Die Aufhebung des nächtlichen Alkoholverkaufsverbots hat nicht nur Befürworter. Foto: dpa

Im Herbst soll das 2010 eingeführte nächtliche Alkoholverkaufsverbot fallen, das von 22 Uhr an greift. Nun melden sich Kritiker zu Wort.

Stuttgart - Die Kassen kennen keine Gnade: Wer um 22.01 Uhr eine Weinflasche auf das Band in einem Supermarkt legt, der kommt damit nicht durch. Nur bis 22 Uhr lassen sich an den Kassen alkoholhaltige Getränke überhaupt eingeben. Danach ist Schluss für Nachtschwärmer, die Getränke an Tankstellen, Kiosken und in Geschäften kaufen wollen. Im Jahr 2010 wurde es in Baden-Württemberg eingeführt, im Herbst will es die grün-schwarze Landesregierung kippen. Der Beschluss im Landtag gilt nur noch als Formsache.

Das ruft nun die Kritiker auf den Plan. Sie kommen nicht aus den Reihen der Politik, sondern aus dem sozialen Bereich. So hat sich nun die Evangelische Gesellschaft Stuttgart (Eva) zu Wort gemeldet: Klaus-Jürgen Mauch, der Leiter der Mobilen Jugendarbeit der Eva, hält die Entscheidung für einen Schritt in die falsche Richtung. Er hält die deutlich gesunkene Zahl Jugendlicher, die volltrunken in Kliniken landen, für eine Auswirkung des nächtlichen Verkaufsverbots. „Wir haben bei unseren Innenstadt-Streetworkeinsätzen in Stuttgart die klare Erfahrung gemacht, dass die Verfügbarkeit von Alkohol Auswirkungen auf den Konsum hat“, meint Mauch. Begrüßen würde die Eva hingegen eine Regelung, die von den Kommunen verhängte Alkoholverbote auf öffentlichen Straßen und Plätzen vorsieht.

Tankstellenbetreiber beklagen Umsatzminus

Der Tankstellenbetreiber Kevin Schaal sieht keine große Veränderung kommen: „Wir haben durch eine Lücke im Gesetz die ganze Zeit über Bier in Flaschen auch nachts verkaufen können“, berichtet er über die zurückliegenden sieben Jahre. Diese Nische können Tankstellen nutzen, wenn sie ein Bistro haben, sie also also eine Gaststättenlizenz haben.

Was nun anders wird, ist, dass die Tankstelle an der Kriegsbergstraße wieder die ganze Nacht hindurch auch Schnaps, Wein und Sekt anbieten dürfe. „Aber wir glauben nicht, dass das den Umsatz stark verändern wird“, sagt Schaal. Die Tankstellenbetreiber hätten „richtig viel Umsatz verloren“, als das Verkaufsverbot eingeführt wurde. Er glaube nicht, dass die alten Zahlen nun wieder erreicht würden. Die Wirksamkeit stellt Schaal auch infrage: „Wir sind ja nah dran am Zentrum, wo gefeiert wird. Ich glaube nicht, dass da jetzt weniger getrunken wurde, nur weil man nach 22 Uhr nichts kaufen konnte“, fügt er hinzu. Die Sicherheitslage rund um die Tankstelle, die an den Stadtgarten grenzt, habe sich nicht verändert.

Sicherheitsprobleme habe es wegen der Beschränkung des Alkoholverkaufs nicht gegeben, sagt eine Sprecherin der Filialleitung des Rewe-Marktes an der Schwabstraße. Der Supermarkt ist bis Mitternacht geöffnet, zwei Stunden davor endet der Alkoholverkauf. „Wir haben da nie einen besonderen Andrang bemerkt, dass alle noch mal schnell vor 22 Uhr was kaufen wollten“, sagt die Mitarbeiterin. Das Sicherheitspersonal, das in den späteren Abendstunden an den Kassen postiert sei, diene dem allgemeinen Schutz der Kassiererinnen und Kassierer. Es sei nicht wegen möglicher Konflikte rund um das Thema Alkoholverkauf engagiert worden.

Was hat das Alkoholverbot bewirkt?

Die Eva argumentiert mit Erfahrungen, die Mitarbeiter der gemeinsamen Mobilen Jugendarbeit der Caritas und der Eva zusammen mit der Drogenberatungsstelle Release in den Jahren 2012/13 bei einem Projekt gemacht hatten. Damals stellten die Sozialarbeiter fest, dass die Jugendlichen zwar wohl Vorräte anlegten, wenn sie zum Feiern in die Stadt loszogen. „Doch wenn man sich dann trifft und die Getränke mit Freunden teilt, geht der Vorrat zuneige und man kann im angetrunkenen Zustande nichts mehr nachkaufen“, fasst Ulrike Herbold, die Sprecherin der Eva, die Erfahrungen zusammen. Die Kommentare auf der Facebookseite unserer Zeitung klingen anders: Kaum, dass die Meldung über die Kritik der Eva am Montag im Netz war, schreibt ein User: „Dann braucht man die Einkäufe nicht mehr planen, sondern kann auch wieder spontan was kaufen gehen.“

Inwieweit das Verbot den Alkoholkonsum faktisch gesenkt hat, ist schwer zu belegen. Einen Anhaltspunkt liefern die Zahlen der Jugendlichen, die wegen einer Alkoholintoxikation im Krankenhaus behandelt wurden. Das Olgahospital zählte im Jahr 2012 insgesamt 115 Kinder und Jugendliche, die deswegen kamen. In den Jahren 2014 und 2015 sank der Wert auf 85 beziehungsweise 86. Das war ein deutlicher Rückgang. Vor dem nächtlichen Verkaufsverbot waren es im Jahr 2010 noch 145 Kinder und Jugendliche gewesen und 131 im Jahr 2011. Im Jahr 2016 kamen 104 Kinder und Jugendliche wegen ihres Alkoholkonsums ins Krankenhaus. Der Trend hält 2017 an: Bis zum 21. August zählte das Kinderkrankenhaus 65 junge Leute mit diesen Symptomen, das würde hochgerechnet für 2017 mehr als 100 ergeben, sagt die Sprecherin des Klinikums Stuttgart.