Dass das Matterhorn bei Zermatt in der Schweiz bröckelt und seine weltbekannte Gestalt mit der zipfelmützenartigen Spitze demnächst verliert, ist nicht zu erwarten. Dass uralte Bergsteigerrouten zu gefährlich werden, dagegen schon. Foto: Dominic Steinmann/Keystone/dpa

Das Matterhorn und der Montblanc sind zwei der berühmtesten Berge der Alpen. Doch der Klimawandel verändert beide Bergmassive tiefgehend. Auch auf einer herbstlichen Wandertour lauern Gefahren, die man kennen sollte. Gespräch mit einem Alpen-Kenner.

München/Zermatt - Zuletzt häuften sich die Nachrichten über Bergsturze in den Alpen, Gletscherschmelze und von Steinen verschüttete Straßen wie am Mittwoch (2. Oktober) an der Axenstraße am Vierwaldstättersee. Sind die Alpen für Wanderer und Bergsteiger inzwischen zu gefährlich geworden?

Wir sprachen mit Thomas Bucher, Sprecher des Deutschen Alpenverein (DAV), über die Folgen des Klimawandels in den Alpen, neue Gefahren und Herausforderungen für Bergbewohner und Touristen.

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Herr Bucher, kann man noch gefahrlos in den Alpen wandern und klettern?

Gefahrlos kann man nie in die Alpen gehen. Ein Restrisiko gibt es immer. Das war vor 100 Jahren so – und das ist heute so. Allerdings ist das Risikomanagement heute besser als früher. Unsere DAV-Bergunfall-Statistik zeigt, dass Bergunfälle zwar zahlenmäßig zugenommen haben – im Verhältnis zu den Aktiven –, aber ist das individuelle Risiko massiv gesunken.

Experten der Züricher Universität ETH sehen in diesen Vorfällen den Klimawandel am Werk. Sehen Sie das auch so?

Man kann mit Sicherheit sagen, dass sich mit dem Klimawandel und dem Auftauen des Permafrostes die Gefahren in den Bergen verändern und an manchen Stellen auch größer geworden sind. Damit müssen Bergsteiger lernen umzugehen.

Wie äußern sich diese Gefahren?

In unserer Statistik haben wir noch keinen Effekt des Klimawandels auf die Unfallzahlen gesehen. Andererseits ist es plausibel, dass es größere Gefahren gibt. Da ist zum einen der Steinschlag. Das Gestein taut auf und damit verschwindet sozusagen der Kleber, der den Berg zusammenhält. Aber es gibt darüber hinaus viele Möglichkeiten, wie Steinschlag in den Bergen entsteht.

Zum Beispiel . . .

Der Berg ist immer in Bewegung – auch ohne Klimawandel. Es wird immer kleineren Steinschlag geben, weil Tiere wie etwa Gämsen durch die Gegend laufen. Auch größere Bewegungen sind möglich – wie etwa im Allgäu am Hochvogel. Dort klafft am Gipfel ein Riesenriss. Ob er sich allerdings durch den Klimawandel verändert, ist nicht abschließend geklärt.

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Sind die schmelzenden Alpengletscher noch sicher für Wanderer?

Wenn Gletscher zurückgehen, geht auch der Druck auf deren Seitenwände zurück. Das destabilisiert auch die die Wege im Umfeld der Gletscher. Im hinteren Ötztal beispielsweise ist ein Gletscher massiv zurückgegangen. Ein Verbindungsweg zwischen zwei Hütten, der über die inzwischen geschmolzene Gletscherzunge ging, ist heute nicht mehr vorhanden, so dass man eine Hängebrücke bauen musste.

Wanderwege werden also zunehmend unpassierbar?

Im Extremfall ja. Meistens werden aber Umwege eingerichtet.

Wie können sich Wanderer und Bergsteiger angesichts der klimatisch bedingten Veränderungen wappnen?

Dadurch dass sie lernen, welche Gefahren neu in den Bergen dazukommen. Offene Augen zu haben, zu wissen, was am Berg los ist, ist die beste Lebensversicherung für jeden Bergsteiger. Auch muss man saisonal anders planen.

Früher war es üblich, Eiswände auch in den Sommermonaten zu besteigen. Heute ist das kaum noch möglich, weil nur noch Steinschlag runterkommt. Eiswände macht man deshalb eher im April. Oder im August am Montblanc-Massiv bergsteigen zu gehen, ist eine wilde Sache, weil sich dort Steinschlag und Bergstürze häufen. Die Saison verlagert sich nach vorne.

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Wie können sich die Alpenorte, die vom Klimawandel bedroht sind, schützen?

Es sieht momentan nicht danach aus, dass Orte deswegen verlassen werden müssen. Technische Installationen sollen dies verhindern. Die Hänge werden – wie im österreichischen Galtür – mit massiven Lawinenverbauungen versehen. Anderenorts wird Schutzwald aufgeforstet.

Der Bergwald schützt die Talorte und wird deshalb wieder aufgeforstet. Gleichwohl gibt es Dörfer vor allem in den Westalpen, die entvölkert sind, aber das hat ökonomische Gründe.

Wie wirkt sich die veränderte Situation auf den DAV aus?

Es gibt ein paar vereinzelte Hütten, die wir aufgeben mussten. So musste der DAV das Hochwildehaus 2016 schließen. Die Alpenvereinshütte liegt am Ostrand des Gurgler Ferners in den Ötztaler Alpen. Das Tauen des Permafrostbodens, auf dem die Hütte steht, hat dazu geführt, dass sich ein Riss quer durch das ganze Gebäude gezogen hat und Einsturzgefahr besteht.