Moderator, Musiker, Choreograf: Eric Gauthier mit seinen Tänzern Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Ein Abend, der kulturelle Grenzen überwindet: Joe Bauers Nacht der Lieder begeistert im ausverkauften Theaterhaus das Publikum – und das mit einer wichtigen gesellschaftlichen Botschaft.

Stuttgart - Wenn man daran glaubt, kann man ja bekanntlich alles werden – auch eine Ballerina in Ringelsocken. Mit eleganten, herrlich unprätentiösen Bewegungen wirbeln zwei Tänzer in gestreiften Strümpfen über die Bühne des Theaterhauses. Professionell gelernt haben sie das nicht, so viel sieht man. Spaß macht es ihnen dafür umso mehr, das sieht man auch. Beschwingt drängen die beiden aufeinander zu, wenden sich abrupt wieder ab, nur um im nächsten Moment dann doch noch zueinanderzufinden. Hinter ihnen stimmt der Chor Zuflucht des Vereins Zuflucht Kultur gleichzeitig den Weihnachtsklassiker „Stille Nacht“ an – auf Deutsch und Arabisch.

Die Nacht der Lieder sprengt kulturelle Grenzen

Das harmonische Miteinander über kulturelle Grenzen hinweg ist bei der 18. Nacht der Lieder im Theaterhaus Programm. An zwei ausverkauften Abenden vereint die große Benefizshow unserer Zeitung unter der Künstlerischen Leitung von Joe Bauer, laut StN-Lokalchef Jan Sellner Stuttgarts „bekanntester Spaziergänger“, Menschen mit verschiedenen kulturellen und künstlerischen Wurzeln. Das Ergebnis: ein liebevoll komponierter Showabend, der Musiker und Kabarettisten von Heslach und Korntal bis über Havanna und Damaskus zusammenbringt.

Die Stuttgarter Jazz- und Soulsängerin Fola Dada zum Beispiel hat nigerianische Wurzeln und eine Stimme, die mit ihrer akzentuierten Rauheit an das wilde New Orleans der frühen 1960er Jahre erinnert. Angetan haben es der gelernten Stimm- und Gesangstrainerin die Zeilen internationaler Poeten. Nachdem sie vor einiger Zeit bereits die düsteren Gedichte von Edgar Allan Poe vertonte, verwandelt sie nun auf der Bühne die vielschichtigen Texte der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson in getragene, stimmungsvolle Melodien, die von der Vergangenheit erzählen und dabei doch ganz nah klingen. Ähnlich retro ist auch die Band Rikas – wenngleich aus gänzlich anderer Motivation. Ein bisschen Beach-Boys-Flair, ein bisschen britischer Beatpop, eine Prise postmodern ironisierter Vintage-Charme: Das ist die Erfolgsmischung der Indie-Band, die im Gespräch mit Moderator Eric Gauthier nicht nur enthüllt, dass sie sich einst nach der Hündin Rika ihres Schlagzeugers Ferdinand Hübner benannt hat. Die vier Musiker schauen auch auf ihr einstiges Nacht-der-Lieder-Debüt zurück, bei dem sie vor genau zehn Jahren mit Schrammelgitarre und Teenagerflaum im Gesicht die ersten Schritte in die Öffentlichkeit machten.

