Welt- und Europameister war Frank Stäbler schon mehrfach. Nur eine Olympia-Medaille fehlt noch in der eindrucksvollen Sammlung des Ringers aus Musberg. Foto: Baumann

Denkwürdiges Datum: An diesem Freitag hätte die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele stattgefunden. Die Absage wegen der Corona-Krise stimmt die Medaillenanwärter aus der Region noch immer traurig. Doch zugleich schauen sie voll motiviert nach vorne – auf Tokio 2021.

Stuttgart/Tokio - Die Athleten hatten ihre Lebensplanung und ihre Trainingsarbeit voll auf die Olympischen Spiele im Sommer 2020 ausgerichtet. Dann kam der Corona-Virus. Auch der Sport wurde infiziert, das Großereignis in Japan um ein Jahr verschoben. Anlässlich der Eröffnungsfeier, die an diesem Freitag gewesen wäre, haben wir mit Medaillenanwärtern aus der Region Stuttgart gesprochen (die Sie auch in unserer Bildergalerie finden). Und von ihnen vor allem eines gehört – dass sie sich nicht unterkriegen lassen. Und ein neues, großes Ziel haben: die Olympischen Spiele 2021.

Karla Borger und Julia Sude (Beachvolleyball)

Julia Sude ist eine Beachvolleyballerin, die nur selten den Überblick verliert. Und sollte sie doch mal ein bisschen desorientiert sein, genügt ein Blick in ihren Kalender. Dort hat sie fein säuberlich notiert, was ansteht – und was nicht.

Bisher sind alle Termine, an denen in diesem Sommer Turniere gewesen wären, durchgestrichen. Weil nichts stattgefunden hat wie geplant. Das gilt auch für die Sommerspiele. Abflug nach Japan, Eröffnungsfeier, Beginn des Beachvolleyball-Wettbewerbs – auch diese Daten sind Makulatur. „Ich blicke mit einem weinenden Auge in den Kalender, weil es hart ist, akzeptieren zu müssen, was das Corona-Virus alles verändert hat“, sagt Sude, „doch mit dem anderen Auge schaue ich voller Zuversicht nach vorne.“ Auf Tokio 2021.

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Julia Sude (32) gehört mit ihrer Partnerin Karla Borger (31) zu den Teams, die sich Hoffnungen auf eine olympische Medaille machen dürfen. Wie der Weg dorthin aussieht? Weiß derzeit niemand. Im September sollen DM und EM stattfinden, danach muss ein Modus für die Olympia-Quali her. „Es ist völlig unklar, was kommen wird“, sagt Borger, „wir müssen jetzt sehen, wie die nationale Tour läuft. Dort werden alle weitere Erfahrungen im Umgang mit den Corona-Bedingungen sammeln.“ Die Veranstalter. Und die Profis.

Die vergangenen Monate hat das Duo ausnahmsweise getrennt verbracht. Borger trainierte daheim in Stuttgart, so gut es eben ging, gewann mit Interimspartnerin Svenja Müller die Beach-Liga. Julia Sude forcierte in Friedrichshafen ihr Studium der Zahnmedizin, trainierte dort viel mit ihrem Vater Burkhard Sude, der einst den Spitznamen „Mister Volleyball“ trug. Seit eineinhalb Wochen sind Borger/Sude wieder vereint. Beim Auftakt der nationalen Tour in Düsseldorf scheiterten sie im Halbfinale knapp an Kozuch/Ludwig und bewiesen zugleich, dass mit ihnen zu rechnen ist: „Jetzt geht es darum, auch weiterhin alles für den Erfolg zu tun.“

Ihren Kalender für das Jahr 2021 muss sich Julia Sude erst noch kaufen. Was dann zuerst eingetragen wird, ist klar: Tokio 2021. Abflug, Eröffnungsfeier, Beginn der Beachvolleyball-Wettbewerbe. Und natürlich das Datum der Finalspiele. Verbunden mit der Hoffnung, am Ende keinen dieser Termine streichen zu müssen. (jok)

Marie-Laurence Jungfleisch (Hochsprung)

Das Datum jenes Tages, an dem sie ihre Karriere krönen wollte, hat Marie-Laurence Jungfleisch (29) noch immer genau im Kopf. Am 8. August 2020, dem letzten Wettkampftag der Leichtathleten bei den Olympischen Spielen in Tokio, stand ursprünglich das Hochsprung-Finale der Frauen auf dem Programm. Jahrelang hatte Jungfleisch diesem Termin entgegengefiebert – bis am 24. März die Nachricht von der Corona-bedingten Olympia-Verlegung auf 2021 die Sportwelt erschütterte. „Das war ein Schock“, sagt die Athletin vom VfB Stuttgart, „mittlerweile gelingt es mir aber, die Vorteile zu sehen.“

