Sie lassen die Herzen der Vaihinger Stadthistoriker höher schlagen: Alte Gleisstücke, die beim Abbau der alten WEG-Trasse gefunden wurden Foto: factum/Simon Granville

Wo früher Züge ratterten, sollen künftig Radler flitzen. Seit Januar wird eine ehemalige Bahnstrecke durch Vaihingen demontiert. Im Zuge der Arbeiten kamen Gleisgravierungen ans Licht, die Bauarbeiter und Stadthistoriker verblüffen.

Vaihingen/Enz - Reinhard Wahls Begeisterung ist ansteckend: „Das ist ein Stück deutscher Industriegeschichte auf kleinem Raum“, ruft der Vorsitzende der Vaihinger Gesellschaft für Stadtgeschichte, Museumsarbeit und Kultur, als er auf dem alten Stadtbahnhof in Vaihingen an der Enz steht. Er hebt ein längliches, rostfarbenes Metallstück von einem Stapel. Es ist ein Schienenstück der alten Trasse der Württembergischen Eisenbahn-Gesellschaft (WEG) – ein Teil der ehemaligen Zugstrecke in Vaihingen, die seit Mitte Januar auf dem Abschnitt zwischen dem alten Stadtbahnhof und der Kehlstraße abmontiert wird. An ihrer Stelle soll ein Radweg entstehen.

Wahls Begeisterung bezieht sich nicht auf den Radweg, sondern auf die alten Schienen: Einige davon wurden bereits im frühen 20. Jahrhundert hergestellt und sind deshalb historisch wertvoll. „Fast alle Schienenstücke stammen aus den Jahren 1913 bis 1934 oder der Zeit zwischen 1951 und den 80er Jahren – und waren bis zum Jahr 2001 in Betrieb“, sagt Wahl. Die Stadt Vaihingen hat einige der Stahlstücke als Teil der Stadtgeschichte symbolisch an die Vaihinger Gesellschaft übergeben.

Walzzeichen verraten Herkunft

Das Herstellungsjahr der Gleise lässt sich an den sogenannten Walzzeichen ablesen. Diese Hersteller-Kennzeichnungen auf den Schienen geben Auskunft über das Profil und darüber, wann und in welchem Werk die Schiene produziert wurde. Zwischen der Vaihinger Kehlstraße und dem Bahnhof Kleinglattbach konnte die Vaihinger Gesellschaft zwischen 60 und 70 unterschiedliche Walzzeichen ausmachen.

Bei einigen steht die Bergung noch aus, andere sind so durch Steine und Erde verschmutzt, dass ihre Herkunft nicht mehr geklärt werden kann.

Die meisten Schienenstücke kommen aus dem Saarland (unter anderem von den Gebrüder Röchling, Völklinger Hütte) und aus dem Ruhrgebiet (Friedrich Krupp). Es gibt aber auch Schienenstücke, die in Frankreich, Luxemburg, Polen oder der Ukraine hergestellt wurden. „Das ist wirklich erstaunlich“, sagt Steven Eich vom Bauunternehmen Diringer und Scheidel, der die Schienenstücke aus dem Gleisbett entnommen hat – vergleichbares habe er in seinem Berufsleben noch nicht gesehen. „Es entsteht der Eindruck, dass die Strecke nur geflickt wurde“, sagt Reinhard Wahl dazu. „Offenbar hatte die WEG nie richtig Geld gehabt.“

Kurze Reparaturstücke – Zeichen für Kriegsschäden?

Für Letzteres spricht auch noch ein anderes Indiz: Manche Teile wurden aus zwei verschiedenen Schienenstücken zusammengeschweißt. „Da war Talent gefragt“, sagt Wahl. Auch ein Stück der Firma Baresel aus dem Jahr 1885 haben die Stadthistoriker entdeckt. Da es die Bahnstrecke in diesem Jahr noch gar nicht gab, vermutet Wahl, dass ein Gleis des Betriebs wieder verwendet wurde.

Unklar ist auch, was es mit den Fundstücken an den Bahnhöfen in Vaihingen und Enzweihingen und an der NS-Baustelle „Stoffel“ auf sich hat. Dort hat die Vaihinger Gesellschaft kurze Reparaturstücke aus dem Jahr 1944 entdeckt – ein Zeichen für Kriegsschäden?

Die Vaihinger Stadtgeschichtler wollen die historisch wertvollen Walzzeichen vorerst in einem provisorischen Museumsdepot unterbringen und künftig bei Ausstellungen zeigen. Wo und wann das sein wird, ist noch offen.

Langer Weg von der Idee zur Umsetzung des Radwegs

Die Nebenbahnlinie der WEG zwischen der Gemeinde Sersheim und dem Vaihinger Ortsteil Enzweihingen wurde 1904 nach zwei Jahren Bauzeit eröffnet, um Vaihingen an die Trasse der Württembergischen Westbahn zwischen Stuttgart und Bruchsal anzubinden. Die gesamte Strecke ist 7,3 Kilometer lang. Im Jahr 2002 stellte die WEG den Betrieb ein, drei Jahre später erwarb die Stadt Vaihingen die Bahntrasse. Eine Bürgerinitiative forderte, die Trasse zu einem Radweg umzuwandeln, bei einem Bürgerentscheid im Jahr 2009 stimmten die Vaihinger aber zunächst gegen dieses Vorhaben.

2015 wurde die Radstrecke dann doch noch bewilligt. Dieses Mal ging die Initiative von der Stadt Vaihingen aus, die ein Radroutenkonzept beschloss, das die Trasse als Radweg vorsah. Aus formalen Gründen dauerte es trotzdem noch drei Jahre, bis die förmliche Stilllegung durch die WEG rechtskräftig – und der sogenannte Entwidmungsantrag, durch den die Stadt wieder über die Strecke verfügen darf, 2018 genehmigt war.

Vor wenigen Wochen haben die Abbauarbeiten der alten Bahngleise auf dem ersten Bauabschnitt zwischen dem alten Stadtbahnhof und der Kehlstraße begonnen. „Der Wegebau soll Anfang April starten“, sagt Marc Bührer, der Leiter des städtischen Tiefbauamts. Ende des Jahres soll der erste Abschnitt des drei Meter breiten Radwegs dann fertig sein.

Die Kosten für den Umbau von der Bahn- zur Fahrradtrasse liegen bei geschätzten 2,5 Millionen Euro. Land, Region und Landkreis fördern das Vorhaben mit knapp 1,5 Millionen.