Nur mit dem Boot zu erreichen: Der Surprise-Gletscher im Prinz-William-Sund. Foto: Martin Cyris

Jahre nach der Havarie der Exxon Valdez ist der Prinz-William-Sund wieder ein Touristenziel.

Land, Land, Land. Beinahe endlos und vielerorts menschenleer. Alaska ist der flächenmäßig größte Staat der USA, stellt aber nur 0,2 Prozent der Bevölkerung. Und doch kommt es im Sommer regelmäßig zu einem Verkehrsstau. An den Wochenenden zieht es die Bewohner von Anchorage, der größten Stadt Alaskas, raus in die Wildnis. Davon gibt es im nördlichsten Bundesstaat der USA reichlich. Doch nur wenige Fernstraßen. Eine davon, der Seward Highway, führt direkt zum Prinz-William-Sund, rund 100 Kilometer südöstlich von Anchorage. Ein Großteil der 300 000 Einwohner scheint diese Straße zu nehmen.

Wenn im Sommer die Seewege in der riesigen Bucht eisfrei sind, zieht es auch Touristen in den Hafen von Whittier. Sie stehen spätestens vor dem Anton Anderson Memorial Tunnel, dem zweitlängsten Straßentunnel Nordamerikas, im Stau. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass viele Besucher in überdimensionierten, Sprit fressenden Geländewagen und Vans anreisen. Vehikel, die reichlich von dem schlucken, was im Rohzustand vor über zwanzig Jahren eine der größten Umweltkatastrophen Nordamerikas ausgelöst hatte: Die Havarie der Exxon Valdez.Im März 1989 lief der Öltanker im östlichen Teil des Sunds auf ein Riff. Das auslaufende Rohöl verpestete weite Teile des Naturparadieses und raffte unzählige Tiere dahin.

Mit einem flüchtigen Blick sind die Folgen von einst nicht mehr zu erkennen. Die Häfen im Prinz-William-Sund sind deshalb wieder beliebte Anlaufstellen für Kreuzfahrtschiffe. Von Whittier aus steuern Charterboote die beeindruckendsten Gletscher im Sund an. Quasi im Vorüberfahren kann die einzigartige Tierwelt Alaskas bestaunt werden.

Bob ist Fremdenführer auf einem dieser Boote und erklärt die Bucht via Mikrofon. Etwa, dass die reiche Tierwelt den Gletschern zu verdanken ist. Das nährstoffreiche Gletscherwasser sorgt für eine hohe Planktondichte im Meer. „Das ist der Beginn einer wunderbaren Nahrungskette“, sagt Bob. Denn an dem Plankton fressen sich riesige Fischschwärme satt, was wiederum andere Naturprotagonisten anlockt: Buckelwale, Braunbären, Lachse, Weißkopfseeadler, Seeotter und Seelöwen – um nur die imponierendsten Kreaturen zu nennen. Als Bob dem Kapitän ein Handzeichen gibt, stellt der sofort den Motor ab. Der Grund hat einen leuchtend weißen Kopf, dunkelbraune Flügel, einen stechenden Blick und sitzt rund dreißig Meter vom Boot entfernt auf einem Ast. Ein Weißkopfseeadler – das Wappentier der Vereinigten Staaten von Amerika.

Das Boot nimmt Kurs auf die schmale Esther Passage. Die grandiose Naturbühne wird links und rechts von steilen Felsen flankiert, an denen sich Tannen und Kiefern festkrallen. Bis auf das Klacken der Auslöser ist kein Mucks zu hören. Doch nur wenige Seemeilen weiter ist es vorbei mit der Ruhe. Das Boot gleitet an einem Felsen vorbei, auf dem sich eine Gruppe Steller’scher Seelöwen tummelt. Das Gebrüll der kolossalen Bullen ist beachtlich. Ebenso deren Speckröllchen. Die Nahrungskette scheint offenbar zu funktionieren. Mit etwas Glück kann man an den Ufern auch Braunbären sehen. Heute ist ein solcher Glückstag. Ein wahres Prachtexemplar von einem Bären wendet schwere Steine, als wären sie aus Pappe. „Er sucht nach Muscheln“, meint Bob, „nicht nur für uns Menschen ist das eine Delikatesse.“

Der Kapitän nimmt Kurs auf den Harriman Fjord. Tausende Eisschollen dümpeln im Meer. Auf einer Scholle lümmelt eine Gruppe der drolligen Seeotter herum. Obwohl die Meeressäuger extrem scheu sind, lassen sie sich nicht stören. „Die haben sich wahrscheinlich gerade erst voll gefressen und sind jetzt zu faul abzuhauen“, sagt Bob.

