Am Donnerstag geht der Prozess gegen den 20-Jährigen zu Ende. Foto: Weingand / STZN

Ein 20-Jähriger hat gestanden, einen Senioren aus nichtigem Grund getreten und schwer verletzt zu haben. Warum trotzdem sowohl Verteidigung als auch Anklage eine Bewährungsstrafe fordern, lesen Sie hier.

Weissach im Tal/Stuttgart - So heftig die Fußtritte waren, so schwerwiegend die Folgen für das Opfer noch heute sein mögen: Sowohl die Anwältin des Geschädigten als auch die Staatsanwältin haben vor dem Landgericht Stuttgart eine Bewährungsstrafe für den 19-Jährigen gefordert, der im Juni 2018 einen Rentner angegriffen und schwer verletzt hatte.

Im Wesentlichen hatte der junge Mann schon kurz nach dem Vorfall eingeräumt, den damals 78-Jährigen an jenem Abend aus nichtigem Grund geschlagen, getreten und dadurch schwer verletzt zu haben. Der Auslöser war völlig trivial: Der 18-Jährige und ein paar jüngere Freunde hatten sich bei einer Bank an einem Radweg in Weissach aufgehalten, um dort Alkohol zu trinken und „zu chillen“.

Das Opfer wurde durch Fußtritte schwer verletzt

Der Rentner fühlte sich auf seinem E-Bike von den Heranwachsenden behindert – ob er sie deswegen beleidigt hat, konnte nicht geklärt werden. Der 18-Jährige ging auf den Senior los, schlug und trat ihn auch dann noch, als er schon am Boden lag. Der 78-Jährige erlitt eine mehrfach gebrochene Nase, Prellungen und Quetschungen. Er hat seinen Geruchssinn verloren, ein paar Wochen nach dem Vorfall musste er wegen einer Hirnblutung operiert werden.

Durch seine Tritte, so die Staatsanwältin, habe der junge Mann den Tod des Senioren zumindest billigend in Kauf genommen. Dennoch sah sogar sie als Anklägerin mehrere Punkte, die für den heute 20-Jährigen sprächen. So sei er vom versuchten Totschlag ohne Zwang zurückgetreten und habe wohl aufgehört zu treten, noch bevor ein Zeuge dazukam. Sie forderte, eine Jugendstrafe von zwei Jahren zur Bewährung auszusetzen. Die Liste der von ihr geforderten Auflagen ist jedoch lang: Während der zweijährigen Bewährungszeit solle er nicht nur ein intensives Anti-Aggressions-Training absolvieren, sondern wegen seines Marihuanakonsums auch an Terminen bei der Drogenberatung und an Drogenscreenings teilnehmen.

Der Lehrling zahlt freiwillig 20 000 Euro Schmerzensgeld

Sein Rechtsanwalt erinnerte in seinem Plädoyer daran, dass der junge Mann schon bei der ersten polizeilichen Vernehmung den Angriff eingeräumt hat. Er habe richtig großes Glück gehabt – nicht nur, weil das Opfer den Angriff überlebt habe, sondern auch mit seinem Haftrichter. „Dass dieser trotz des Vorwurfs des versuchten Totschlags einen Haftbefehl außer Kraft setzt, so etwas habe ich noch nie erlebt.“ Die so gewonnene Zeit in Freiheit habe es seinem Mandanten nicht nur möglich gemacht, in der Zwischenzeit eine Lehre zu beginnen, sondern auch jeden Monat 200 Euro seines Azubigehaltes an den Senioren zu bezahlen.

Dem heute 80-Jährigen steht nämlich Schmerzensgeld zu – einen entsprechenden Vergleich haben die Parteien am Dienstag vor Gericht zu Protokoll gegeben. Der junge Mann muss an sein Opfer noch 20 000 Euro zahlen, dazu kommen beträchtliche Anwalts- und Behandlungskosten. An dieser Summe dürfte der Lehrling, der keine Vorstrafen hat, sehr lange zu knabbern haben. Vor Gericht hatte er sich bei seinem Opfer entschuldigt und gesagt, er sei an jenem Abend wegen fehlender Perspektiven und privatem Ärger aggressiv gewesen. Am Donnerstag wird die 2. Strafkammer des Landgerichts ihr Urteil verkünden.