Der Sitzungssaal, in dem der Prozess verhandelt werden soll. Foto: Ronny Hartmann/dpa/Ronny Hartmann

Der Prozessauftakt um den rechtsextremen Terroranschlag von Halle steht unmittelbar bevor. Von Dienstag an steht der angeklagte Stephan B. in Magdeburg vor Gericht - unter den Augen der internationalen Öffentlichkeit.

Halle - Einer der schlimmsten antisemitischen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte wird von Dienstag an in Magdeburg verhandelt. Neun Monate nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Halle muss sich der 28-jährige Stephan B. vor Gericht verantworten. Die Ausgangslage:

DER PROZESS: Bislang sind 18 Verhandlungstermine für den Prozess vorgesehen. Der bislang letzte Termin soll am 14. Oktober stattfinden. Die Anklage führt die Bundesanwaltschaft. Stephan B. wird in Magdeburg der Prozess gemacht, weil am dortigen Landgericht die Sicherheitsbedingungen erfüllt werden können. Der Prozess findet in einem mit rund 400 Quadratmetern verhältnismäßig großen Verhandlungssaal statt.

Gut 40 regionale, nationale und internationale Medien haben in einem Auslosungsverfahren einen Platz im Sitzungssaal erhalten, darunter auch die „New York Times“. Wegen der Corona-Pandemie gelten zudem die allgemeinen Hygieneregeln.

DIE TAT: Am 9. Oktober 2019 versucht ein schwerbewaffneter Mann, in die Synagoge in Halle einzudringen, in der Gläubige den höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, begehen. Als er scheitert, erschießt er in der Nähe eine 40 Jahre alte Frau und einen 20-Jährigen. Auf der Flucht verletzt der Täter ein Paar schwer, bevor er nahe Zeitz von zwei Polizisten festgenommen wird. Das Geschehen streamt er live ins Internet.

Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt sieht in der Tat auch einen „erschreckenden Beleg“ für einen seit längerem gestiegenen Antisemitismus, „der sich sodann als Motivation für rechtsextremistische Straf- und auch Gewalttaten widerspiegelt.“ Der Inlandsgeheimdienst sieht auch Parallelen zu einem rechtsextremen Anschlag im neuseeländischen Christchurch. Im März 2019 wurde dort in zwei Moscheen auf muslimische Gläubige geschossen, mehr als 50 Menschen starben.

DIE VERTEIDIGUNG: Bislang hat sich Rechtsanwalt Hans-Dieter Weber mit öffentlichen Äußerungen weitgehend zurückgehalten. Kurz nach dem Anschlag hatte er dem Südwestrundfunk (SWR) gesagt, sein Mandant Stephan B. sei intelligent, wortgewandt, aber sozial isoliert. Auslöser für die Tat sei gewesen, dass er andere Menschen für eigene Probleme verantwortlich mache. Webers Kanzlei teilte der Deutschen Presse-Agentur mit, dass sie in Absprache mit dem Mandanten vor dem Prozess keine Stellungnahme abgeben werde.

DER ANGEKLAGTE: Stephan B., geboren im Januar 1992 in der Nähe der Lutherstadt Eisleben, gilt als sogenannter einsamer Wolf. Ein Chemie-Studium brach er ab. In einem elf Seiten langen „Manifest“, das er vor der Tat veröffentlichte, wimmelt es vor antisemitischen Begriffen. B. spricht etwa von einer „zionistisch besetzten Regierung“ - ein klassischer judenfeindlicher Begriff aus der rechtsextremen Szene.

Noch bevor die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, hatte er eine Grundausbildung bei der Bundeswehr absolviert und wurde laut Verteidigungsministerium auch an der Waffe ausgebildet.

„In seinem Weltbild ist es halt so, dass er andere verantwortlich macht für seine eigene Misere, und das ist letztendlich der Auslöser für dieses Handeln“, erklärte sein Verteidiger kurz nach der Tat. Er sehe Kräfte am Werk, die im Verborgenen wirkten, aber sehr einflussreich seien und auf die Politik einwirken könnten, so Weber.