Nicht immer ging es den Seeottern im Prinz-William-Sund so gut. Im Westen der Bucht, wo die meisten Ausflugsboote herumkurven, wurde die Tierwelt zwar nicht unmittelbar vom Ölteppich dahingerafft – das Unglück ereignete sich weiter östlich. Doch was nicht im schwarzen Schlamm verendete, nahm das Gift nach und nach durch die Nahrung auf. Der Tod kam schleichend, oft Jahre später. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die letzten Rohölreste zersetzt sind. Vor allem in den sensiblen Gezeitenzonen.

Sensibel reagieren auch die Menschen am Sund noch immer auf das Thema Exxon Valdez. Doch nur wenige wollen darüber reden. Weil es Erinnerungen hervorruft, aber auch weil die Show weitergehen soll. Immerhin ist der Naturtourismus für viele die einzige Einnahmequelle.
„Vor der Katastrophe habe ich in einer Muschelfarm gearbeitet“, erzählt Bob, „das war sehr lukrativ.“ Doch die Zucht ging pleite, und wegziehen, wie viele andere, deren Lebensgrundlage durch die Ölpest zerstört wurde, das wollte Bob nicht. Also sattelte er zum Naturguide um. „Es war schrecklich, die vielen toten Vögel und Fische zu sehen“, sagt Bob, „diese Bilder haben mich lange Zeit verfolgt.“ Hin- und hergerissen sei er deshalb, wenn er Besucher durch den Sund führt. Auf der einen Seite möchte er den Touristen nicht den Spaß verderben. Auf der anderen sein kritisches Bewusstsein behalten. Erst recht jetzt, wenn im Golf von Mexiko eine noch größere Ölkatastrophe die Umwelt verpestet. „Unser Präsident vergleicht die Situation dort mit den Anschlägen vom 11. September. Ich vergleiche die Öllobby mit Verbrechern.“

Es ist Zeit, innezuhalten. Vor uns baut sich der Surprise-Gletscher auf. Der kalte Riese zieht die Blicke an, wie ein Hypnotiseur sein Gegenüber. Die Passagiere lauschen der Stille. Nach und nach verstummen die Gespräche und auch das Geplapper im Kopf. Der Hunger nach Naturerlebnissen ist gestillt.

Anreise
Condor fliegt dreimal pro Woche von Frankfurt/Main nach Anchorage (www.condor.com).

Unterkunft
In Anchorage gibt es Hotels in jeder Preisklasse und Kategorie. Whittier hat sich auf Tagesgäste spezialisiert, es gibt es nette Bed&Breakfast-Betriebe.
Direkter Blick auf Berge und Sund bietet das Soundview Getaway B&B (pro Person ab 130 US-Dollar).

Preise
Lachssandwich 10 Euro
Zugfahrt von Anchorage nach Whittier 60 Euro
Bootstrip zu Gletschern (sechs Stunden) ca. 100 Euro

Veranstalter
Reisen, die Ausflüge in den Prinz-William-Sund beinhalten, werden angeboten von den Reiseveranstaltern www.america-unlimited.de oder www.geo-tours.de. In Whittier gibt es beinahe mehr Schiffs-charterunternehmen als Häuser. Das Angebot ist groß, Routen und Preise variieren nur unwesentlich. Mit Prince William Sound Glacier Cruises dauert die Fahrt zum beeindruckenden Surprise-Gletscher rund sechs Stunden (www.princewilliamsound.com). Die Saison dauert bis Ende September.
Alaska-Railroad: Whittier ist ab Anchorage bequem mit dem Zug zu erreichen. Züge fahren täglich ab 10 Uhr vom Bahnhof Anchorage (www.akrr.com).

Allgemeines
Alaska allgemein: www.travelalaska.com. Anchorage: anchorage.net. Whittier: www.whittier-alaskachamber.org

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall sollten Sie die erstklassige Küche probieren. In Alaska wird viel Wert auf Frische und Qualität gelegt, kein Vergleich mit der Burger-Kultur im Rest der USA. Ein Muss ist ein Besuch in einem Fischrestaurant. Ein Traditionshaus in Anchorage ist das Simon & Seafort’s. In Whittier gibt es lässige Fischbars, etwa das Swiftwater Seafood Café.
Auf keinen Fall sollten Sie Diskussionen mit dem Kellner anfangen, wenn dieser bei der Bestellung von alkoholischen Getränken nach einem Ausweis fragt. Aufgrund der strengen Gesetze wird das Alter grundsätzlich überprüft.