Vorsicht, bissiger Verteidiger: Weil die Philadelphia Eagles als Underdog eingestuft werden, feiert Chris Long den Halbfinaleinzug mit Hundemaske. Foto: Getty

Nichts ist unmöglich in der NFL. Drei der vier diesjährigen Halbfinalisten waren vergangene Saison nicht in den Play-offs der amerikanischen Football-Profiliga dabei – und spielen an diesem Sonntag um den Einzug in den Superbowl.

Stuttgart - Die Jungs von CreepyParty aus Guangdong machen bei Amazon gerade das Geschäft ihres Lebens. Und das einfach, weil die Philadelphia Eagles auf den Hund gekommen sind. Genauer gesagt auf den Deutschen Schäferhund. Denn die Eagles-Spieler Chris Long und Lane Johnson trugen nach dem 15:10-Viertelfinalsieg in den Play-offs der Football-Profiliga NFL über die Atlanta Falcons am vergangenen Samstag Latex-Kopfmasken des Modells „German Shepherd“ von der chinesischen Halloween-Gruselmaskenfirma, gaben in dieser Montur sogar ihre Interviews. Und die Eagles-Fans kauften seitdem alle vorrätigen 600 Exemplare bei CreepyParty auf – für das Halbfinale in der Nacht zum Montag deutscher Zeit (0.40 Uhr/Pro7) gegen die Minnesota Vikings.

Der Hintergrund der Maskerade ist die Tatsache, dass die Philadelphia Eagles vor ihrem Auftaktspiel in den Play-offs als erste topgesetzte Mannschaft der NFL-Geschichte von den Wettanbietern als Außenseiter eingestuft worden waren. Als Underdog; der Begriff geht auf Hundekämpfe im 19. Jahrhundert zurück, in denen der unterlegene Hund so bezeichnet wurde.

Die Rolle des Underdogs ist nicht neu für die Philadelphia Eagles. Sie gingen schon als Außenseiter in die Saison, entwickelten sich allerdings zum Überraschungsteam und galten als aussichtsreicher Kandidat für den Superbowl am 4. Februar in Minneapolis, bis sich im Dezember der starke Quarterback Carson Wentz einen Kreuzbandriss zuzog. Auch ihr Gegner Minnesota Vikings übertraf in der Hauptrunde die Erwartungen weit – genauso wie die Jacksonville Jaguars, die am Sonntag (21.05 Uhr/Pro7) beim Titelverteidiger New England Patriots gefordert sind.

Jahr für Jahr spielen sich andere NFL-Mannschaften in den Vordergrund

Diese drei Halbfinalisten waren vergangene Saison allesamt nicht in den Play-offs (zwölf Plätze) vertreten! Statt der seinerzeit 18 Siege in 48 Spielen verbuchten sie diesmal in der Hauptrunde zusammen 36 Erfolge. So gewaltige Aufschwünge sind in der NFL keine Seltenheit – die National Football League ist die Liga der außergewöhnlichen Underdogs.

Nichts ist unmöglich. Jahr für Jahr spielen sich andere Mannschaften in den Vordergrund. „Jeder kann jeden schlagen“ ist hier nicht nur eine Floskel. Die Ausgeglichenheit unter den 32 Teams ist hoch, kleinere Veränderungen können Großes bewirken. Das geht so weit, dass die Jaguars als viertschlechteste Mannschaft der vergangenen Saison mit nur drei lumpigen Siegen als Halbfinalist jetzt zu den vier besten Teams zählen. Im Fußball hat es so einen steilen Aufstieg das bisher letzte Mal gegeben, als Leicester City als Tabellen-14. der Vorsaison 2016 sensationell in England den Titel holte.

Die oberste Maxime in der NFL lautet „Competitive Balance“ – Chancengleichheit. Ein Monopol, so die Annahme, zerstört den Wettbewerb und schadet damit der ganzen Liga. Ein reger Wechsel an der Spitze der Leistungspyramide ist deshalb systemimmanent. Um diesen zu gewährleisten, wird ein erheblicher Teil der Einnahmen paritätisch unter den 32 Clubs verteilt, es gibt eine Obergrenze für die Spielergehälter – und den Draft. Bei der Nachwuchsbörse werden alljährlich in der Saisonpause die Talente aus dem College verteilt, wobei das schlechteste Team des vorherigen Jahres in allen sieben Runden zuerst zugreifen darf und der Meister erst ganz am Schluss. Es gibt keine Ablösesummen, keinen Bieterwettbewerb, keinen freien Markt. Die Macht liegt bei den Clubs, Verträge werden eingehalten, Wechsel laufen über Tauschgeschäfte: Spieler werden für andere Spieler oder Draftrechte verdealt.

Nur die New England Patriots überrumpeln immer wieder das System

Diese Art des Sozialismus hält das sportliche Niveau und die Spannung hoch, was wiederum die Kasse der Gelddruckmaschine NFL klingeln lässt – mit 13 Milliarden Euro an Einkünften ist sie die umsatzstärkste Liga der Welt. Das ist das Vierfache der Fußball-Bundesliga und mehr als der Umsatz der vier größten Fußballligen (England, Deutschland, Spanien, Italien) zusammen.

Von 2009 bis 2016 triumphierten in der NFL acht unterschiedliche Teams, ehe vergangenes Jahr die schon 2015 erfolgreichen New England Patriots wieder zuschlugen. Sie sind mit fünf Meisterschaften in diesem Jahrtausend die Ausnahme, die das System immer wieder überrumpelt. Dank Trainer Bill Belichick (65) und Quarterback Tom Brady (40) – schon jetzt Legenden für die Ewigkeit – hebeln sie die Grundprinzipien aus. Sie stehen das siebte Mal nacheinander im Halbfinale, das ist ein Rekord.

Abgesehen von den Patriots werden aber Jahr für Jahr Feel-good-Storys produziert. So wie aktuell die Geschichten der Jacksonville Jaguars mit ihrer monströsen Verteidigung oder der Minnesota Vikings um den Ersatz-Ersatz-Quarterback Case Keenum mit ihrem Letzte-Sekunde-Wunder im Viertelfinale gegen die New Orleans Saints (29:24). Und nicht zu vergessen die Philadelphia Eagles, die bei den Buchmachern auch im Halbfinale der Underdog sind. Für ihre Fans, die sich noch Hundemasken zulegen wollen, gibt es übrigens zumindest für den Fall des Einzugs in den Superbowl ein gute Nachricht aus China: Von 25. Januar an kann CreepyParty wieder liefern.