Hilfsangebote für Senioren kosten Geld. Die Betreuungsvereine sind ein solches Hilfsangebot, doch sie sind unterfinanziert. Foto: Archiv Rüdiger Ott

Wer sicher sein will, dass in seinem Sinn gehandelt wird, wenn er selbst nicht mehr entscheiden kann, sollte Vorbereitungen treffen. Eine Vorsorgevollmacht ist der erste Schritt. Doch was ist, wenn es niemanden gibt, den man bevollmächtigen kann?

Filder - Bereits seit vielen Jahren engagiert sich Ingrid Schulte beim Stadtseniorenrat. Als Delegierte des Vereins bietet die Möhringerin regelmäßig Sprechstunden an. Dabei erklärt sie immer wieder, dass die Vorsorgevollmacht der erste Schritt ist, um für Krankheit und Alter vorzusorgen. Bei dieser geht es darum, jemanden zu finden, der für einen entscheidet, wenn man selbst nicht mehr dazu in der Lage ist (wir berichteten).

Aber was ist, wenn es niemanden gibt, den ich bevollmächtigen kann? Das sei immer häufiger der Fall, sagt Ingrid Schulte. So hat sie es bei den regelmäßigen Sprechstunden des Stadtseniorenrats erlebt. Viele Menschen sind allein. Häufig haben sie keine Kinder oder andere Verwandte. Und wenn es doch jemanden gibt, dann wohnt dieser oft weit weg. Darum sind immer mehr Menschen darauf angewiesen, dass, sollten sie selbst handlungsunfähig werden, das Gericht eine Betreuung anordnet. Dazu kommt es auch, wenn es die Betroffenen versäumt haben, eine Vorsorgevollmacht zu schreiben, obwohl es eine Vertrauensperson gegeben hätte.

Angehörige und Ehrenamtliche sind beim Thema Betreuung die erste Wahl

Für mehr als 1,2 Millionen Menschen in Deutschland ist ein rechtlicher Betreuer bestellt. Um etwa die Hälfte von ihnen kümmern sich Familienangehörige. Um die anderen kümmern sich gerichtlich bestellte freiberufliche Betreuer oder Betreuungsvereine mit angestellten oder ehrenamtlichen Mitarbeitern. So steht es in einer Pressemitteilung des Fachverbands Betreuungsgerichtstag. „Angehörige und Ehrenamtliche sind beim Thema Betreuung die erste Wahl“, fasst Schulte zusammen. Aber für eine immer größer werdende Zahl von Menschen sei es aus den genannten Gründen notwendig, einen Berufsbetreuer zu bestellen. „Darum ist es wichtig, dass genügend qualifizierte und seriöse Personen für dieses Amt zur Verfügung stehen und bestellt werden können“, sagt die Delegierte des Stadtseniorenrats.

Doch genau da hapert es. Ein Grund ist die vergleichsweise schlechte Vergütung dieser Arbeit. Das hat der Stadtseniorenrat Stuttgart in einem Brief herausgestellt. Die Verfasser des Briefes seien Praktiker, wie Schulte es formuliert. Es ist eine Arbeitsgruppe mit drei bis vier Delegierten von der Filderebene. Die Adressaten des Schreibens sind die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen, die Bundestagsabgeordneten und der Landesseniorenrat.

„Für Berufsbetreuer, einschließlich der Betreuungsvereine, ist eine auskömmliche Vergütung notwendig. Dies ist derzeit nicht der Fall“, schreiben die Stuttgarter Stadtseniorenräte. Das habe zur Folge, dass Berufsbetreuer immer mehr Fälle übernehmen müssten und die Aufgaben der Betreuung nur noch rudimentär wahrgenommen werden könnten. Derzeit sei ein Betreuer für bis zu 90 Personen zuständig, sagt Schulte. „Daraus ergeben sich prekäre Betreuungssituationen, unter denen die zu Betreuenden und die Menschen, die im Hilfssystem tätig sind, leiden. Viele Betreuungsvereine sind in ihrer Existenz gefährdet“, heißt es in dem Brief.

System der rechtlichen Betreuung ist bis zu 40 Prozent unterfinanziert

Die Höhe der Vergütung sei seit 2005 unverändert geblieben. Im Gegensatz dazu seien die Personalkosten immens gestiegen. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, so das Fazit der Stuttgarter Delegierten. Der Betreuungsgerichtstag wird in seiner Pressemitteilung noch deutlicher: Derzeit würden die Vereine mit jeder Betreuung Verluste machen, heißt es dort. Das System der rechtlichen Betreuung sei zu 40 Prozent unterfinanziert.

Die fehlenden Vergütungsanpassungen betreffen nicht nur selbstständige Betreuer, sondern wirken sich auch auf angestellte Vereinsbetreuer aus. Der Bundesverband der Berufsbetreuer nennt konkrete Zahlen. Um qualifizierte Fachleute in den Vereinen zu refinanzieren, müssen jährlich 92 000 Euro für Personal- und Sachkosten aufgewendet werden, wenn man sich an den Tarifen im Öffentlichen Dienst und bei Wohlfahrtsverbänden orientiert. Mit Pauschalsätzen für Betreuer von maximal 44 Euro pro Stunde und durchschnittlich 3,3 Stunden, die pro Klient und Monat abgerechnet werden können, lassen sich jedoch nur etwa 69 000 Euro refinanzieren. Die Folge sei unbezahlte Mehrarbeit, so der Bundesverband.

Neues Gesetz muss auf den Weg gebracht werden

Im Herbst 2017 lag ein Gesetzesentwurf auf dem Tisch. Dieser sah eine Vergütungserhöhung von 15 Prozent für berufliche Betreuer vor. Der Bundestag verabschiedete das Papier, aber der Bundesrat stimmte nicht zu. Kein Wunder, denn das neue Gesetz wäre mit deutlich höheren Kosten für die Länder verbunden. Laut dem Fachverband Betreuungsgerichtstag sind die Vergütungen zu fast 90 Prozent aus den Landesjustizkassen zu bezahlen.

Ingrid Schulte und ihre Mitstreiter fordern nun in ihrem aktuellen Brief, dass der Gesetzesentwurf erneut in das Verfahren eingebracht wird. „Wir fordern die Bundesregierung auf, das Anliegen der Vergütungserhöhung dringend wieder aufzunehmen. Wir bitten die Stadt- und Landesseniorenräte, entsprechend tätig zu werden und ihren Einfluss bei den Abgeordneten und sonstigen Stellen geltend zu machen“, ist in dem Schreiben zu lesen.