Die Gruppe Adapter hat unter der Brücke eine 39-Qudratmeter-Wohnung eingerichtet. Foto: Kathrin Wesely

Diese Woche widmen sich die Stuttgarter Gruppen Adapter und Stadtlücken unter der Paulinenbrücke dem privaten Raum – mit einer richtigen kleinen Wohnung auf Zeit.

S-Süd - Wer dieser Tage die Serie „Berlin – Babylon“ von Tom Tykwer im Fernsehen verfolgt, bekommt großstädtische Wohnkultur Ende der 1920er Jahre vorgeführt. Beim Gros der Bevölkerung stellte sie sich ärmlich und beengt dar, Kochen, Waschen, die Morgentoilette und die Hausaufgaben wurden im selben Raum erledigt. Alt und Jung lebten Kopfkissen an Kopfkissen: nicht gerade der Traum eines generationsübergreifenden Shared-Spaces, wie ihn ambitionierte Stadtplaner von heute träumen. Wir leben in Zeiten, da der Stuttgarter durchschnittlich 39 Quadratmeter für sich beansprucht.

Bett, Sofa, Fernseher, Kühlschrank – alles da

Unter der Paulinenbrücke ist seit ein paar Tagen modellhaft eine solche 39-Quadratmeter-Wohnung aufgebaut. Bett, Sofa, Fernseher, Kühlschrank, Waschmaschine – alles da. Der private Raum wird buchstäblich öffentlich. Die Adapter-Gruppe, bestehend aus Stadtplanungs- und Architekturstudenten, will mit dieser Installation und den Veranstaltungen, die in den kommenden Tagen dort stattfinden, die Debatte entfachen über das Verhältnis von öffentlichem und privatem Raum, den der Mensch fraglos auch benötigt, wie Adapter-Mitglied Paul Vogt betont. „Aber braucht wirklich jeder eine eigene Badewanne? Reicht es nicht, wenn man eine Dusche hat und sich ein Bad mit Wanne teilt mit einer Gemeinschaft?“ Die Frage nach der Teilbarkeit stellt sich ebenso für weitere Räume oder Gegenstände, wie Bücher, Töpfe, die Waschmaschine. Die Waschküche im Keller war früher Share-Economy.

Wohnraum ist knapp und teuer, doch die alten Konzepte, neuen Wohnraum zu schaffen, greifen zu kurz, zu langsam oder gar nicht mehr, finden die Aktivisten von Adapter und den Stadtlücken, denen sich der Freiraum unter der Brücke überhaupt erst verdankt. Die Parameter haben sich verändert: Weitere Flächenversiegelung ist zu vermeiden, und der öffentliche Raum, der derzeit seine Renaissance als gemeinschaftsstiftendes Soziotop erlebt, gewinnt an Bedeutung. Und auch die Menschen haben sich geändert. Für die jungen Leute von Adapter und Stadtlücken ist keineswegs in Stein gemeißelt, dass der in Stuttgart lebende Mensch 39 Quadratmeter zum Wohnen braucht. Viele der Jüngeren huldigen der Share-Economy und einer minimalistisch ausgestatteten Lebensweise. Freiheit und Flexibilität gehen vor Krempel und eigenes Auto. Und die Prestigegegenstände, die weiterhin für Distinktionsgewinn sorgen, passen in einen Leinenrucksack.

Waschtag, Kaffeeklatsch und Jamsession

Die Gruppen Adapter und Stadtlücken greifen inhaltlich perfekt ineinander: Die Lücken-Leute halten Ausschau nach bespielbaren freien Plätzen in der Stadt. „Wir sehen darin die Chance, für gemeinsamen Raum und für das Recht auf Stadt ein Bewusstsein zu schaffen“, erklären sie auf ihrer Homepage. In diesem Fall ist dies der Platz unter der Paulinenbrücke, der früher als Parkhaus diente. Adapter wiederum kann diesen Platz nutzen, um in der Modellwohnung mit den Besuchern öffentlich zu experimentieren: Am heutigen Mittwoch ist ab 14 Uhr Waschtag, inklusive Hausarbeit und Fernsehen. Am Donnerstag ist ab 16 Uhr Kaffeeklatsch und Freitag eröffnet um 16 Uhr das Spielzimmer und im Tiny House von Leonardo di Chiara findet eine Jamsession statt. Das Wohnstudio auf Rädern ist Teil der Aktionswoche Wohnen unter der Paulinenbrücke. Der italienische Architekt di Chiara tourt schon eine Weile mit seinem niedlichen Tiny House durch Europa. Auf neun Quadratmetern hat er mit Hilfe eines versierten Schreiners unterbringen können, was man zum Leben braucht. Nahezu alles ist auf- und wegklappbar. Diese Woche hat der junge Mann Tag der offenen Haustür, und man kann ihn tagsüber besuchen kommen.

Eine Lösung für das Wohnungsproblem wären solche Häuschen wohl eher nicht, räumt Sebastian Klawiter von der Stadtlücken ein: „Wenn davon 20 bis 30 an einem Platz stehen, hat man nicht gerade eine Umgebung, die man sich wünscht. Außerdem hat schon die Anhängerkupplung für das Teil die Länge eines Smarts.“

Debatte
Am Donnerstag, 18. Oktober, findet um 19 Uhr eine öffentliche Wohndebatte mit Experten unter der Paulinenbrücke statt.