Ein Mal in der Woche ist Chorprobe. Das gemeinsame Singen tut allen gut. Foto: Lg/Willikonsky

Einmal die Woche ist Chorprobe im Behandlungszentrum Mitte des Klinikums. Die meisten Mitglieder sind psychisch krank, doch das tritt beim gemeinsamen Singen in den Hintergrund. Und es ist erstaunlich, was die Musik alles bewirkt.

Stuttgart - Die Stimme war einfach weg. Ihre Krankheit hatte der Seniorin die Fähigkeit genommen zu sprechen. „Ich war so krank, dass ich dachte, ich wäre gar nicht krank“, erinnert sich die 79-Jährige an die Zeit, als eine Psychose sie fest im Griff hatte. Ihre Stimme ist zurück. Und wie sie erklingt im Chor mit den anderen rund zwanzig Mitgliedern, die an diesem Dienstagabend ins Behandlungszentrum Mitte des Klinikums zur Probe gekommen sind. Allerdings anders als früher.

Zum Abschluss hat der Chor gerade „Kling, Glöckchen, klingelingeling“ gesungen – mehrstimmig natürlich. „Bimm, bamm, bamm, bomm!“ Die 79-Jährige singt nicht mehr Sopran wie vor ihrer psychischen Erkrankung, sondern Tenor. Sie sitzt mitten zwischen den Männern – und keiner will sie dort missen. An die 25 Mitglieder hat der Chor, der im November 2014 gegründet wurde. Psychisch kranke Menschen und Mitarbeiter des Klinikums singen gemeinsam. Wer krank ist und wer nicht, spielt dabei keine Rolle. Was zählt, ist allein die Musik. Und die, sagt durchweg jeder, tue allen gut, ob mit oder ohne Diagnose. Auch die Chorleiterin, die anonym bleiben will, ist mit Freude und Leidenschaft dabei. Es gebe ihr unheimlich viel zurück, sagt die erfahrende Sängerin. Einer der Teilnehmer habe ihr vor einigen Monaten nicht einmal im Aufzug ins Gesicht gucken können. Inzwischen traue er sich bei Auftritten sogar die Ansage zu. „Das ist so toll zu erleben.“

Das Singen bewirkt viel bei den Einzelnen

Der Klinikseelsorger Martin Götz und die Sozialarbeiterin Carmen Steck-Gavran organisieren die Treffen – und singen mit, in ihrer Freizeit, wohlgemerkt. „Es ist eine schöne Gemeinschaft und macht einfach Spaß“, sagt Steck-Gavran, und Götz ist beeindruckt, wie gut sie geworden sind – und was die Gemeinschaft und das Singen aus den Einzelnen herausholen.

Da ist zum Beispiel ein 56-jähriger ehemaliger Kinderarzt. Im November 2010 wurde er neun Stunden lang wegen eines Hirntumors operiert, drei Wochen später hatte er eine Hirnhautentzündung, kämpfte erneut um sein Leben. „Ich konnte damals nur noch Ja, Nein sagen, sonst nichts“, erzählt der Mann, der nun schon seit vier Jahren im Chor dabei ist und sich stetig gesteigert hat, natürlich auch aufgrund von Logo-, Ergo- und Physiotherapie. Die Proben sind ihm sehr wichtig, bei den Auftritten singt er ebenfalls mit. „Ich hätte das damals nie für möglich gehalten“, sagt er dankbar.

Aktivitäten sollen den Zusammenhalt weiter stärken

„Die Musik tut dem Kopf, Geist und Körper gut“, betont ein weiterer Sänger. Der 53-Jährige hat eine bipolare Störung und weiß noch, wie er anfangs gehadert hat: Sollte er wirklich jede Woche zusätzlich an diesen Ort zur Probe kommen? Das ist Vergangenheit. Der Chor habe ihm geholfen, auch die Institutsambulanz der Psychiatrie mit einem guten Gefühl aufzusuchen.

Der Dienstagabend ist für alle ein wichtiger Termin, der Struktur gibt. Doch das Projekt war gefährdet, was für Unruhe bei den Mitgliedern gesorgt hat. Mithilfe der Aktion Weihnachten kann es fortgeführt werden. Auch wollen wir dem Chor gemeinsame Aktivitäten ermöglichen, die den Zusammenhalt weiter stärken.

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