Bei den Sicherheitsbehörden war er zuvor nicht in Erscheinung getreten, wie der Verfassungsschutz mitteilte. Die von ihm veröffentlichten Schriften und das live übertragene Video belegten eine antisemitische und fremdenfeindliche Grundeinstellung. Diese stehe augenscheinlich im Zusammenhang mit einer frauenfeindlichen Haltung, die zur Radikalisierung des Angeklagten führte. Diese habe in „einschlägigen Internetforen“ stattgefunden. Für Kontakt zu Rechtsextremisten in der analogen Welt hat der Verfassungsschutz eigenen Angaben zufolge keine Belege gefunden.

DIE NEBENKLÄGER: Rund 50 Nebenkläger sind mittlerweile laut Gericht zugelassen worden. Viele von ihnen sind bislang nicht an die Öffentlichkeit getreten. Grundsätzlich können sich Menschen einer Nebenklage anschließen, die unter anderem von einer Tat „gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit“ betroffen sind, wie das Gericht mitteilte. Weitere Details zu den Nebenklägern nannte das Gericht nicht. Neben Vertretern der Jüdischen Gemeinde Halle wie dem Vorsitzenden Max Privorozki, hat auch der Amerikaner Ezra Waxman vor dem Prozess mit Journalisten geredet.

Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur sagte der 32-Jährige: „Ich bin ein bisschen nervös.“ Vor der Verhandlung hatte der Forscher der TU Dresden in Österreich Kraft getankt – die Ruhe vor dem Sturm, wie er sagt. Gemeinsam mit Freundinnen und Freunden habe er 2019 an Jom Kippur kleinere und ältere jüdische Gemeinden beleben wollen und sei deswegen nach Halle gekommen.

„Ich weiß nicht genau, was ich von dem Prozess erwarten soll“, sagt er. Natürlich hoffe er, dass Stephan B. so lange hinter Gitter komme, wie er eine Gefahr für die Gesellschaft sei. Zudem wolle er mehr über ihn erfahren, verstehen wie er denkt und was ihn antreibt, weil er sich dann sicherer fühle. „Ich kenne niemanden wie ihn, deswegen würde ich gerne verstehen, wie er Hass auf Menschen entwickeln konnte, die er nicht mal kennt.“

Auch der Taxifahrer Daniel Waclawczyk gehört zu den Nebenklägern. Am 9. Oktober war sein Wagen ihm zufolge in einer Werkstatt - die Reifen sollten gewechselt werden - als das Taxi mit Waffengewalt geraubt wurde, um die Flucht fortzusetzen. Zum Prozess sagte er: „Der Täter soll seine gerechte Strafe bekommen. Zudem hoffe ich, dass ich die wirtschaftlichen Schäden ersetzt bekomme.“ Er beziffert den Schaden mit rund 12 000 bis 14 000 Euro auch wegen Umsatzverlusten. Erst am 9. Dezember sei das gestohlene Taxi wieder einsatzbereit gewesen.

Die Doktorandin der Philosophie Christina Feist sagte vor dem Prozess der Zeitung „taz“, sie wolle wissen, ob sich der Attentäter wirklich unbemerkt radikalisiert habe. Zudem habe sie noch einen Rest Hoffnung, dass der Prozess Menschen aufrütteln werde. Sie war bei dem Anschlag ebenfalls in der Synagoge.

Am Donnerstag wurde zudem ein Betreiber des vom Anschlag betroffenen Döner-Imbisses als Nebenkläger zugelassen. Das bestätigte ein Gerichtssprecher der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage. In dem Geschäft war der 20-Jährige erschossen worden. Zuvor hatte die „Mitteldeutsche Zeitung“ darüber berichtet.

DIE VORSITZENDE RICHTERIN: Ursula Mertens ist in Sachsen-Anhalt seit vielen Jahren tätig, am Oberlandesgericht Naumburg (OLG) und am Landgericht Halle. Sie leitete bisher eine Vielzahl an Prozessen - unter anderem gegen den selbst ernannten „König von Deutschland“ aus Wittenberg, Peter Fitzek. Der Verfassungsschutz rechnete den gelernten Koch der Reichsbürgerszene zu, was er vehement bestritt.