Gleich Kinder wird’s was geben: Kindertanz aus Edward Clugs neuem „Nussknacker“. Foto: Stuttgarter Ballett/Roman Novitzky

Der Nachwuchs aus der John-Cranko-Schule und das Stuttgarter Ballett sorgen bei der Benefizgala im Opernhaus für viele Überraschungen.

Draußen herrscht trübste Herbststimmung. Doch drinnen im Opernhaus tun die Tänzerinnen und Tänzer des Stuttgarter Balletts sowie der Cranko-Schule alles dafür, um bei der Benefizgala für die Aktion Weihnachten diesem zweiten Adventssonntag Glanzlichter aufzusetzen.

Energiekrise? Jan Sellner, Vorsitzender der Aktion Weihnachten, deutete in seiner Ansprache an, was das Publikum anschließend bestaunen durfte: Die Energie des Tanzes verhilft uns in dieser Krisenzeit zu besonderen Lichtblicken. Dem Nachwuchs aus der Cranko-Schule gelang das im ersten Teil mit frischen Impulsen. Nach der Pause zauberte das Stuttgarter Ballett mit einem Best-of aus dem neuen „Nussknacker“ allen ein Leuchten in die Augen.

Die Auswirkungen des Kriegs

„Auch in Stuttgart sind wir von den Auswirkungen von Krieg und Krisen berührt. Besonders für bedürftige Menschen hat sich die Situation verschärft“, erinnerte Jan Sellner an den guten Zweck der Matinee, bei der alle auf Honorare verzichten. Die Abwärme dieses an Energie besonders reichen Ballettvormittags setzt die Aktion Weihnachten mit den anderen Spenden in diesem Jahr dazu ein, um Einzelfälle abzumildern oder spontan auf Bitten wie aktuelle der Obdachlosenhilfe zu regieren.

Die Power der Tänzerinnen und Tänzer

Gleich zu Beginn wurde deutlich, welche Energie das Stuttgarter Ballett und seinen Nachwuchs antreibt: Kreativ ist hier keiner um des schönen Scheins willen, hier verhandelt der Tanz Gefühle und Konflikte. Die junge Romy Danne glänzt im Reigen von vier neuen Solostücken. Sie beginnt ihr selbst choreografiertes „Moral of Story“ am Boden, am Ende steht sie erhobenen Hauptes, dazwischen übersetzt sie Fragen, die junge Menschen ans Leben haben, in packenden, fließenden Tanz, der zur Länge eines Popsongs von Ashe zu Tränen rühren kann.

Leonardo D’Onofrio lässt in seinem von Roberto Ferrara gestalteten Solo zu Leonard Cohens „Thanks for all the Dances“ mit kessem Schwung in den Hüften keinen Zweifel daran, dass der Tanz ihm Heimat bietet. Und auch Yana Peneva, die in Maria Konrads „Nekhbet“ auf perkussive Beats mit einer virtuosen Folge von Tanzfiguren sehr lässig antwortet, sowie Nicholas Isabelli, der in „Ylang Ylang“ von Tessa Cosper stimmungsvoll den Raum um und in sich erkundet, erzählen vom Glück, ein Tänzer zu sein.

Wenn Götter tanzen

Sehr ambitioniert für eine Gala war Emanuele Babicis Götterballett „La nascita di Venere“. Doch verstehen musste man den Plot um die Geburt der Venus nicht, um sich vom Tanz mitreißen zu lassen: Mit welcher Beredtheit Maceo Gerard in den Streit der Götter einführt, mit welcher Entschiedenheit Ji-Young Kang und Mitchell Millhollin Streit im Tanz fast ausbuchstabieren, mit welcher Grazie und Eleganz die Nymphen und Alice McArthur als Venus tanzen, erntete langen Applaus. Vor allem zeigte ebenfalls die zweite, groß besetzte Uraufführung aus der Cranko-Schule, wie deren neuen räumlichen Möglichkeiten auch künstlerisch neue Räume öffnen.

Für die Fans ihres Namensgebers hatte die Cranko-Schule gleich zu Beginn der Gala eine Überraschung dabei: Dass der einst von Heinz Clauss rekonstruierte Pas de huit aus Crankos nicht erhaltenem „Nussknacker“ so lange nicht mehr zu sehen war, verwundert. Der choreografische Witz, mit dem der auf den ersten Blick klassisch anmutende Tanz arrangiert ist, löst noch heute hörbar Staunen aus. Wie Bewegungen da von einem Paar zum anderen gereicht werden, wie sich Gruppen fügen, ist geprägt von Menschlichkeit und dem Respekt vor dem Einzelnen.

Spitze Schritte lassen Tutus wippen

Aber auch klassische Höhenflüge dürfen bei einem solchen Anlass nicht fehlen: Alexei Orohovsky hebt in einer „Coppélia“-Variation wie von Sprungfedern getrieben ab; fünf Tänzerinnen bringen in der „Polka Pizzicato“ mit spitzen Schritten Tutus zum Wippen. Und ein Pas de trois aus einer alten „Nussknacker“-Choreografie leitet stimmig über zur neuen, die Edward Clug für das Stuttgarter Ballett schuf.

Charmant eröffnet eine Gruppe gestiefelter Kinder, die gut gelaunt eine Festtafel umtanzt, den Einblick in den jüngsten Neuzugang im Stuttgarter Repertoire. Weil er abends auf dem Programm steht, kann zur Freude der Kinder im Publikum in den Kulissen getanzt werden.

Waldfeen erzählen von der Kraft der Natur

Agnes Su und Adhonay Soares da Silva rahmen mit zwei Pas de deux und ihrem Debüt als Clara und Nussknacker den Zusammenschnitt. Schön puppenhaft sind seine Bewegungen zu Beginn, sie lässt mädchenhaft den Rock rauschen. Bis die beiden als glückliche Menschen einander in die Arme fallen, ist in Jürgen Roses Wunderland viel los: 16 Waldfeen erzählen in zarter Dramatik von der geheimnisvollen Kraft der Natur, Käfer, Toreros, Matroschka-Puppen, Eichhörnchen, Harlekins und zwei Kamele beschenken das Publikum. Dafür, dass auch die Tanzakteure nicht mit leeren Händen nach Hause gehen, sorgen die Stuttgarter Gärtner und setzen zum Finale ausgesprochen farbenfrohe Akzente.