Die Helene-Schoettle-Schule will Kindern besondere Lernmaterialien mit nach Hause geben, die sonst keinen Zugang zu Büchern haben. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die 50. Aktion Weihnachten fällt in ein besonderes Jahr. Ein besonderes Augenmerk lenken wir zum Auftakt der Benefizaktion auf benachteiligte Schülerinnen und Schüler in Corona-Zeiten.

Stuttgart - Noch herrscht Präsenzbetrieb an den Schulen. Aber ein infiziertes Kind in der Klasse – und es ist Homeschooling angesagt. Doch was ist mit Schülern, die so beengt wohnen, dass kein Platz für einen Schreibtisch ist? Wo es an den technischen Gegebenheiten scheitert, um an Videokonferenzen teilzunehmen? Was ist mit Kindern mit Förderbedarf, deren Eltern sie nicht unterstützen können? Die 50. Aktion Weihnachten der Stuttgarter Nachrichten will einen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit leisten. So rücken wir zum Auftakt drei Projekte in den Mittelpunkt, die benachteiligte Schülerinnen und Schüler in Corona-Zeiten fördern wollen – und das auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Bis Weihnachten stellen wir im Lokalteil zudem viele Einzelschicksale und soziale Projekte vor, die wir in diesem Jubiläumsjahr unterstützen wollen.

Mehr als nur Technik: „Digital for all kids“

Das Projekt „Digital for all Kids“ richtet sich an Kinder und Jugendliche in prekären Wohnverhältnissen, die in Sozialunterkünften, in Flüchtlingsunterkünften, im Frauenhaus leben. Sie erhalten Zugang zum digitalen Lernen. „Digital for all Kids“ richtet Lernräume ein, die ehrenamtlich betreut werden, bietet Schulungen für die Ehrenamtlichen an und stellt darüber hinaus in hauptamtlich betreuten Lernräumen als Kooperationspartner die technische Ausstattung – in Form von Laptops (mit installierter Kinderschutzsoftware), Druckern, schnellem Internet.

An den ehrenamtlich betreuten Standorten, die sie verantworten, komme dreierlei zusammen, so die Projektleiterin Constanze Nusser vom Ausbildungscampus: schwierige Wohn-, Lern- und Lebensbedingungen. Sie ist bisher immer vor Ort gewesen, um die Lernräume einzurichten. Kinder und Jugendliche haben ihr von Ängsten berichtet, abgehängt zu werden. „,Die anderen können Hausaufgaben machen, wir kommen nicht richtig mit’“, gibt Nusser die Stimmungslage wieder. Entsprechend groß sei die Freude, die ihnen entgegenschlage. Das gelte auch seitens der Ehrenamtlichen. „Die Ehrenamtlichen freuen sich, dass sie wieder mit den Kindern arbeiten können.“ Denn eines sei klar: „Die ganze Technik bringt nichts, wenn die Lernbegleitung nicht funktioniert“, betont Nusser.

Genau das ist das Bestechende an dem Projekt: dass die Kinder nicht alleingelassen werden. „Es geht um begleitetes und unterstütztes Lernen in einem geschützten Raum“, sagt der Ehrenamtsbeauftragte des Sozialamts, Stephan Schumacher. Die Engagementförderung des Sozialamts teilt sich mit dem Ausbildungscampus die Projektverantwortung. Die Idee dazu sei aus der Bürgerschaft gekommen, eingespeist über die städtische Plattform „Corona engagiert“, so Schumacher. Mithilfe von Stiftungen konnte das Projekt in der ersten Phase 50 Laptops anschaffen. Dabei soll es nicht bleiben. „Digital for all kids“ hat bei der Aktion Weihnachten Mittel für Laptops und Drucker für drei weitere ehrenamtlich betreute Lernräume in Sozial- und Flüchtlingsunterkünften beantragt. Wir wollen den Kauf finanzieren.

Nachhilfe im Tandem im Bildungszentrum Hallschlag

Auch das Bildungszentrum Hallschlag der Neuen Arbeit wollen wir fördern, weil es Kinder, Jugendliche und Auszubildende mit Lernschwierigkeiten erreicht. Über das Projekt Rehana erhalten Schülerinnen und Schüler in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch Nachhilfe. Ausgerechnet jetzt ist das Projekt aufgrund fehlender Mittel gefährdet. Dabei sei die Nachfrage durch die Corona-Pandemie sogar gewachsen, so die Koordinatorin des Projekts, Andrea Scharein. Sie müsse leider immer wieder Mädchen und Jungen vertrösten, sagt sie. Sie fürchtet um deren Lernmotivation, viele hätten Lernlücken aus dem Frühjahr. Das Projekt kooperiert mit der Altenburgschule. Das Einzugsgebiet gehe aber über den Stadtteil hinaus.

