Staatsministerin Annette Widmann Mauz beim Besuch einer Kfz-Werkstatt Foto: dpa

Staatsministerin Annette Widmann-Mauz führt hoffnungsvolle Integrationsbeispiele vor.

Berlin - Shenouda Ghaly schraubt an einem Porsche herum. Der 34-Jährige ist vor fünf Jahren nach Deutschland geflüchtet. „Wir koptischen Christen sind in Ägypten Menschen zweiter Klasse.“ Sein Asylantrag ist im Mai trotzdem schon zum zweiten Mal abgelehnt worden. Die Autowerkstatt Lundt in Berlin-Zehlendorf hat seinen Ausbildungsvertrag entgegen der Empfehlung aber nicht aufgelöst, weil sie Shenouda braucht. Und Hassan, der schon in Syrien lange Jahre als Karosseriebauer gearbeitet und eine eigene Werkstatt betrieben hat, ist ohnehin eine Fachkraft.

Hoffnungsvolle Beispiele für eine gelingende Integration sind das, weil die Chefin Silvia Lundt topmotivierte Angestellte haben möchte und es auch mit der Sprache schon ganz passabel klappt. Aber will das noch jemand hören? Kreist die Debatte in Deutschland nicht längst darum, wie blauäugig zu Beginn der großen Flüchtlingsankunft manche Erwartungen gewesen sind? Und sehen viele im Land nach den tödlichen Verbrechen auf dem Berliner Weihnachtsmarkt, in Freiburg, Kandel und jetzt Chemnitz nicht hinter jedem Flüchtling einen potenziellen Messerstecher? Annette Widmann-Mauz, seit einem halben Jahr Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, weiß um das gewandelte gesellschaftliche Klima – und versucht gerade deshalb einen anderen Akzent zu setzen, ein realistisches Bild von Problemen und Erfolgen zu zeichnen. Sie weiß, dass man sich damit heutzutage „bereits dem Verdacht des Gutmenschentums aussetzt“.

Viele geben zu, dass die Aufgabe der Integration anfangs massiv unterschätzt wurde

Auf ihrer Tour durch den Berliner Integrationsalltag sieht Widmann-Mauz an diesem Freitag wenig Schwarz und Weiß, dafür eine Menge Grau – und ganz viel integrationspolitischen Handlungsbedarf, um den sich der zuständige Bundesinnenminister Horst Seehofer bisher bestenfalls am Rande kümmert. Die Kfz-Mechaniker zum Beispiel, engagiert und sprachlernwillig, finden keinen bezahlbaren Deutschkurs in den Abendstunden, der ihnen auch Begriffe aus ihrer Berufswelt lehrt. Und auch beim Mittagessen in einem Kreuzberger Restaurant, in dem geflüchtete Afghanen, Iraner und Syrer kochen und kellnern, klagt Andreas Tölke von der Berliner Flüchtlingshelfer-Initiative „Be an Angel“ über schier unüberwindliche Hürden im Umgang mit den Ämtern, etwa bei der Anerkennung einer Koch-Ausbildung im Heimatland. Oder dass der 23-jährige Mohammed, den alle nur Odah Bashi nennen, „weil es so viele Mohammeds gibt, noch immer nicht als Mediendesigner durchstarten kann, obwohl er den Ausbildungsvertrag in der Tasche hat. „Wir werden zu Vorzeigeterminen eingeladen, wo die Kanzlerin gerührt Hände schüttelt und uns Flüchtlingshelfern dankt“, erzählt Tölke, „aber mit der praktischen Hilfe bei der Integration ist es aufseiten der Bundespolitik nicht weit her.“

Er freut sich trotzdem über den Besuch, weil nun doch jemand aus dem Kanzleramt zuhört und der zunehmenden Anti-Flüchtling-Stimmung etwas entgegenzusetzen versucht. Dabei sieht er ebenso, dass die gewaltige Aufgabe der Integration anfänglich massiv unterschätzt wurde. „Klar waren wir völlig naiv, als plötzlich Hunderte Menschen nur mit einer Zahnbürste ausgerüstet bei uns vor der Tür standen.“

„Wir sprechen viel zu viel über die negativen Beispiele“

Die letzte Station der Integrationsbeauftragten an diesem Tag ist – nachdem sie mit Schülern einer Gesamtschule über Rassismus im Alltag diskutiert hat – eine zahnchirurgische Praxis in Berlin-Mitte. Bassel Alsaeed, der Arzt, kooperiert hier mit der Hilfsorganisation Alkawakibi, die geflüchtete Ärzte auf die Zulassungsprüfung vorbereitet. Der Palästinenser Mahmud Shehadah, der nächsten Monat antritt, spricht nach einem Jahr schon beeindruckend gut. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, sagt er lachend. Noch nicht so gut läuft es beruflich bei Nahed Naes, die in Syrien ihre eigene HNO-Praxis hatte – noch ist sie auf Jobsuche. Privat steht die Sorge um die Familie in Idlib im Vordergrund: „Die Nachrichten, die von dort kommen, sind schlimm.“ Ihre Zukunft sehen sie und ihre Kollegen aus Syrien vorerst in Deutschland – wenn der Frieden kommt, wollen sie zurück und beim Wiederaufbau helfen.

„Wir sprechen viel zu viel über die negativen Beispiele“, sagt die Tübinger CDU-Bundestagsabgeordnete. Illusionen macht sich die Integrationsbeauftragte trotzdem keine, all die Mut machenden Fallbeispiele schienen derzeit „fast unsichtbar“.