Kleidung aus Hanffasern hat eine bessere Umweltbilanz als solche aus Baumwolle. Foto: Adobe Stock/Krasnikova Ekaterina

Mit Hanf verbinden viele den rauschenden Stoff Cannabis – aber die Pflanze ist ein wahrer Tausendsassa. Nutzhanf ist ein umweltfreundlicher Rohstoff mit Zukunftspotenzial.

Stuttgart - Cannabis legalisieren? Diese Idee der neuen Bundesregierung hat für einigen Wirbel gesorgt. Das aber begeistert längst nicht alle Fachleute, die sich mit dem Anbau und der Verwertung der Hanfpflanze beschäftigen. Denn schon wieder steht der eher zweifelhafte, vom Rauch der Joints umwehte Ruf des Gewächses im Mittelpunkt der Diskussionen. Dabei geht die Formel „Hanf = Droge“ schon lange nicht mehr auf. Seit einigen Jahren entdecken immer mehr Branchen die uralte Nutzpflanze als umweltfreundlichen Rohstoff für verschiedenste Zwecke.

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Aus dem langen Hanfstroh lassen sich zum Beispiel Fasern für die Textilindustrie gewinnen. „Hanf ist robust, langlebig und hat einen natürlichen Glanz“, schwärmt Kristin Heckmann vom Naturtextilien-Pionier Hessnatur. Zudem trocknet er schnell, ist atmungsaktiv und fühlt sich auf der Haut gut an. Die Qualität entspricht etwa der von hochwertiger Baumwolle, doch die Umweltbilanz ist deutlich besser: „Hanf zählt zu den umweltschonendsten und nachhaltigsten Fasern“, betont die Expertin.

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Denn beim Anbau kommen kaum umweltschädliche Chemikalien zum Einsatz. Nach der Saat wächst die konkurrenzstarke Pflanze so rasch und dicht heran, dass in ihrem Schatten kaum etwas anderes gedeiht. Eine Unkraut-Bekämpfung können sich die Landwirte daher sparen. Und auch gegen Schädlinge und Krankheiten muss in der Regel nicht gespritzt werden, weil diese dem grünen Überlebenskünstler kaum etwas anhaben können. Vor allem im Vergleich zum sehr pestizidintensiven konventionellen Baumwollanbau sammelt Hanf hier Umwelt-Pluspunkte. Und auch in Sachen Wasserverbrauch schneidet er deutlich besser ab. In einem Feldversuch des Leibniz-Instituts für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. in einem relativ trockenen Gebiet bei Potsdam hat er pro Kubikmeter verbrauchten Wassers im Schnitt 2,4 Kilogramm Trockenmasse geliefert. Diese sogenannte Wasserproduktivität liegt sechsmal höher als bei Baumwolle.

Neben Textilien kann man aus dem pflanzlichen Multitalent auch Dämmstoffe für Gebäude herstellen, die sehr gut gegen Wärme, Kälte und Lärm isolieren. Die Fasern können Feuchtigkeit aufnehmen und später beim Trocknen wieder abgeben, was sich günstig auf das Raumklima auswirkt. Zudem sind sie sehr haltbar und resistent gegen Schimmel und Bakterien. Und sie punkten auch in Sachen Klimaschutz.

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So hat das nova-Institut in Hürth bei Köln analysiert, welche Mengen an Treibhausgasen beim Hanfanbau, bei der Gewinnung der Fasern und beim Transport zum Verarbeitungsbetrieb anfallen. Verglichen mit Glaswolle setzte der Hanf dabei nur ein Drittel so vieler Treibhausgase frei. Hinzu kommt, dass die schnell wachsenden Pflanzen in vier bis fünf Monaten bis zu fünf Meter hoch werden und drei Meter lange Wurzeln entwickeln können. Und dafür brauchen sie eine ganze Menge Kohlendioxid, dessen Kohlenstoff sie in ihre Stängel, Blätter und Wurzeln einbauen. Fachleute des Europäischen Industriehanf-Verbandes EIHA haben ausgerechnet, dass eine Tonne Nutzhanf beim Wachsen 1,6 Tonnen Kohlendioxid aus der Atmosphäre holt. Verbaut man die Fasern dann beispielsweise als Hanfbeton in einem Haus, steckt der darin enthaltene Kohlenstoff anschließend für Jahre in den Wänden, statt das Klima weiter aufzuheizen.

