage?

Ehrlich gesagt, finde ich diese Aussage bei über 190 Toten seit den 1990er Jahren durch Rechtsextreme falsch und beschämend. Man muss sich nur fragen, warum Synagogen in ganz Deutschland Polizeischutz benötigen.

Wird die Gefahr rechten Terrors noch immer unterschätzt?

Ja, absolut – und das auf verschiedenen Ebenen. Die Stadt und das Land könnten viel mehr gegen Rechts unternehmen. Auch von den Staatsanwaltschaften geht viel zu wenig Druck aus, der eine präventive Wirkung entfalten könnte.

Welche Gefahr geht von dem IB-Haus aus?

Einerseits gibt es die praktische Situation: Es werden immer wieder Leute von den Identitären angegriffen – zuletzt Studierende. Andererseits ist dieses Haus ein Ort der Vernetzung für rechte Akteure – ob aus dem Umfeld des Dritten Weges, der AfD oder der NPD.

Trägt die AfD Ihrer Meinung eine Mitschuld an dem Anschlag?

Man muss die Hintergründe abwarten. Was ich sagen kann ist, dass die AfD in Halle – so wie auch im Rest Deutschlands – Teil der extremen Rechten ist. Sie arbeiten eng mit rechten Verlagen und der Identitären Bewegung zusammen, die in Halle gewaltbereit auftritt.

Wie sieht die Präventionsarbeit Ihres Bündnisses in Halle aus?

Wir bieten klassische Bildungsarbeit an und veranstalten Workshops und Kurse. Doch diese Menschen erreichen wir gar nicht mehr. Wir können jedoch die Stadtgesellschaft sensibilisieren und sagen, dass wir den Rechten in Halle keinen Raum geben wollen. Das zeigt auch Wirkung, denn alles was sie möchten ist Raum und Sichtbarkeit in der Stadt.

Heute reist auch Innenminister Horst Seehofer an.

Er hat die rechte Sprache mitgeprägt. Mit seiner Formulierung „Es ist eine Herrschaft des Unrechts“ rückt er den Rechtsstaat nach Rechts. Auch mit seiner Aussage „Bis zur letzten Patrone wolle man sich dagegen wehren, eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme zu bekommen“ (Anmerk. d. Redaktion: Zitat Seehofers beim politischen Aschermittwoch der CSU 2011) hat er die Sprache der Rechtsextremisten mitgeprägt. Der mutmaßliche Täter von Halle hat nun Gewalt bis zur letzten Patrone angewendet.

Neben der Sprache spielen auch Verschwörungstheorien eine große Rolle.

Antisemitische Theorien werden sogar im Landtag von Sachsen-Anhalt offen verbreitet. Man redet auch hier in Codes – und fragt nach, ob Gelder von George Soros (Anmerk. d. Redaktion: ein US-amerikanischer Philanthrop und Investor ungarischer Herkunft) kommen würden. Die Politiker der AfD sollten statt Trauerbekundungen lieber ihre Partei auflösen – das wäre hilfreicher für alle.

Der mutmaßliche Täter hat seinen Anschlag gefilmt und sein Manifest auch auf Englisch verbreitet – wie soll man damit umgehen, um den Täter nicht zu pathologisieren?

Das Video und auch das Manifest sollten auf keinen Fall verbreitet werden. Natürlich muss es ausreichend analysiert werden. Es zu teilen und dem Täter eine Plattform zu bieten, wäre eine Belohnung für den Täter. Stattdessen sollte man besser über die Opfer reden.