Annenmaykantereit wurde in Stuttgart frenetisch gefeiert. Foto: Oliver Willikonsky - Lichtgut

Hin- und hergerissen zwischen Größe und Intimität: Annenmaykantereit bespielen die ausverkaufte Porsche-Arena, als wär’s die Turnhalle ihres Heimatgymnasiums.

Stuttgart - In der kuscheligen Rosenau haben Annenmaykantereit (AMK) noch vor vier, fünf Jahren gespielt, danach wurden die Auftrittsorte stetig größer. Über die Wagenhallen (2015) ging es ein Jahr später ins LKA und nun also die Porsche-Arena; als nächstes käme dann wohl die Schleyerhalle. Ob man dem Quartett aus Köln das wirklich wünschen soll?

Natürlich: Auch Annenmaykantereit können sich gegen Popularität nicht wehren, und sie wollen es auch nicht. Gerne betonen die vier Kumpel aus Schülerzeiten, dass ihre Karriere genau so verlaufe, wie man sich das gewünscht habe: Erfolg? Ja, gerne! Doch wer AMK am Freitagabend in der komplett ausverkauften Porsche-Arena erlebt hat, der wird das Gefühl nicht los: Hier muss jemand ziemlich viele Gegensätze gleichzeitig ausbalancieren – Überschaubarkeit herstellen, wo Größe herrscht, neuen Star-Status mit der einstigen Straßenmusikervergangenheit vereinen, partout an keiner Stelle aus der Rolle fallen.

Flair einer Schulturnhalle

Auf ungewöhnliche Weise haben sich AMK die Arena für diesen Grenzgang zwischen Damals und Heute zurechtkonfigurieren lassen. Wo vielen Kollegen die Bühne gar nicht breit genug sein, ist sie hier zum einem schmalen Schlauch verengt, der anfangs nochmals durch einen schwarzen Vorhang geteilt wird. Betont klein ist der zunächst übriggebliebene Bereich, das suggeriert die Vertrautheit einer Location aus den Anfangsjahren. Und tatsächlich wirkt dieses Konzert so, als würden AMK noch immer die Schulturnhalle ihres Kölner Heimatgymnasiums bespielen. Oder eben die Rosenau.

Doch die räumliche Intimität trügt. Früher haben AMK Seelen bewegt, heute bewegen sie zudem jede Menge Geld, schleppen ein umsatzstarkes Geschäftsmodell mit sich herum. Wie die beiden Konzerte in Stuttgart (der zweite Auftritt folgt am 7. April an selber Stelle), sind alle Auftritte der aktuellen Tournee schon Wochen zuvor ausverkauft und der Merchandisingstand ist von der Jutetasche über den Turnbeutel bis zum T-Shirt und Kapuzenpulli mit einer Fülle an Bandinsignien bestückt. Man kann sie also förmlich vor sich sehen, die Bandmanager, Plattenfirmenmenschen und Zubehörartikelhersteller, wie sie AMK einnorden: jetzt bloß nichts falsch machen, das Image nicht mit unangemessenen Gesten oder Klängen in Schieflage bringen.

Viel Melancholie

Das Image, das ist jene „vier Freunde müsst ihr sein“-Konstellation und der bewährte AMK-Sound, der mit auf Melancholie gebauten Liedern den Schwebezustand zwischen Jugend und Adoleszenz besingt, das schmale Zeitfenster, wenn das Abitur gerade zurück liegt, der erste Lohnsteuerjahresausgleich noch in weiter Ferne und die Tage noch unbeschwert verdaddelt werden können.

Fast unausweichlich führt diese Gemengelage zwischen äußeren Umständen und innerer Haltung denn auch zu einem Konzert, das sich ein wenig zwischen den Stühlen bewegt, als lauer Kompromiss daherkommt: Man erlebt eine Band, die im Star-Status angekommen ist und sich diesem gleichzeitig so weit wie möglich zu entziehen versucht. Los geht’s mit „Marie“ und „Nur wegen dir“ aus dem aktuellen Album „Schlagschatten“, ehe nach knapp zwanzig Minuten zu „Du bist anders“ die Kulisse und erstmals auch die Klangfarbe wechselt. Die Bühne verdoppelt sich nach hinten, gibt einen Baldachin aus weißen Schnipseln frei, eine auf’s Nötigste reduzierte Beleuchtung, ein zweites Drumset und die Trompete des Tourbegleiters Ferdinand Schwarz kommen ins Spiel, im Hintergrund wartet das Klavier von Sänger Henning May auf seinen Einsatz.

AMK-Sound bleibt sich treu

Doch stets bleibt der AMK-Sound seiner Rolle als handgemachter Rock treu, hergestellt strikt nach dem akustischen Reinheitsgebot. Natürlich gehören da elektrifizierte Gitarrensounds zum Konzept, doch zu Synthesizern oder computergenerierten Tönen pflegt diese Musik ein Verhältnis wie ihre Klientel zu Weißmehl oder zum Verbrennungsmotor: geht gar nicht. Rund eine Stunde zieht der Abend in erdig-empfindsamem Duktus denn auch eher ohne große Höhepunkte seine Kreise. Henning May röhrt so kernig, als wäre er der Enkel von Tom Waits, greift mal zur geliebten Melodica und das Schlagzeug von Severin Kantereit sowie der Bass von Malte Huck sorgen für Rhythmen zwischen Polka und Latin Music (hübsch in „Jenny Jenny“).

Sämtliche Repertoirehighlights folgen dann selbstredend im Schlussdrittel: Die Studentenhymne „21, 22, 23“ und das Beziehungspsychogramm „Pocahontas“ beenden des regulären Teil des Abends, „Barfuß am Klavier“ und „Oft gefragt“ den ersten Zugabenblock, als Rausschmeißer gibt es „Ich geh heut nicht mehr tanzen“. Dass AMK in der Porsche-Arena jegliche Extravaganzen meiden, gerne mal im Schlagschatten romantisch-phlegmatischer Bürgerlichkeit dösen, sich an den Hedonismus ihrer Vorgängergeneration nicht richtig herantrauen, ist unbedingter Teil ihrer Erfolgsgeschichte und auch eine Botschaft. Frenetisch gefeiert werden AMK für ihre etwas indifferente Tonart trotzdem – oder gerade deshalb.