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Ein weiterer Teil der jährlichen Cannabis-Ernte fährt inzwischen in Autos durch die Gegend. Denn Verbundwerkstoffe aus Kunststoff und Hanffasern sind leicht, äußerst widerstandsfähig und schwer entflammbar. Verwendung finden diese Materialien in Tür- und Kofferraumauskleidungen, Armaturenbrettern oder Heckspoilern. Die Firma Renew Sports Cars hat sogar ein Auto vorgestellt, das komplett aus Hanfbauteilen besteht. Bis zum Jahr 2025 will die Firma Fahrzeuge entwickeln, deren Produktion der Atmosphäre Kohlenstoff entzieht, statt weiteren freizusetzen.

Doch nicht nur die Fasern, sondern auch die essbaren Teile der Hanfpflanzen erleben seit einigen Jahren eine Renaissance. Da Nutzhanf nur sehr geringe Mengen der psychoaktiven Verbindung Tetrahydrocannabinol (THC) enthält, ließe sich eine berauschende Wirkung gar nicht erzielen. Dafür finden sich in Hanfsamen hochwertige Proteine, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Ballaststoffe, Vitamine und Mineralien. Man kann aus ihnen Speiseöl pressen und Proteinpulver sowie Ballaststoffe produzieren oder die Beiprodukte als Tierfutter verwerten. Auch die Hanfblüten werden bereits genutzt. Sie aromatisieren zum Beispiel Limonaden und Hanfbier oder lassen sich zusammen mit den Blättern als Tee aufbrühen.

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Das vielfältige Interesse an dem Rohstoff vom Acker hat dazu geführt, dass die Anbauflächen in Deutschland in den letzten Jahren kräftig gewachsen sind. Die Statistik des Jahres 2021 weist 6444 Hektar aus, das sind 20 Prozent mehr als im Jahr davor. Allerdings reicht das bei Weitem noch nicht, um die steigende Nachfrage zu decken. So bezieht Hessnatur den Hanf für seine Kleidungsstücke hauptsächlich aus China. Gerne würde die Firma auch welchen aus heimischem Anbau verwenden. Doch sie braucht ihn als bereits ausgesponnene Faser. Und dafür hat sich in Deutschland noch kein Lieferant gefunden.

Rechtliche Hürden

Grenzwert
 Deutsche Hanfbauern dürfen bisher nur bestimmte Sorten aussäen, die weniger als 0,2 Prozent THC enthalten. Mitarbeiter der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung kontrollieren noch auf dem Feld, ob dieser Grenzwert eingehalten wird. Ansonsten wird die Ernte beschlagnahmt. Das kann für Landwirte zum Problem werden. Denn in den zugelassenen Sorten kann der THC-Gehalt von Jahr zu Jahr schwanken. „Mehr Sonne bedeutet auch mehr THC“, erklärt Daniel Kruse, Präsident des Europäischen Industriehanf-Verbandes EIHA.

Betäubungsmittelgesetz
Für Kruse ist die Tatsache, dass auch Industriehanf noch immer an das Betäubungsmittelgesetz gebunden ist, eines der wesentlichen Hindernisse für einen weiteren Ausbau des europäischen Hanfmarktes. So dürfen in vielen EU-Ländern keine Hanfblüten genutzt werden, weil sie als Betäubungsmittel gelten – obwohl ihr THC-Gehalt den Grenzwert von Industriehanf einhält.

Beschluss
Eine Erleichterung für Bauern hat die EU schon beschlossen: Ab dem 1. Januar 2023 darf Nutzhanf 0,3 statt 0,2 Prozent THC enthalten, wenn man dafür Direktzahlungen erhalten will. Für den nicht-subventionierten Anbau können die Mitgliedsstaaten höhere Grenzwerte festlegen. Dadurch können weitere Nutzhanf-Sorten zugelassen werden, und das Risiko für Grenzwertüberschreitungen sinkt. „Nutzhanf ist keine Droge“, sagt Kruse. „Also sollte er auch nicht wie eine behandelt werden.“