Auch das Publikum muss ran

Eine Institution ist Joe Bauers vorweihnachtliches Charity-Musikfest zugunsten der Aktion Weihnachten inzwischen für viele der unentgeltlich auftretenden Künstler geworden. So hält auch die A-cappella-Band Füenf dem Event schon die Treue, seit es im Jahr 2000 noch in den Kinderschuhen steckte. 2018 lassen sich die Musiker nun auf humorvolle Art und Weise auf das interkulturelle Flair des Abends ein: „Seit 23 Jahren machen wir gemeinsam Musik. Aber endlich haben wir ein Genre gefunden, mit dem uns der ganz große Durchbruch gelingen wird“, witzelt Bandmitglied Memphis und stimmt dann fröhlich einen selbst komponierten Sommerhit an. Denn für den brauche es nicht viel mehr als einen ordentlichen Rhythmus und ein paar spanisch klingende Satzfetzen. Zumindest im Saal geht dieses doch recht eigenwillige Konzept auf: Für ein paar Momente vergisst man im Publikum die vorweihnachtliche Besinnlichkeit und lässt sich stattdessen gedanklich auf die Ramblas südspanischer Metropolen entführen. In einer spontan eingeübten Choreografie tanzt das Publikum in einen imaginären Sonnenuntergang im Hochsommer.

Überhaupt versinkt man als Zuschauer bei der Nacht der Lieder eher selten schnöde in seinem Sitz. Zum einen stellt dies der Auftritt von Brankos Kuba Band, bei der Musiker aus Havanna eindrucksvoll mit verschiedenen Rhythmen experimentieren, zum anderen die Performance der Theaterhaus-Kompanie von Gauthier Dance unter Beweis. In dunkle Anzüge gehüllt zeigt letztere einen Ausschnitt ihres aktuellen Programms „Mega Israel“ und verwandelt die Bühne dabei in eine interaktive Tanzfläche. Nachdem sich die Profis Tanzpartner im Publikum gesucht haben, wird im Licht der Scheinwerfer fröhlich improvisiert und gemeinsam posiert. „Gauthier Dance sollte immer eine Kompanie sein, die mit den Menschen direkt in Kontakt kommt“, erklärt Tänzer und Choreograf Eric Gauthier, der – wie bereits in den vergangenen Jahren – durch das abendliche Programm führt und damit nicht unerheblich zum Charme des Musikfests beiträgt. Inmitten der goldglitzernden Kulisse gibt der gebürtige Kanadier einen stattlichen Showmaster der alten Schule: Konfetti, Fliege und Frank-Sinatra-Gedächtnis-Einlagen inklusive.

Ein Statement gegen Rechts

In dieses Bild fügt sich Cornelius Meister, Generalmusikdirektor der Staatsoper und des Staatsorchesters Stuttgart, perfekt ein. Mit einem Frack, der ihm am Hof der Kaiserin Sisi vermutlich direkten Zugang in den inneren Stab gesichert hätte, interpretierte er am Klavier virtuos Weihnachtslieder, die von den Zuschauern zuvor aus einem Hut gezogen wurden. Ähnlich besinnlich wird es mit dem Ensemble Freivocal, acht Sängern aus Freiburg, die in präzisen Stimmlagen Weihnachtslieder vortragen.

Die einzigen Nichtmusiker auf der Bühne sind an diesem Abend zum einen der Kabarettist Stefan Waghubinger, der mit ironisch hochgezogener Augenbraue von dem traumatischen Weihnachtsabend erzählt, an dem er statt der ersehnten Captain-Kirk-Jacke ein selbst gestricktes Ungetüm in Farbe einer schimmligen Biene Maja unter dem Baum hatte. Zum anderen tritt auch Joe Bauer selbst auf die Bühne. Dort liest er nicht nur aus seiner StN-Kolumne, sondern verdeutlicht nochmals, wie dezidiert seine Showkomposition die Unterschiedlichkeit der Künstler als besonderen Wert schätzt: Man wolle schlicht kein „Programm für die nationalen Esel“ machen, die „eine Heimat vereinnahmen, die ihnen nicht gehört,“ sagt der Nacht-der-Lieder-Erfinder und StN-Kolumnist auf der Bühne.

Im kommenden Jahr will er das erneut unter Beweis stellen. Am 3. und 4. Dezember 2019 findet die nächste Ausgabe der Nacht der Lieder statt. Karten können schon jetzt unter www.theaterhaus.com oder unter der Nummer 07 11  /  4 02 07 20 gekauft werden.