Der Förderschwerpunkt liegt ab Klasse 7 aufwärts. Die jüngste Nachhilfeschülerin ist aber erst neun Jahre alt. Bei ihr sei der Förderbedarf besonders groß, deshalb die Ausnahme. „Sie hat gar keine Chance, zu Hause etwas erklärt zu bekommen“, erzählt ihre Nachhilfelehrerin Christina C. In der Schule lerne die Drittklässlerin, ohne zu verstehen, was sie lerne. Beispiel: Kürzlich brachte sie eine Lesegeschichte über die Jahreszeiten mit. Das Mädchen, das im Iran geboren wurde, konnte mit Worten wie Knospe oder Blüte nichts anfangen. Andere Kinder lernen, indem sie die Welt entdecken. „Die Eltern gehen nicht mit ihr raus, die Mutter verlässt gar nicht die Wohnung“, berichtet Christina C.

Auch Auszubildende werden unterstützt. Einer von ihnen ist Gull Achekzai, ein junger Flüchtling aus Afghanistan, der in einem Cap-Markt Azubi ist. Er ist gehbehindert. Ein Bombensplitter traf sein Bein, als er neun Jahre alt war. Den Weg zur Nachhilfe nimmt er aber gerne auf sich. „Hier verstehe ich es. In der Schule geht es oft zu schnell für mich“, sagt er.

Das Projekt HUKe-Pack der Helene-Schoettle-Schule

Wie kann man Schule neu erfinden? Dieser Aufgabe hat sich Corona-bedingt die Helene-Schoettle-Schule gestellt. Herausgekommen ist dabei unter anderem das Projekt „Helenes Rucksack zur Unterstützten Kommunikations-, Sprach-, und Leseförderung zu Hause“ – kurz HUKe-Pack. Die Sonderpädagogin Antje Steiss-Martin hat das Konzept ausgearbeitet. Das Ziel ist, Schüler mit geistiger Behinderung zu fördern – auch wenn der Lernort nicht die Schule, sondern das Zuhause ist. Dafür werden ganz besondere Bücherrucksäcke gepackt mit bedarfsgerechten Materialien und technischen Hilfsmitteln. Wie das funktioniert?

Der Viertklässler Ivo (Name geändert) zeigt es. Er darf den ersten Rucksack auspacken. Als Erstes zieht er ein Bilderbuch heraus. Das Besondere: Auf jeder Seite finden sich Fotos mit Gebärden, um auch Kindern, die nicht lesen können, die Geschichte näherzubringen. Andere „normale“ Kinderbücher hat Antje Steiss-Martin ebenfalls ausgesucht und in Fördermaterial verwandelt: So hat sie auf ein Wimmelbuch Punkte geklebt, auf denen von ihr besprochene Audiodateien hinterlegt sind. Ivo tippt mit einem elektronischen Stift aus dem Rucksack auf einen der Punkte: „Es gibt viele Schmetterlinge – zähle sie doch einmal“, erklingt da zum Beispiel. „Das bist ja du!“, ruft Ivo fasziniert – und beginnt zu zählen.

Eltern erhalten eine Hilfestellung, wie sie ihr Kind fördern können

„Viele unserer Kinder können nicht lesen, auf diese Weise können wir auch diesen Kindern den Inhalt von Büchern vermitteln – und noch besser, sie können ihn sich selbst erschließen“, sagt der stellvertretende Schulleiter, Thomas Mästle. Auch bei einem Bild-Wörterbuch ist das über den Stift möglich – sogar in zwei Sprachen. Das Wörterbuch gebe es nur in Kleinstauflage. Es sei viel zu teuer für die meisten Eltern.

Die Rucksäcke sollen für Kinder im Grundschulalter und für Schüler der Außenklassen 5 bis 9 bestückt werden. Viele der Kinder lebten in Familien, wo die Eltern gar nicht auf die Idee kämen, eine Bücherei aufzusuchen. Oder die nicht wissen, wie sie ihr Kind mit Förderbedarf unterstützen können. Also bekommen auch die Eltern eine Hilfestellung. Die Rucksäcke werden keine Dauerleihgabe sein, sondern durch die Klasse wandern, das erhöht die Motivation, sich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen. Der wird aufs Kind abgestimmt. Sollte es zu einer Schulschließung kommen, würden die Lehrer die Rucksäcke nach Hause bringen, so Mästle. Die Aktion Weihnachten will die Rucksäcke samt Inhalt finanzieren.

So können Sie spenden:

Die „Aktion Weihnachten“ freut sich über Spenden. Die Spendenkonten lauten: Baden-Württembergische Bank, IBAN DE04 6005 0101 0002 3423 40, oder Schwäbische Bank, IBAN DE85 6002 0100 0000 0063 00. Wenn Ihr Name als Spender veröffentlicht werden soll, vermerken Sie das bitte unbedingt bei der Überweisung. Sachspenden können wir aus logistischen Gründen nicht annehmen.