„Jingle Bells“ zum Abschied: alle Mitwirkenden des Abends auf der Bühne im Theaterhaus Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die 22. Nacht der Lieder hat wieder an zwei Abenden das Theaterhaus gefüllt – und für Begeisterung gesorgt.

Die Stimme ist verstummt – und wird doch die Zeit überdauern. Zu Beginn der Benefizshow Nacht der Lieder erklang im Theaterhaus „A Fairytale of New York“ von Shane MacGowan, dem vor wenigen Tagen gestorbenen irischen Sänger der Pogues. Eine Hommage und eine gute Wahl.

Eine Stimme aus dem Himmel

Geboren ist MacGowan an Weihnachten, es war ein Weihnachtswunder, dass er überhaupt 65 Jahre alt geworden ist. Er verleibte sich alles ein, was zudröhnte, und war nicht immer Herr seiner Sinne. Im Stuttgarter LKA verdroschen sich die Pogues vor dem Auftritt, in der Pause und danach. Als man sie bremsen wollte, stoppte der Manager die Helfer: „Das ist normal! Die machen das immer so!“ Doch MacGowan war auch ein begnadeter Musiker und Songschreiber, eine Stimme der Gefallenen, Vertriebenen, Unerwünschten.

Das Brandeisen vom Bad Berg

Was könnte besser für die Ziele der Aktion Weihnachten unserer Zeitung stehen. Jenen zu helfen, denen es nicht gut geht, ist der Antrieb. Unsere Leser spenden dafür seit Jahrzehnten. Zum 22. Mal stehen dafür viele verschiedene Künstler ohne Gage auf der Bühne. Für eine Revue von Nummern, die eigentlich nicht zusammenpassen und sich doch immer wieder bestens ergänzen.

Zusammengestellt von Joe Bauer, ehedem Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten, der in seinen Streifzügen die Stadt erkundet und jenseits von hohlen Imagekampagnen ihre Schätze entdeckt. Da ist das Mineralwasser, das ihn nach der Sauna wie ein Brandeisen zischen lässt, liest er aus einem seiner Texte, wie überhaupt „das Mineralbad Berg Stuttgarts wichtigster Fluchtort ist bei meinen Versuchen, Stuttgart zu entkommen“. Das gelingt ihm nur gelegentlich – glücklicherweise –, sonst würde es die Nacht der Lieder nicht geben. Und das Publikum würde nicht erleben, welche Talente diese Stadt zu bieten hat. Vielfalt statt Einfalt.

Weltmusik aus Stuttgart

Wozu viele verschiedene Einflüsse führen, die im Kessel brodeln und zusammengerührt werden, zeigt die Band Lakvar. Sie machen Weltmusik. Das ist ein weiter Begriff. Selbst nennen sie es „zeitgenössischer Folk aus Osteuropa und dem Kaukasus“. Hajnalka Péter hat Wurzeln in Ungarn und Bulgarien, Gitarrist und Komponist Zura Dzagnidze kommt aus Georgien, Bassist Péter Papesch aus Ungarn, Percussionist Tayfun Ates ist bulgarisch-türkischer Herkunft, Geiger Florian Vogel ist Deutscher, Drummer Santino Scavelli Italiener, und Akkordeonspieler Aleksejs Maslakovs stammt aus Lettland. Getroffen haben sie sich in Stuttgart. Sie waren mit ihrem Album für den Preis der deutschen Schallplattenkritik nominiert und auf Platz fünf der Weltmusik-Charts.

Eine Band extra für die Nacht der Lieder

Einer anderen Spielart der Musik verschrieben hat sich Sandi Kuhn. Der Jazzer und Saxofonist hat sich extra für die Nacht der Lieder eine Band zusammengestellt. Mit Robert Giegling an der Trompete, Marc Roos an der Posaune, Uli Röser am Sousafon und Michael Kersting an den Drums. Sie spielten eine von Kuhn komponierte Ode an den Santiago-de-Chile-Platz. Von dort oben am Haigst kann man wunderbar auf die Stadt schauen. Eine „Art von Weltflucht“, die man sich trotz oder gerade wegen der Weltlage auch an diesem Abend im Theaterhaus mal gestatten dürfe, sagte Moderator Jess Jochimsen, der auch aus dem Religionsunterricht des Sohnes erzählte. Der Sprössling habe die Note 5 bekommen, weil er die Zehn Gebote zusammengefasst hatte. Heraus kam: Du sollst Vater und Mutter nicht töten!

Ersatz für die erkrankte Yeama

Wir sagen: Du sollst die Künstler ehren! Etwa Barbora Soares und Michael Strobel, die am Dienstag für die erkrankte Yeama einsprangen. Am Mittwoch ließen sich Eva Leticia Padilla und Dany Labana Martínez nicht lange bitten, übernahmen Yeamas Part. Pianist Shawn Chang und Sopranistin Josefin Feiler von der Staatsoper traten auf, Meike Boltersdorf bediente mit ihrem Elektro-Pop ein ganz anderes Genre. Schauspielstudenten zeigten mit „Valse Mortale“, wie sich Kampfkunst und Walzer verbinden können, die Guttenberger Brothers spielten Sinti Music, allesamt begleitet von der Showband, den Rikas. Helge Thun und seine Reime zählen bereits zum Inventar. Das 20-Jahr-Jubiläum des Nabu Mössingen inspirierte ihn: „Amerika hat Tiger Woods, Mössingen den Vogelschutz. Die Mössinger im Allgemeinen sollen gut zu Vögeln sein.“

Auch die Füenf zählen zu den Stammgästen, besser gesagt, zählten. Sie sind auf Abschiedstournee. Bei der 23. Nacht der Lieder stehen sie nicht mehr auf dem Programm. Für die man übrigens bereits Karten kaufen kann. Ob die Füenf tatsächlich nicht mehr auftreten? Sie sagen, in neun Monaten ist Schluss. Aber das sagen die Stones ja auch schon seit Jahrzehnten. Dieses Mal saß Patrick Bopp von den Füenf in jedem Falle noch mal am Klavier und ließ alle gemeinsam singen: „Jingle Bells.“ Frohe Weihnachten!