Marie-Laurence Jungfleisch laboriert noch immer an den Folgen einer Achillessehnen-Verletzung, die sie 2019 die Teilnahme an der WM in Doha kostete. Beim Anlauf hat die Bronzemedaillengewinnerin der EM 2018 auch weiterhin ein paar Probleme, weshalb sie schon jetzt entschieden hat, in diesem Jahr an keinen Wettkämpfen teilzunehmen. Zwar entgeht ihr dadurch die Möglichkeit, bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig (8./9. August) ihren achten Titel in Serie zu holen. Doch genießt sie die neue und völlig ungewohnte Freiheit: „Nach 15 Jahren Hochleistungssport tut es sehr gut, mal keinen ständigen Druck zu haben.“

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In den vergangenen Wochen und Monaten widmete sie sich neben dem Training verstärkt ihrem Grundschullehramtsstudium in Ludwigsburg. Anfang August folgt die letzte Klausur vor den Semesterferien, in denen sie mit ihrem Freund und den zwei jüngsten ihrer fünf Geschwister, 10 und 14 Jahre alt, für eine Woche nach Mallorca fliegt. Auch das war bisher nicht möglich, da sie zu dieser Zeit entweder auf Meisterschaften oder Meetings sprang. Ihre Sportschuhe wird sie mit in den Urlaub nehmen – ob sie auch zum Einsatz kommen, lässt Jungfleisch offen: „Nur wenn ich Lust habe.“

So sehr die gebürtige Pariserin die unbeschwerte Zeit genießt, so sehr freut sie sich schon aufs nächste Jahr. Ausgeruht und gleichzeitig hoch motiviert will sie im Winter in der Halle ins Wettkampfgeschehen zurückkehren – und Schwung nehmen für Tokio. Auch den neuen Termin des olympischen Hochsprung-Finals hat Marie-Laurence Jungfleisch längst im Kopf: Es ist der 7. August 2021. Es soll die Krönung ihrer Karriere werden – jetzt erst recht.

Elisabeth Seitz (Turnen)

Joggen gehört für Turnerinnen zur Kategorie lästige Pflicht. Und auch Kraft-Ausdauerübungen zählen nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen von Elisabeth Seitz. Wenn sie den schwierigen Trainingsbedingungen während der Corona-Pandemie etwas Positives abgewinnen soll – dann, dass sie zuhause mit ihrem Freund Nils, einem Basketballer, diese eher ungeliebten Übungen gemeinsam ausführen kann. „Ich bin heilfroh, dass er mich motiviert“, sagt Seitz (26), „allein macht mir diese Sparte Training nicht so viel Spaß.“

Mitte April machte sie die ersten Schritte zurück in den Trainingsalltag. Zunächst durften nur ein Trainer und vier Turnerinnen gemeinsam ins Cannstatter Kunstturnforum (KTF), für eine Einheit pro Tag, die dreieinhalb bis viereinhalb Stunden dauerte. Mittlerweile können sich zehn Personen gleichzeitig im KTF aufhalten, auch zwei Einheiten pro Tag sind möglich. Seitz trainiert meistens am Vormittag zwei Stunden, nachmittags drei- bis dreieinhalb Stunden. „Wir können unter Einhaltung der Hygieneregeln ordentlich arbeiten“, sagt Deutschlands Turnerin des Jahres 2019, „alles ist etwas ruhiger und entspannter.“

Elisabeth Seitz trainiert für ihren großen Traum. Sie will nach 2012 und 2016 ein drittes Mal bei Olympischen Spielen am Start sein. „Daran hat sich durch die Verlegung überhaupt nichts geändert. Ich hatte nie vor aufzuhören“, betont die Sportlerin vom MTV Stuttgart. Jetzt hofft sie, dass am 23. Juli 2021 die Spiele in Tokio auch eröffnet werden. „Im Hinterkopf hat man, dass alles passieren kann, aber ich bin optimistisch“, sagt die gebürtige Heidelbergerin. Die für dieses Jahr geplanten Weltcups in Stuttgart, Birmingham und Tokio wurden abgesagt. Die nationale Meisterschaft soll im November in Düsseldorf nachgeholt werden. Sie dient als Qualifikation für die für Ende Dezember in Baku/Aserbaidschan geplante EM.

Die Preisgelder aus den Weltcups fehlen Seitz, doch die Sponsoren und Partner blieben ihr trotz der Olympia-Absage 2020 erhalten. Auch durch die Bundeswehr ist die Stabsunteroffizierin abgesichert. Der vollen Konzentration auf Tokio 2021 steht also nichts im Wege. Zumal sie für die Ausdauerübungen ja weiterhin ihren ganz persönlichen Motivator hat.

Frank Stäbler (Ringen)

Eigentlich wäre der Ringer Frank Stäbler um diese Zeit nach Tokio geflogen. Stattdessen kümmert er sich jetzt um den Bau seines Hauses, hat oft neue Ideen und macht die Leute auf der Baustelle ein bisschen verrückt. „Der Bauleiter ist neulich fast durchgedreht“, sagt Stäbler und lächelt. Trübsal bläst er wegen der um ein Jahr verschobenen Spiele nicht. „Alles im Leben hat seinen Sinn“, sagt er. Ohne die Corona-Krise hätte er sich um den Hausbau nicht kümmern können. So geht jetzt wenigstens dieses Projekt zügig voran.

