Fußballspieler – hier von Sampdoria Genua – signieren „das Tagebuch der Anne Frank“ für die Einlaufkinder. Foto: AFP

Fans von Lazio Rom haben Aufkleber mit Anne Frank im Stadion geklebt – nur ein weiteres Ereignis das zeigt, dass Italien noch immer ein Problem mit seiner Vergangenheitsbewältigung hat.

Rom - Die Ultra-Fans von Lazio Rom haben sich mal wieder ins moralische Abseits befördert. Der Club teilt sich mit dem Stadtrivalen AS Rom das Olympiastadion – am Sonntag spielte hier Lazio gegen Cagliari. Über den 3:0-Sieg der Weiß-Blauen konnte und wollte sich in der Hauptstadt allerdings niemand so richtig freuen. Denn die ohnehin für ihren Antisemitismus und Rassismus bekannten Ultra-Fans von Lazio hatten diesen Sonntag den Bogen mehr als überspannt.

Sie hinterließen die Ränge und Wände des Olympiastadions mit Aufklebern besudelt, darauf zu sehen eine Fotomontage: Sie zeigt Anne Frank, das jüdische Mädchen, das dem Holocaust zum Opfer fiel, im gelb-roten Roma-Trikot. Ein besonders perfider Aspekt dieses an Geschmacklosigkeit kaum zu überbietenden Verhaltens: Renato Sacerdoti, Mitgründer des AS Rom, war selbst jüdischer Römer, der die Deportation von mehr als 1000 Juden von Rom nach Auschwitz durch die deutschen Besatzer am 16. Oktober 1943 in einem Kloster versteckt überlebt hat.

Eine Aktion, die mehr als irritiert, nicht nur vor dem Hintergrund, dass sich an diesem Samstag der Marsch auf Rom durch Benito Mussolini und seiner faschistischen Bewegung zum 95. Mal jährt. Dass Italien ein Problem mit seiner faschistischen Geschichte hat, wird in dieser Woche mehr als einmal deutlich. Seit Wochen trommelt die neofaschistische Kleinst-Partei Forza Nuova in den sozialen Netzwerken für eine Wiederauflage des Marschs auf Rom.

Der Demonstrationszug, der sowohl vom Innenministerium als auch von der Stadt Rom verboten wurde, soll symbolträchtig durch EUR führen. Der von 1938 an errichtete Stadtteil Roms sollte einst der Esposizione Universale di Roma (EUR), der letztendlich nicht durchgeführten Weltausstellung 1942 dienen. Eine der Hauptverkehrsadern, die Viale Cristofero Colombo, führt von der Hauptstadt durch EUR ans Meer - gesäumt von faschistischen Prunkbauten, ein Anblick, der an Modelle von Adolf Hitlers Traum von einer „Reichshauptstadt Germania“ erinnert. Über das Verbot will man sich am Samstag hinwegsetzen.

Der Geburtsort Mussolinis gleicht einer Pilgerstätte des Grauens

Und auch Predappio, einem kleinen Ort zwischen Florenz und Ravenna, wird an diesem Samstag wohl wieder die Beschaulichkeit geraubt. Als Geburtsort und letzte Ruhestätte Mussolinis wird Predappio drei Mal im Jahr Demonstrationszügen von Anhängern des „Duce“ heimgesucht. Ganz zu schweigen von den Tausenden Besuchern, die über das Jahr verteilt den Ort aufsuchen, um ihrem Idol zu huldigen. Die 6500 Einwohner sind das schon gewohnt. Der Bürgermeister Girogio Frassineti will sich damit aber nicht mehr abfinden und dem Kult um den Diktator etwas entgegenstellen: Mehr als 70 Jahre nach dem Tod Mussolinis plant Frassineti, Politiker des sozialdemokratischen Partito Democratico, aus der einstigen Casa del Fascio, dem Haus des Faschismus, ein Museum zu machen. Mehr noch: Eine Forschungs- und Bildungsstätte, die über die Gräueltaten des Faschismus informiert. Die Pläne sind bereits fortgeschritten, wenn alles nach Plan läuft soll das Museum Anfang 2020 eröffnen können. Es wäre das erste seiner Art in Italien.

Wie schwer sich das Land mit dem Umgang mit seiner faschistischen Vergangenheit tut, zeigt auch die heftige Diskussion, die in diesem Sommer ein Gesetzesentwurf ausgelöst hat. Das Parlament in Rom hatte ein Gesetz verabschiedet, das die Verbreitung neofaschistischer Propaganda und den Verkauf von faschistischen Devotionalien verbietet. Kalender, Tassen, Feuerzeuge mit dem Konterfei Benito Mussolinis sind in Italiens Souvenirläden keine Seltenheit. Nur mit einer knappen Mehrheit ging das Gesetz durch die Abstimmung. Die Abgeordneten von Silvio Berlusconis Forza Italia, der rechten Lega Nord und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung stimmten dagegen. Beppe Grillos Anti-Partei begründete den Schritt mit der Wahrung der Meinungsfreiheit.

Große Empörung wegen Anne-Frank-Aufklebern

Bemerkenswert groß war vor diesem Hintergrund die Empörungswelle nach der Aufkleber-Aktion der Lazio-Ultras. Die Reaktionen auf diese Geschmacklosigkeit folgten auf den Fuß und reichten bis ins Europaparlament: Parlamentspräsident und Antonio Tajani (Forza Italia) verurteilte dieses Verhalten vor dem EU-Parlament aufs schärfste und auch Staatspräsident Sergio Mattarella meldete sich zu Wort: Es handle sich um „pure Unmenschlichkeit.“ Die Spieler der Partie Inter Mailand gegen Sampdoria Genua, die am Dienstagabend ausgetragen wurde, überreichten den Einlaufkindern vor dem Spiel demonstrativ auf dem Platz das Tagebuch der Anne Frank. In den sozialen Netzwerken kursierten weitere Fotomontagen von Anne Frank in Trikots anderer italienischer Fußballvereine. Unter dem Hashtag #siamotuttiAnneFrank, wir sind alle Anne Frank.