Hätten die Spiele in diesem Jahr stattgefunden, dann wäre Stäbler jetzt in Topform. Momentan ist genau das Gegenteil der Fall. „Ich habe gerade keine 50 Prozent von einer normalen vorolympischen Form“, sagt der Welt- und Europameister, aber darüber wundert er sich überhaupt nicht. „Wegen Corona habe ich drei Monate lang keinen Gegner mehr angefasst“, erzählt der Musberger, der fast nicht auf der Matte war. Das Training beschränkt sich momentan auf Grundlagen wie Kraft- und Konditions-Einheiten. Er pendelt zwischen den Trainingsphasen und der Baustelle mehrmals am Tag hin und her.

Seine Schulter- und Sprunggelenksprobleme hat Stäbler in dieser Zeit in den Griff bekommen – immerhin das. Nun gilt es für den 31-Jährigen, den letzten Kraftakt seiner Karriere hinter sich zu bringen: nach den Spielen 2021 ist endgültig Schluss, er zollt da vor allem auch seinem strapazierten Körper Tribut. „Ich höre zu 100, nein zu 1000 Prozent auf“, sagt der gebürtige Böblinger. „Ich gehe jetzt zwölf Monate durch die Hölle, um dann im Himmel spazieren zu gehen“, erklärt Stäbler dann noch etwas pathetisch – und meint natürlich einen Spaziergang mit Medaille.

Am besten wäre Gold, auch wenn der Schwabe mit etwas weniger ebenfalls zufrieden wäre, wie er behauptet. „Eine Medaille, egal welche, wäre absolut der Traum, danach werde ich jetzt mein Leben für die kommenden zwölf Monate ausrichten“, sagt Stäbler, der viel zu tun hat. Stand heute muss er neun Kilo abnehmen, um in einem Jahr in der 67-Kilogramm-Klasse auf die olympische Matte zu gehen. Wenn’s klappt mit Gold, dann hat das beschauliche Musberg einen Olympiasieger – und einen weiteren stolzen Hausbesitzer sowieso. (d

Franziska Brauße (Bahnradsport)

Es gibt kein Innehalten, kein Zurücklehnen, keine Zeit für trübe Gedanken – auch nicht an diesem Freitag. Franziska Brauße beschäftigt sich nicht damit, was gewesen wäre. Sondern mit dem, was ist. Statt bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Tokio hinter der deutschen Fahne zu laufen und freudestrahlend ins begeisterte Publikum zu winken, trainiert sie. In Frankfurt/Oder, beim Lehrgang des Bahnrad-Nationalteams. „Mittlerweile haben alle Athleten akzeptiert, was durch das Coronavirus ausgelöst worden ist“, sagt Franziska Brauße, „bei mir ist die Vorfreude auf Tokio 2021 nun umso größer.“

Sie sagt das mit großer Überzeugung. Und man nimmt es ihr auch ab. Weil sie bei der Bahnrad-WM Ende Februar in Berlin, dem anderen Höhepunkt dieses Jahres, mit dem Vierer und in der Einerverfolgung schon zwei Bronzemedaille eingefahren hat. Und weil sie, mit 21, jung genug ist, um die Verschiebung der Olympische Spiele problemlos verkraften zu können: „Ich habe hoffentlich noch ein paar gute Jahre im Leistungssport vor mir.“

Dazu kommt, dass die Eningerin, die für den RSV Öschelbronn startet, die Corona-Pause produktiv genutzt hat. Ohne Rad, um sich über die Studienrichtung klar zu werden, die sie einschlagen will (Sportmanagement). Und auf dem Rad. Ganz behutsam baute sie daheim auf der Alb ihre Form auf, oft begleitet von ihrem Freund Luka Zetzsche, der in der U-23-Bundesliga fährt. Zuletzt hat sie richtig hart an der Verbesserung ihrer Ausdauer gearbeitet. Und zugleich das Gefühl genossen, daheim zu sein. „Wir Sportler sind sonst ja ständig auf Achse“, sagt Brauße, „umso schöner war es, auch mal viel Zeit mit der Familie verbringen zu können.“

Mit der Ruhe ist es nun allerdings schon wieder vorbei: Nach dem Trainingslager in Frankfurt/Oder finden die ersten Wettkämpfe statt. Zunächst am 1. August in Italien auf der Bahn, dann ab Mitte August auf der Straße. Einer der Höhepunkte wird der Klassiker Paris-Roubaix sein, den es erstmals auch für Frauen gibt: „Wir wissen zwar noch nicht, wie die Hygienebedingungen bei den Rennen sein werden – aber das werden wir schon noch erfahren.“ Was nur zeigt: Es stellen sich derzeit viele Fragen. Natürlich auch die nach Tokio 2021. „Die Spiele sind noch sehr weit weg“, erklärt Brauße, „ich weiß, dass ich dort eine Medaille holen kann, wenn ich gut bin. Deshalb ist nun erst mal mein Ziel, immer besser zu werden.“ (